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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Eilffte Geistliche Lection
umb Gnade zu erhalten; denen er geantwortet/ er werde den Joannem kei-
nes Wegs in die Cell hinein lassen/ es seye dann/ daß er vorhero alle
Heimligkeitender Brüder außsauberte. O hartes Gebott! aber nicht hart
dem demüthigen Joanni; dann so bald er diese Zeitung gehöret/ hat er
ohne einigen Verzug den Bäsem und andere nöthige Werck-Zeug er griffen/
und ist eilend zu der nächsten Cellen zum ersten gelauffen/ und hat daselbst
das heimliche Gemach/ sambt allen anderen nach der Ordnung gesäuberet.
Nachdem min der Alte solche Demuth und Gehorsamb gesehen/ ist er ihm
alsbald entgegen gangen/ den Joannem umbhalset/ und wiederumb nicht
als einen Lehr-Jünger/ sondern als einen wohl-verdienten Soldaten Chri-
sti in seine Cell geführet.

18. Erkenne nun/ mein Christliche Seel/ wie übel dirs anstehe/ daß
du die Werck der Demuth fliehest/ indem du hörest/ daß eiu so vornehmer
und hoch-gelehrter Mann/ von sehr hohem Stand gebohren/ und der grossen
Stadt Damasco gewesener Vorsteher; deme auch die allerseeligste Jung-
frau Maria die ihm abgehauene Hand wunderbarlicher Weiß in einem Au-
genblick wiederum an ihr voriges Orth gesetzt und geheilet hat; daß sage ich/
ein solcher auch die allerverächtlichste Werck zu verrichten sich nit gescheuet
habe. Ey li[e]ber! lasset uns allen Hochmut vernichtigen/ alle auß der Hoffart
gemachte Scham-Schuhe außziehen/ und weit von uns hinweg werffen/
und uns deß Spruchs Christi unseres Heylands öffters erinneren/ der also
lautet: Alle die sich erhöhen/ sollen erniedriget/ und die sich
erniedrigen/ sollen erhöhet werden.
Auff daß wir dann mit den
Demüthigen mögen erhöhet werden/ wird sichs freylich gezimmen/ daß wir
unsern Brüdern und Schwestern auch in den verächtlichsten Sachen hur-
tig dienen/ und wann uns andere vorgezogen werden/ derbalben nicht allein
uns nicht betrüben/ sondern vielinehr von Hertzen erfreuen; und in sothanen
Begebenheiten niemahlen auß unsern Gedancken fliehen lassen folgende
Gleichnuß: Wann ein Fürst dieses bey seinen Höfflingen kundbar
machte/ daß er nemblich seine Stall-Knecht vor allen anderen seinen Die-
nern lieben/ und am allerreicheligsten und sichersten belohnen wolte; würde
nicht ein jeder suchen/ das Ambt eines Stall-Knechts zu vertretten? hat nit
Christus ein Fürst/ ein Erschöpffer aller Fürsten/ mit Wort und Wercken
außgeruffen/ daß er die jenige am besten und sichersten bezahlen wolte/ so
die geringste und niedrigste Aembter auß Demuth vertretten? Jch lasse
dich/ mein Christ-liebende Seel/ den Schluß machen/ und fahre fort von
den Worten/ so da bewegen/ zu den Exemplen/ welche das menschliche Hertz
ziehen zu den Wercken.

19. Neh-

Die Eilffte Geiſtliche Lection
umb Gnade zu erhalten; denen er geantwortet/ er werde den Joannem kei-
nes Wegs in die Cell hinein laſſen/ es ſeye dann/ daß er vorhero alle
Heimligkeitender Bruͤder außſauberte. O hartes Gebott! aber nicht hart
dem demuͤthigen Joanni; dann ſo bald er dieſe Zeitung gehoͤret/ hat er
ohne einigen Verzug den Baͤſem und andere noͤthige Werck-Zeug er griffen/
und iſt eilend zu der naͤchſten Cellen zum erſten gelauffen/ und hat daſelbſt
das heimliche Gemach/ ſambt allen anderen nach der Ordnung geſaͤuberet.
Nachdem min der Alte ſolche Demuth und Gehorſamb geſehen/ iſt er ihm
alsbald entgegen gangen/ den Joannem umbhalſet/ und wiederumb nicht
als einen Lehr-Juͤnger/ ſondern als einen wohl-verdienten Soldaten Chri-
ſti in ſeine Cell gefuͤhret.

18. Erkenne nun/ mein Chriſtliche Seel/ wie uͤbel dirs anſtehe/ daß
du die Werck der Demuth flieheſt/ indem du hoͤreſt/ daß eiu ſo vornehmer
und hoch-gelehrter Mann/ von ſehr hohem Stand gebohren/ und der groſſen
Stadt Damaſco geweſener Vorſteher; deme auch die allerſeeligſte Jung-
frau Maria die ihm abgehauene Hand wunderbarlicher Weiß in einem Au-
genblick wiederum an ihr voriges Orth geſetzt und geheilet hat; daß ſage ich/
ein ſolcher auch die allerveraͤchtlichſte Werck zu verrichten ſich nit geſcheuet
habe. Ey li[e]ber! laſſet uns allen Hochmut vernichtigen/ alle auß der Hoffart
gemachte Scham-Schuhe außziehen/ und weit von uns hinweg werffen/
und uns deß Spruchs Chriſti unſeres Heylands oͤffters erinneren/ der alſo
lautet: Alle die ſich erhoͤhen/ ſollen erniedriget/ und die ſich
erniedrigen/ ſollen erhoͤhet werden.
Auff daß wir dann mit den
Demuͤthigen moͤgen erhoͤhet werden/ wird ſichs freylich gezimmen/ daß wir
unſern Bruͤdern und Schweſtern auch in den veraͤchtlichſten Sachen hur-
tig dienen/ und wann uns andere vorgezogen werden/ derbalben nicht allein
uns nicht betruͤben/ ſondern vielinehr von Hertzen erfreuen; und in ſothanen
Begebenheiten niemahlen auß unſern Gedancken fliehen laſſen folgende
Gleichnuß: Wann ein Fuͤrſt dieſes bey ſeinen Hoͤfflingen kundbar
machte/ daß er nemblich ſeine Stall-Knecht vor allen anderen ſeinen Die-
nern lieben/ und am allerreicheligſten und ſicherſten belohnen wolte; wuͤrde
nicht ein jeder ſuchen/ das Ambt eines Stall-Knechts zu vertretten? hat nit
Chriſtus ein Fuͤrſt/ ein Erſchoͤpffer aller Fuͤrſten/ mit Wort und Wercken
außgeruffen/ daß er die jenige am beſten und ſicherſten bezahlen wolte/ ſo
die geringſte und niedrigſte Aembter auß Demuth vertretten? Jch laſſe
dich/ mein Chriſt-liebende Seel/ den Schluß machen/ und fahre fort von
den Worten/ ſo da bewegen/ zu den Exemplen/ welche das menſchliche Hertz
ziehen zu den Wercken.

19. Neh-
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[128/0156] Die Eilffte Geiſtliche Lection umb Gnade zu erhalten; denen er geantwortet/ er werde den Joannem kei- nes Wegs in die Cell hinein laſſen/ es ſeye dann/ daß er vorhero alle Heimligkeitender Bruͤder außſauberte. O hartes Gebott! aber nicht hart dem demuͤthigen Joanni; dann ſo bald er dieſe Zeitung gehoͤret/ hat er ohne einigen Verzug den Baͤſem und andere noͤthige Werck-Zeug er griffen/ und iſt eilend zu der naͤchſten Cellen zum erſten gelauffen/ und hat daſelbſt das heimliche Gemach/ ſambt allen anderen nach der Ordnung geſaͤuberet. Nachdem min der Alte ſolche Demuth und Gehorſamb geſehen/ iſt er ihm alsbald entgegen gangen/ den Joannem umbhalſet/ und wiederumb nicht als einen Lehr-Juͤnger/ ſondern als einen wohl-verdienten Soldaten Chri- ſti in ſeine Cell gefuͤhret. 18. Erkenne nun/ mein Chriſtliche Seel/ wie uͤbel dirs anſtehe/ daß du die Werck der Demuth flieheſt/ indem du hoͤreſt/ daß eiu ſo vornehmer und hoch-gelehrter Mann/ von ſehr hohem Stand gebohren/ und der groſſen Stadt Damaſco geweſener Vorſteher; deme auch die allerſeeligſte Jung- frau Maria die ihm abgehauene Hand wunderbarlicher Weiß in einem Au- genblick wiederum an ihr voriges Orth geſetzt und geheilet hat; daß ſage ich/ ein ſolcher auch die allerveraͤchtlichſte Werck zu verrichten ſich nit geſcheuet habe. Ey lieber! laſſet uns allen Hochmut vernichtigen/ alle auß der Hoffart gemachte Scham-Schuhe außziehen/ und weit von uns hinweg werffen/ und uns deß Spruchs Chriſti unſeres Heylands oͤffters erinneren/ der alſo lautet: Alle die ſich erhoͤhen/ ſollen erniedriget/ und die ſich erniedrigen/ ſollen erhoͤhet werden. Auff daß wir dann mit den Demuͤthigen moͤgen erhoͤhet werden/ wird ſichs freylich gezimmen/ daß wir unſern Bruͤdern und Schweſtern auch in den veraͤchtlichſten Sachen hur- tig dienen/ und wann uns andere vorgezogen werden/ derbalben nicht allein uns nicht betruͤben/ ſondern vielinehr von Hertzen erfreuen; und in ſothanen Begebenheiten niemahlen auß unſern Gedancken fliehen laſſen folgende Gleichnuß: Wann ein Fuͤrſt dieſes bey ſeinen Hoͤfflingen kundbar machte/ daß er nemblich ſeine Stall-Knecht vor allen anderen ſeinen Die- nern lieben/ und am allerreicheligſten und ſicherſten belohnen wolte; wuͤrde nicht ein jeder ſuchen/ das Ambt eines Stall-Knechts zu vertretten? hat nit Chriſtus ein Fuͤrſt/ ein Erſchoͤpffer aller Fuͤrſten/ mit Wort und Wercken außgeruffen/ daß er die jenige am beſten und ſicherſten bezahlen wolte/ ſo die geringſte und niedrigſte Aembter auß Demuth vertretten? Jch laſſe dich/ mein Chriſt-liebende Seel/ den Schluß machen/ und fahre fort von den Worten/ ſo da bewegen/ zu den Exemplen/ welche das menſchliche Hertz ziehen zu den Wercken. 19. Neh-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/156>, abgerufen am 28.03.2024.