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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Neunte Geistliche Lection
von ihm gesagt wird; so wird er doch Krafft desselben Urtheils eben so viel
schuldig seyn/ als der jenige/ so mit der That selbsten besudelt ist; dieweilen er
die innerliche Meinung deß Verbrechenden nicht gewist/ und seinem Hertzen
und Sinn gemäß geurtheilet hat: und wann er durch die Bußfertigkeit die-
ses nicht außlösche/ so muß er derselben Straff gewärtig seyn/ die der jenige/ so
gesündiget/ sich auff den Halß geladen hat: diese seynd die Wort CHristi zu
seiner geliebten Braut Mechtildis.

11. Sollen wir annoch nicht abnehmen können/ mein Christliche Seel/
wie scharff die göttliche Gerechtigkeit mit den ungerechten Richtern ihres
Nechsten verfahre; indeme sie von selbiger nicht anders bestraffet werden/ als
wann sie dieselbige Sünden/ über welche sie ihren neben-Menschen richten/
würcklich begangen hätten: und wiewohl diese Offenbahrung niemand zu
glauben verbunden ist; sondern einem jedenfrey stehe; so wird doch diese ob-
gesetzte Warheit auß göttlicher Heil. Schrifft handgreifflich kundbahr ge-
c. 7. v. 3.machet: dann CHristus sagt bey dem Evangelisten Mattheo also: Was
siehest du den Splinter in deines Bruders Auge/ und sie-

Serm. 6.hest den Balcken in deinem Auge nicht? Hierauß sagt recht der
Heil Dorotheus, seye abzunehmen/ daß unser Heyland die Sünde deß Nech-
stens verglichen habe einem Splinter; das Urtheil aber über selbige habe er
verglichen einem Balcken: also sündiget viel grober der jenige/ so den Sün-
der urtheilet/ als wann er die Sünd deß verurtheilten Menschen selbst begin-
ge: dahero fahret der mehr gemeldte H. Mann fort/ und sagt: ein so schwäre
Sünd ists/ seinen Nechsten richten/ daß selbige schier alle Sünden an Böß-
heit übertreffe: lasset uns derhalben hüten für sothaner Pest; und auff daß
wir von solchem Gifft nicht angeblasen werden; so lasset uns die Fußstapffen
unseres Erlösers eintretten: welchem ohne allen Zweiffel die Sünden seiner
Feinden gantz [unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt] und und offenbahr wären; und gleichwohl dieselbige bey sei-
nem himmlischen Vatter entschuldiget und gesagt: Vatter verzeyhe
ihnen/ dann sie wissen nicht was sie thuen:
Hat daß gethan
CHristus/ der als ein rechtmässiger Richter von seinem Vatter gestellet wa-
re; was sollen wir dann nicht thuen die wir die geringste Gewalt eines Rich-
ters nicht haben? und sonderbahr/ da der Heyland mit außtrücklichen Wor-
Joan. 13.
v.
15.
ten uns ermahnet: Jch hab euch ein Exempel gegeben/ daß ihr
auch thuet/ wie ich euch gethan hab.

12. Verlangen wir dann Glieder Christi zu seyn/ so will sichs geziemen/
daß wir bey demselben unverrückt verbleiben/ indem wir seine Sanfft-

mütig-

Die Neunte Geiſtliche Lection
von ihm geſagt wird; ſo wird er doch Krafft deſſelben Urtheils eben ſo viel
ſchuldig ſeyn/ als der jenige/ ſo mit der That ſelbſten beſudelt iſt; dieweilen er
die innerliche Meinung deß Verbrechenden nicht gewiſt/ und ſeinem Hertzen
und Sinn gemaͤß geurtheilet hat: und wann er durch die Bußfertigkeit die-
ſes nicht außloͤſche/ ſo muß er derſelben Straff gewaͤrtig ſeyn/ die der jenige/ ſo
geſuͤndiget/ ſich auff den Halß geladen hat: dieſe ſeynd die Wort CHriſti zu
ſeiner geliebten Braut Mechtildis.

11. Sollen wir annoch nicht abnehmen koͤnnen/ mein Chriſtliche Seel/
wie ſcharff die goͤttliche Gerechtigkeit mit den ungerechten Richtern ihres
Nechſten verfahre; indeme ſie von ſelbiger nicht anders beſtraffet werden/ als
wann ſie dieſelbige Suͤnden/ uͤber welche ſie ihren neben-Menſchen richten/
wuͤrcklich begangen haͤtten: und wiewohl dieſe Offenbahrung niemand zu
glauben verbunden iſt; ſondern einem jedenfrey ſtehe; ſo wird doch dieſe ob-
geſetzte Warheit auß goͤttlicher Heil. Schrifft handgreifflich kundbahr ge-
c. 7. v. 3.machet: dann CHriſtus ſagt bey dem Evangeliſten Mattheo alſo: Was
ſieheſt du den Splinter in deines Bruders Auge/ und ſie-

Serm. 6.heſt den Balcken in deinem Auge nicht? Hierauß ſagt recht der
Heil Dorotheus, ſeye abzunehmen/ daß unſer Heyland die Suͤnde deß Nech-
ſtens verglichen habe einem Splinter; das Urtheil aber uͤber ſelbige habe er
verglichen einem Balcken: alſo ſuͤndiget viel grober der jenige/ ſo den Suͤn-
der urtheilet/ als wann er die Suͤnd deß verurtheilten Menſchen ſelbſt begin-
ge: dahero fahret der mehr gemeldte H. Mann fort/ und ſagt: ein ſo ſchwaͤre
Suͤnd iſts/ ſeinen Nechſten richten/ daß ſelbige ſchier alle Suͤnden an Boͤß-
heit uͤbertreffe: laſſet uns derhalben huͤten fuͤr ſothaner Peſt; und auff daß
wir von ſolchem Gifft nicht angeblaſen werden; ſo laſſet uns die Fußſtapffen
unſeres Erloͤſers eintretten: welchem ohne allen Zweiffel die Suͤnden ſeiner
Feinden gantz [unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt] und und offenbahr waͤren; und gleichwohl dieſelbige bey ſei-
nem himmliſchen Vatter entſchuldiget und geſagt: Vatter verzeyhe
ihnen/ dann ſie wiſſen nicht was ſie thuen:
Hat daß gethan
CHriſtus/ der als ein rechtmaͤſſiger Richter von ſeinem Vatter geſtellet wa-
re; was ſollen wir dann nicht thuen die wir die geringſte Gewalt eines Rich-
ters nicht haben? und ſonderbahr/ da der Heyland mit außtruͤcklichen Wor-
Joan. 13.
v.
15.
ten uns ermahnet: Jch hab euch ein Exempel gegeben/ daß ihr
auch thuet/ wie ich euch gethan hab.

12. Verlangen wir dann Glieder Chriſti zu ſeyn/ ſo will ſichs geziemen/
daß wir bey demſelben unverruͤckt verbleiben/ indem wir ſeine Sanfft-

muͤtig-
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[92/0120] Die Neunte Geiſtliche Lection von ihm geſagt wird; ſo wird er doch Krafft deſſelben Urtheils eben ſo viel ſchuldig ſeyn/ als der jenige/ ſo mit der That ſelbſten beſudelt iſt; dieweilen er die innerliche Meinung deß Verbrechenden nicht gewiſt/ und ſeinem Hertzen und Sinn gemaͤß geurtheilet hat: und wann er durch die Bußfertigkeit die- ſes nicht außloͤſche/ ſo muß er derſelben Straff gewaͤrtig ſeyn/ die der jenige/ ſo geſuͤndiget/ ſich auff den Halß geladen hat: dieſe ſeynd die Wort CHriſti zu ſeiner geliebten Braut Mechtildis. 11. Sollen wir annoch nicht abnehmen koͤnnen/ mein Chriſtliche Seel/ wie ſcharff die goͤttliche Gerechtigkeit mit den ungerechten Richtern ihres Nechſten verfahre; indeme ſie von ſelbiger nicht anders beſtraffet werden/ als wann ſie dieſelbige Suͤnden/ uͤber welche ſie ihren neben-Menſchen richten/ wuͤrcklich begangen haͤtten: und wiewohl dieſe Offenbahrung niemand zu glauben verbunden iſt; ſondern einem jedenfrey ſtehe; ſo wird doch dieſe ob- geſetzte Warheit auß goͤttlicher Heil. Schrifft handgreifflich kundbahr ge- machet: dann CHriſtus ſagt bey dem Evangeliſten Mattheo alſo: Was ſieheſt du den Splinter in deines Bruders Auge/ und ſie- heſt den Balcken in deinem Auge nicht? Hierauß ſagt recht der Heil Dorotheus, ſeye abzunehmen/ daß unſer Heyland die Suͤnde deß Nech- ſtens verglichen habe einem Splinter; das Urtheil aber uͤber ſelbige habe er verglichen einem Balcken: alſo ſuͤndiget viel grober der jenige/ ſo den Suͤn- der urtheilet/ als wann er die Suͤnd deß verurtheilten Menſchen ſelbſt begin- ge: dahero fahret der mehr gemeldte H. Mann fort/ und ſagt: ein ſo ſchwaͤre Suͤnd iſts/ ſeinen Nechſten richten/ daß ſelbige ſchier alle Suͤnden an Boͤß- heit uͤbertreffe: laſſet uns derhalben huͤten fuͤr ſothaner Peſt; und auff daß wir von ſolchem Gifft nicht angeblaſen werden; ſo laſſet uns die Fußſtapffen unſeres Erloͤſers eintretten: welchem ohne allen Zweiffel die Suͤnden ſeiner Feinden gantz _ und und offenbahr waͤren; und gleichwohl dieſelbige bey ſei- nem himmliſchen Vatter entſchuldiget und geſagt: Vatter verzeyhe ihnen/ dann ſie wiſſen nicht was ſie thuen: Hat daß gethan CHriſtus/ der als ein rechtmaͤſſiger Richter von ſeinem Vatter geſtellet wa- re; was ſollen wir dann nicht thuen die wir die geringſte Gewalt eines Rich- ters nicht haben? und ſonderbahr/ da der Heyland mit außtruͤcklichen Wor- ten uns ermahnet: Jch hab euch ein Exempel gegeben/ daß ihr auch thuet/ wie ich euch gethan hab. c. 7. v. 3. Serm. 6. Joan. 13. v. 15. 12. Verlangen wir dann Glieder Chriſti zu ſeyn/ ſo will ſichs geziemen/ daß wir bey demſelben unverruͤckt verbleiben/ indem wir ſeine Sanfft- muͤtig-

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/120>, abgerufen am 24.04.2024.