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Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

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Die Achte Geistliche Lection


Die Achte Geistliche
LECTION
Von dem Haß.
Si non dimiseritis Hominibus peccata eorum, nec Pater
Matt. 6.
l.
15.
vester Coelestis vobis dimittet peccata vestra.

Wann ihr den Menschen ihre Sunden nicht verge-
bet/ so wird euch ewer himmlischer Vatter auch ewere
Sunden nicht vergeben.

Der Erste Theil.

1. BJßhero haben wir gehandelt von der schönen Tugend der Liebe;
nun wollen wir vornehmen die jenige Laster/ so der jetzt gemeldten
Tugend am meisten schädlich seynd: deren fürnehmlich drey ge-
zehlet werden: als da ist der Haß; das freventliche oder unbesonnene Urtheil/
und die Verleumbderung oder Ehrabschneidung. Dieweilen wir uns nun in
Beschreibung dieses Lasters nicht gedencken zu verhalten/ als wollen wir mit
einer oder anderen Histori auß welcher die Abscheulichkeit desselben erhället/
dem selben abhelffen. Es ist aber vorhero zu beobachten/ daß der Haß nach
Meinung deß H. Augustini also entworffen werde; daß er nemblich seye ein
L. definit.alter Zorn/ der auß mehrern Ursachen zusammen getragen/ und lange Zeit ver-
harret hat. Von dem gelehrten Cajetano aber und andern wird er verthei-
L. 2. q. 29.let in den Haß der Feindschafft/ und in den Haß deß Grewls oder Verflu-
chung. Dieser ist ein solcher/ durch welchen wir einen Abschew haben von ei-
ner Sachen: jener aber ist ein solcher/ Krafft dessen wir einen Widerwillen
gegen eine Persohn schöpffen/ und derselben Widerwärtigkeit wünschen. Der-
halben wohl zu mercken ist/ daß ein jeder vernünfftlich unterscheide/ was er an
seinem neben-Menschen hassen solle: zu diesem Vorhaben erleuchtet uns nit
wenig der gelehrte Cassiodorus mit diesen Worten: ein auffrichtiger und
vollkommener Haß ist/ wann man die Menschen liebet/ und von ihren Lastern
ein Abscheuen hat: dann einmahl gewiß ists/ daß man sie als Creaturen

oder
Die Achte Geiſtliche Lection


Die Achte Geiſtliche
LECTION
Von dem Haß.
Si non dimiſeritis Hominibus peccata eorum, nec Pater
Matt. 6.
l.
15.
veſter Cœleſtis vobis dimittet peccata veſtra.

Wann ihr den Menſchen ihre Sůnden nicht verge-
bet/ ſo wird euch ewer himmliſcher Vatter auch ewere
Sůnden nicht vergeben.

Der Erſte Theil.

1. BJßhero haben wir gehandelt von der ſchoͤnen Tugend der Liebe;
nun wollen wir vornehmen die jenige Laſter/ ſo der jetzt gemeldten
Tugend am meiſten ſchaͤdlich ſeynd: deren fuͤrnehmlich drey ge-
zehlet werden: als da iſt der Haß; das freventliche oder unbeſonnene Urtheil/
und die Verleumbderung oder Ehrabſchneidung. Dieweilen wir uns nun in
Beſchreibung dieſes Laſters nicht gedencken zu verhalten/ als wollen wir mit
einer oder anderen Hiſtori auß welcher die Abſcheulichkeit deſſelben erhaͤllet/
dem ſelben abhelffen. Es iſt aber vorhero zu beobachten/ daß der Haß nach
Meinung deß H. Auguſtini alſo entworffen werde; daß er nemblich ſeye ein
L. definit.alter Zorn/ der auß mehrern Urſachen zuſammen getragen/ und lange Zeit ver-
harret hat. Von dem gelehrten Cajetano aber und andern wird er verthei-
L. 2. q. 29.let in den Haß der Feindſchafft/ und in den Haß deß Grewls oder Verflu-
chung. Dieſer iſt ein ſolcher/ durch welchen wir einen Abſchew haben von ei-
ner Sachen: jener aber iſt ein ſolcher/ Krafft deſſen wir einen Widerwillen
gegen eine Perſohn ſchoͤpffen/ und derſelben Widerwaͤrtigkeit wuͤnſchen. Der-
halben wohl zu mercken iſt/ daß ein jeder vernuͤnfftlich unterſcheide/ was er an
ſeinem neben-Menſchen haſſen ſolle: zu dieſem Vorhaben erleuchtet uns nit
wenig der gelehrte Caſſiodorus mit dieſen Worten: ein auffrichtiger und
vollkommener Haß iſt/ wann man die Menſchen liebet/ und von ihren Laſtern
ein Abſcheuen hat: dann einmahl gewiß iſts/ daß man ſie als Creaturen

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[74/0102] Die Achte Geiſtliche Lection Die Achte Geiſtliche LECTION Von dem Haß. Si non dimiſeritis Hominibus peccata eorum, nec Pater veſter Cœleſtis vobis dimittet peccata veſtra. Wann ihr den Menſchen ihre Sůnden nicht verge- bet/ ſo wird euch ewer himmliſcher Vatter auch ewere Sůnden nicht vergeben. Der Erſte Theil. 1. BJßhero haben wir gehandelt von der ſchoͤnen Tugend der Liebe; nun wollen wir vornehmen die jenige Laſter/ ſo der jetzt gemeldten Tugend am meiſten ſchaͤdlich ſeynd: deren fuͤrnehmlich drey ge- zehlet werden: als da iſt der Haß; das freventliche oder unbeſonnene Urtheil/ und die Verleumbderung oder Ehrabſchneidung. Dieweilen wir uns nun in Beſchreibung dieſes Laſters nicht gedencken zu verhalten/ als wollen wir mit einer oder anderen Hiſtori auß welcher die Abſcheulichkeit deſſelben erhaͤllet/ dem ſelben abhelffen. Es iſt aber vorhero zu beobachten/ daß der Haß nach Meinung deß H. Auguſtini alſo entworffen werde; daß er nemblich ſeye ein alter Zorn/ der auß mehrern Urſachen zuſammen getragen/ und lange Zeit ver- harret hat. Von dem gelehrten Cajetano aber und andern wird er verthei- let in den Haß der Feindſchafft/ und in den Haß deß Grewls oder Verflu- chung. Dieſer iſt ein ſolcher/ durch welchen wir einen Abſchew haben von ei- ner Sachen: jener aber iſt ein ſolcher/ Krafft deſſen wir einen Widerwillen gegen eine Perſohn ſchoͤpffen/ und derſelben Widerwaͤrtigkeit wuͤnſchen. Der- halben wohl zu mercken iſt/ daß ein jeder vernuͤnfftlich unterſcheide/ was er an ſeinem neben-Menſchen haſſen ſolle: zu dieſem Vorhaben erleuchtet uns nit wenig der gelehrte Caſſiodorus mit dieſen Worten: ein auffrichtiger und vollkommener Haß iſt/ wann man die Menſchen liebet/ und von ihren Laſtern ein Abſcheuen hat: dann einmahl gewiß iſts/ daß man ſie als Creaturen oder L. definit. L. 2. q. 29.

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Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/102>, abgerufen am 23.04.2024.