Sandrart, Joachim von: ICONOLOGIA DEORUM. Nürnberg, 1680.[Spaltenumbruch] würden/ die selbigen Ort keines wegs verdienet hätten/ gedachte er dieser eingerissenen Unordnung heylsamlich zu begegnen. Indem er nun die Ursach dem jenigen zuschriebe/ weil die Menschen vor dem Tode/ und annoch mit ihrem sterblichem Leibe umbgeben/ gerichtet würden/ auch ihrer viel alsdann umb sie her Warum die Richter betrogen werden. stünden/ die wol oder übel von ihnen zu urtheilen pflegten/ dannenhero auch die meisten/ die sich in Sünden und Lastern ihre gantze Lebens-Zeit über umbgewältzet/ sich nicht scheueten vor die Richter zu tretten/ als ob sie mit höchster Unschuld bekleidet wären/ indem sie ihre verkehrte Gemühter/ entweder durch Schönheit deß Leibs/ hohen Geschlechts-Adel/ oder grossen Reichthumb listiglich zu bedecken wüsten/ worbey es dann auch an Zeugen nicht ermangelte/ welche bekräfftigten/ sie hätten ein gantz untadelich Leben geführt; Dahero könnten die Richter/ als welche durch den ihnen noch anklebenden Leib/ der gleichsam ein vor das Gemüht gezogne Decke ist/ verleitet und gehindert würden/ die Warheit zu erkennen/ durch so viel Dinge hintergangen/ anders nicht urtheilen/ als daß sie wegen ihrer wundernswürdigen Frömmigkeit alles Guten würdig zu achten seyen. Solchem Unheil nun kräfftiglich zu steuren/ werde höchstnötig seyn/ daß den Menschen ihr Abschied und letzte Lebens-Stund gäntzlich verborgen bleibe/ worzu Prometheus sollte bestellet seyn. Ferner sollten sie von allen Cörperlichen Eigenschafften befreyet vor solchen Richtern erscheinen/ welche ebenmässig ohne Leib seyn/ und also mit ihren blossen Gemühtern oder Seelen die gleichfalls nackenden und entblössten Seelen beschauen Jupiters Decret, die Seelen zu verurtheilen. sollte/ da dann ohne Zweiffel ein rechtes Gericht ergehen würde. Zu diesem Ende/ sagte Jupiter/ habe ich bey mir beschlossen/ daß künfftig zwey meiner Söhne aus Asien bürtig/ nämlich Minos und Rhadamanthus/ und einer aus Europa/ Namens Aeacus/ nachdem sie dieses Zeitliche werden gesegnet haben/ auf eine gewisse Wiesen (das Feld der Warheit genannt) kommen/ und daselbsten/ wo zwey Wege sich scheiden/ deren einer zu den glückseeligen Insuln/ der andere aber nach der Hölle führet/ die Seelen/ so von ihren Leibern geschieden/ Rhadamanthus/ Aeacus und Minos. urtheilen und richten sollen. Uber diejenigen Seelen so aus Asia kommen/ soll Rhadamanthus urtheilen; über die Europaeischen aber will ich den Aeacus bestellen/ und so etwas zweiffelhafftes vorfallen wird/ darüber soll Minos erkennen/ damit künfftig ohne allen Betrug und Falschheit ein ieder an den jenigen Ort gewiesen werde/ der seinem geführten Leben gleichförmig seyn möge. Dieses war deß Jupiters Decret und Rahtschluß/ damit die Seelen der Menschen recht gerichtet würden. Sind also Rhadamanthus und Aeacus/ wann sie die Seelen richten/ mit Richt-Stäben versehen; Minos aber sitzet absonderlich/ erwäget der Sachen auf das reifflichste/ und hält in der Hand einen güldnen Scepter/ [Spaltenumbruch] wie ihn Ulysses also/ den Verstorbenen das Recht sprechend/ gesehen zu haben bey dem Homerus erzehlet. An denen vors Gericht kommenden Seelen sind die Kennzeichen aller Affecten/ deren sie schuldig sind/ gantz offenbar; ingleichen wird auch alles das jenige/ was sie iemahls gethan/ als sie annoch im Leibe gewesen/ gar leichtlich erkannt. Dannenhero sie bey Darstellung vors Gericht keines Weges gefragt werden/ wer sie gewesen? sondern weil die Richter bereits wissen/ was sie/ als sie noch unter den Lebendigen umbgangen/ verübet haben/ so verweisen sie dieselben so fort an den jenigen Ort/ den sie verdienet. Hierauf erkläret Plato/ welche Seelen zum höllischen Kercker wandern müssen/ und welche dargegen nach den glückseligen Inseln gesandt werden. Wir lassen uns aber an dem genügen/ daß wir die Bildnussen dieser dreyen Richter nunmehr entworffen haben/ und wenden uns wieder zum Pluto/ wann wir nur noch etwas weniges Minos vom Dantes beschrieben. von dem Minos werden berichtet haben. Dantes Algerius scheinet dem Minos die Gestatt eines Thiers zugeeignet zu haben/ wann er in dem Gedicht von der Hölle sich folgender Worte gebrauchet: Cernere erat tetro aspectu Minoa sedentem, Horribili rictu latrantem, ac torva tuentem. Quaesitor saevus vitasque, ac crimina discit, Atqve alias aliis poenas decernit, & umbras Pallentes audit, tentat, subigitque fa- teri, Quae quis apud superos commisit crimina: quorum. Pro meritis poenas taxat, numerum- que, locumque, Tot caudae corpus spiris immanere- vincens Poenarum gradibus, quot vult tor- querier ipsas. Der Minos saß allda ganz grausam anzu- sehen/ Er ließ ein starck Gebell aus seinem Munde gehen: Der Richter fragt gar scharff/ wie der und der gelebt was übels er gethan. Niemand ist ü- berhebt/ der nicht müß Rechenschafft von seinem Leben geben/ wo/ wann/ wie offt und viel er hab verwirkt das Leben: Ob einer diß und das gehabt hab im Ge- brauch; Nachdem die Laster sind/ so sind die Straffen auch. [Spaltenumbruch] würden/ die selbigen Ort keines wegs verdienet hätten/ gedachte er dieser eingerissenen Unordnung heylsamlich zu begegnen. Indem er nun die Ursach dem jenigen zuschriebe/ weil die Menschen vor dem Tode/ und annoch mit ihrem sterblichem Leibe umbgeben/ gerichtet würden/ auch ihrer viel alsdann umb sie her Warum die Richter betrogen werden. stünden/ die wol oder übel von ihnen zu urtheilen pflegten/ dannenhero auch die meisten/ die sich in Sünden und Lastern ihre gantze Lebens-Zeit über umbgewältzet/ sich nicht scheueten vor die Richter zu tretten/ als ob sie mit höchster Unschuld bekleidet wären/ indem sie ihre verkehrte Gemühter/ entweder durch Schönheit deß Leibs/ hohen Geschlechts-Adel/ oder grossen Reichthumb listiglich zu bedecken wüsten/ worbey es dann auch an Zeugen nicht ermangelte/ welche bekräfftigten/ sie hätten ein gantz untadelich Leben geführt; Dahero könnten die Richter/ als welche durch den ihnen noch anklebenden Leib/ der gleichsam ein vor das Gemüht gezogne Decke ist/ verleitet und gehindert würden/ die Warheit zu erkennen/ durch so viel Dinge hintergangen/ anders nicht urtheilen/ als daß sie wegen ihrer wundernswürdigen Frömmigkeit alles Guten würdig zu achten seyen. Solchem Unheil nun kräfftiglich zu steuren/ werde höchstnötig seyn/ daß den Menschen ihr Abschied und letzte Lebens-Stund gäntzlich verborgen bleibe/ worzu Prometheus sollte bestellet seyn. Ferner sollten sie von allen Cörperlichen Eigenschafften befreyet vor solchen Richtern erscheinen/ welche ebenmässig ohne Leib seyn/ und also mit ihren blossen Gemühtern oder Seelen die gleichfalls nackenden und entblössten Seelen beschauen Jupiters Decret, die Seelen zu verurtheilen. sollte/ da dann ohne Zweiffel ein rechtes Gericht ergehen würde. Zu diesem Ende/ sagte Jupiter/ habe ich bey mir beschlossen/ daß künfftig zwey meiner Söhne aus Asien bürtig/ nämlich Minos und Rhadamanthus/ und einer aus Europa/ Namens Aeacus/ nachdem sie dieses Zeitliche werden gesegnet haben/ auf eine gewisse Wiesen (das Feld der Warheit genannt) kommen/ und daselbsten/ wo zwey Wege sich scheiden/ deren einer zu den glückseeligen Insuln/ der andere aber nach der Hölle führet/ die Seelen/ so von ihren Leibern geschieden/ Rhadamanthus/ Aeacus und Minos. urtheilen und richten sollen. Uber diejenigen Seelen so aus Asia kommen/ soll Rhadamanthus urtheilen; über die Europaeischen aber will ich den Aeacus bestellen/ und so etwas zweiffelhafftes vorfallen wird/ darüber soll Minos erkennen/ damit künfftig ohne allen Betrug und Falschheit ein ieder an den jenigen Ort gewiesen werde/ der seinem geführten Leben gleichförmig seyn möge. Dieses war deß Jupiters Decret und Rahtschluß/ damit die Seelen der Menschen recht gerichtet würden. Sind also Rhadamanthus und Aeacus/ wann sie die Seelen richten/ mit Richt-Stäben versehen; Minos aber sitzet absonderlich/ erwäget der Sachen auf das reifflichste/ und hält in der Hand einen güldnen Scepter/ [Spaltenumbruch] wie ihn Ulysses also/ den Verstorbenen das Recht sprechend/ gesehen zu haben bey dem Homerus erzehlet. An denen vors Gericht kommenden Seelen sind die Kennzeichen aller Affecten/ deren sie schuldig sind/ gantz offenbar; ingleichen wird auch alles das jenige/ was sie iemahls gethan/ als sie annoch im Leibe gewesen/ gar leichtlich erkannt. Dannenhero sie bey Darstellung vors Gericht keines Weges gefragt werden/ wer sie gewesen? sondern weil die Richter bereits wissen/ was sie/ als sie noch unter den Lebendigen umbgangen/ verübet haben/ so verweisen sie dieselben so fort an den jenigen Ort/ den sie verdienet. Hierauf erkläret Plato/ welche Seelen zum höllischen Kercker wandern müssen/ und welche dargegen nach den glückseligen Inseln gesandt werden. Wir lassen uns aber an dem genügen/ daß wir die Bildnussen dieser dreyen Richter nunmehr entworffen haben/ und wenden uns wieder zum Pluto/ wann wir nur noch etwas weniges Minos vom Dantes beschrieben. von dem Minos werden berichtet haben. Dantes Algerius scheinet dem Minos die Gestatt eines Thiers zugeeignet zu haben/ wann er in dem Gedicht von der Hölle sich folgender Worte gebrauchet: Cernere erat tetro aspectu Minoa sedentem, Horribili rictu latrantem, ac torva tuentem. Quaesitor saevus vitasque, ac crimina discit, Atqve alias aliis poenas decernit, & umbras Pallentes audit, tentat, subigitque fa- teri, Quae quis apud superos commisit crimina: quorum. Pro meritis poenas taxat, numerum- que, locumque, Tot caudae corpus spiris immanere- vincens Poenarum gradibus, quot vult tor- querier ipsas. Der Minos saß allda ganz grausam anzu- sehen/ Er ließ ein starck Gebell aus seinem Munde gehen: Der Richter fragt gar scharff/ wie der und der gelebt was übels er gethan. Niemand ist ü- berhebt/ der nicht müß Rechenschafft von seinem Leben geben/ wo/ wann/ wie offt und viel er hab verwirkt das Leben: Ob einer diß und das gehabt hab im Ge- brauch; Nachdem die Laster sind/ so sind die Straffen auch. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div xml:id="d1450.1"> <p><pb facs="#f0169" xml:id="pb-1452" n="TA 1680, Iconologia Deorum, S. 97"/><cb/> würden/ die selbigen Ort keines wegs verdienet hätten/ gedachte er dieser eingerissenen Unordnung heylsamlich zu begegnen. Indem er nun die Ursach dem jenigen zuschriebe/ weil die Menschen vor dem Tode/ und annoch mit ihrem sterblichem Leibe umbgeben/ gerichtet würden/ auch ihrer viel alsdann umb sie her <note xml:id="n1452.3" place="right">Warum die Richter betrogen werden.</note> stünden/ die wol oder übel von ihnen zu urtheilen pflegten/ dannenhero auch die meisten/ die sich in Sünden und Lastern ihre gantze Lebens-Zeit über umbgewältzet/ sich nicht scheueten vor die Richter zu tretten/ als ob sie mit höchster Unschuld bekleidet wären/ indem sie ihre verkehrte Gemühter/ entweder durch Schönheit deß Leibs/ hohen Geschlechts-Adel/ oder grossen Reichthumb listiglich zu bedecken wüsten/ worbey es dann auch an Zeugen nicht ermangelte/ welche bekräfftigten/ sie hätten ein gantz untadelich Leben geführt; Dahero könnten die Richter/ als welche durch den ihnen noch anklebenden Leib/ der gleichsam ein vor das Gemüht gezogne Decke ist/ verleitet und gehindert würden/ die Warheit zu erkennen/ durch so viel Dinge hintergangen/ anders nicht urtheilen/ als daß sie wegen ihrer wundernswürdigen Frömmigkeit alles Guten würdig zu achten seyen. Solchem Unheil nun kräfftiglich zu steuren/ werde höchstnötig seyn/ daß den Menschen ihr Abschied und letzte Lebens-Stund gäntzlich verborgen bleibe/ worzu <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-121 http://d-nb.info/gnd/118596756 http://viaf.org/viaf/3263350">Prometheus</persName> sollte bestellet seyn. Ferner sollten sie von allen Cörperlichen Eigenschafften befreyet vor solchen Richtern erscheinen/ welche ebenmässig ohne Leib seyn/ und also mit ihren blossen Gemühtern oder Seelen die gleichfalls nackenden und entblössten Seelen beschauen <note xml:id="n1452.2" place="right"><persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-99 http://d-nb.info/gnd/118558897 http://viaf.org/viaf/22933410">Jupiters</persName><hi rendition="#aq">Decret,</hi> die Seelen zu verurtheilen.</note> sollte/ da dann ohne Zweiffel ein rechtes Gericht ergehen würde. Zu diesem Ende/ sagte <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-99 http://d-nb.info/gnd/118558897 http://viaf.org/viaf/22933410">Jupiter</persName>/ habe ich bey mir beschlossen/ daß künfftig zwey meiner Söhne aus <placeName ref="http://ta.sandrart.net/-place-349 http://www.getty.edu/vow/TGNFullDisplay?find=&place=&nation=&subjectid=1000004">Asien</placeName> bürtig/ nämlich <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> und <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3417">Rhadamanthus</persName>/ und einer aus <placeName ref="http://ta.sandrart.net/-place-763 http://www.getty.edu/vow/TGNFullDisplay?find=&place=&nation=&subjectid=1000003">Europa</placeName>/ Namens <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3416 http://d-nb.info/gnd/12972033X http://viaf.org/viaf/65094032">Aeacus</persName>/ nachdem sie dieses Zeitliche werden gesegnet haben/ auf eine gewisse Wiesen (das Feld der Warheit genannt) kommen/ und daselbsten/ wo zwey Wege sich scheiden/ deren einer zu den glückseeligen Insuln/ der andere aber nach der Hölle führet/ die Seelen/ so von ihren Leibern geschieden/ <note xml:id="n1452.1" place="right"><persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3417">Rhadamanthus</persName>/ <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3416 http://d-nb.info/gnd/12972033X http://viaf.org/viaf/65094032">Aeacus</persName> und <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName>.</note> urtheilen und richten sollen. Uber diejenigen Seelen so aus <placeName ref="http://ta.sandrart.net/-place-349 http://www.getty.edu/vow/TGNFullDisplay?find=&place=&nation=&subjectid=1000004">Asia</placeName> kommen/ soll <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3417">Rhadamanthus</persName> urtheilen; über die Europaeischen aber will ich den <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3416 http://d-nb.info/gnd/12972033X http://viaf.org/viaf/65094032">Aeacus</persName> bestellen/ und so etwas zweiffelhafftes vorfallen wird/ darüber soll <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> erkennen/ damit künfftig ohne allen Betrug und Falschheit ein ieder an den jenigen Ort gewiesen werde/ der seinem geführten Leben gleichförmig seyn möge. Dieses war deß <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-99 http://d-nb.info/gnd/118558897 http://viaf.org/viaf/22933410">Jupiters</persName> Decret und Rahtschluß/ damit die Seelen der Menschen recht gerichtet würden. Sind also <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3417">Rhadamanthus</persName> und <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-3416 http://d-nb.info/gnd/12972033X http://viaf.org/viaf/65094032">Aeacus</persName>/ wann sie die Seelen richten/ mit Richt-Stäben versehen; <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> aber sitzet absonderlich/ erwäget der Sachen auf das reifflichste/ und hält in der Hand einen güldnen Scepter/ <cb/> wie ihn <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-488 http://d-nb.info/gnd/118589385 http://viaf.org/viaf/120700269">Ulysses</persName> also/ den Verstorbenen das Recht sprechend/ gesehen zu haben bey dem <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-109 http://d-nb.info/gnd/11855333X http://viaf.org/viaf/63292865">Homerus</persName> erzehlet. An denen vors Gericht kommenden Seelen sind die Kennzeichen aller Affecten/ deren sie schuldig sind/ gantz offenbar; ingleichen wird auch alles das jenige/ was sie iemahls gethan/ als sie annoch im Leibe gewesen/ gar leichtlich erkannt. Dannenhero sie bey Darstellung vors Gericht keines Weges gefragt werden/ wer sie gewesen? sondern weil die Richter bereits wissen/ was sie/ als sie noch unter den Lebendigen umbgangen/ verübet haben/ so verweisen sie dieselben so fort an den jenigen Ort/ den sie verdienet. Hierauf erkläret <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-892 http://d-nb.info/gnd/118594893 http://viaf.org/viaf/79033288">Plato</persName>/ welche Seelen zum höllischen Kercker wandern müssen/ und welche dargegen nach den glückseligen Inseln gesandt werden. Wir lassen uns aber an dem genügen/ daß wir die Bildnussen dieser dreyen Richter nunmehr entworffen haben/ und wenden uns wieder zum <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-340">Pluto</persName>/ wann wir nur noch etwas weniges <note place="right"><persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> vom <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1038 http://d-nb.info/gnd/118523708 http://viaf.org/viaf/97105654">Dantes</persName> beschrieben.</note> von dem <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> werden berichtet haben. <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1038 http://d-nb.info/gnd/118523708 http://viaf.org/viaf/97105654">Dantes Algerius</persName> scheinet dem <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> die Gestatt eines Thiers zugeeignet zu haben/ wann er in dem Gedicht von der Hölle sich folgender Worte gebrauchet:</p> <lg rendition="#aq" xml:lang="la"> <l>Cernere erat tetro aspectu Minoa<lb/> sedentem,</l><lb/> <l>Horribili rictu latrantem, ac torva<lb/> tuentem.</l><lb/> <l>Quaesitor saevus <reg>vitasque</reg>, ac crimina<lb/> discit,</l><lb/> <l>Atqve alias aliis poenas decernit, &<lb/> umbras</l><lb/> <l>Pallentes audit, tentat, <reg>subigitque</reg> fa-<lb/> teri,</l><lb/> <l>Quae quis apud superos commisit<lb/> crimina: quorum.</l><lb/> <l>Pro meritis poenas taxat, <reg>numerum-<lb/> que</reg>, locumque,</l><lb/> <l>Tot caudae corpus spiris immanere-<lb/> vincens</l><lb/> <l>Poenarum gradibus, quot vult tor-<lb/> querier ipsas.</l><lb/> </lg> <lg> <l>Der <persName ref="http://ta.sandrart.net/-person-1566 http://d-nb.info/gnd/119146487 http://viaf.org/viaf/50029271">Minos</persName> saß allda ganz grausam anzu-<lb/> sehen/</l><lb/> <l>Er ließ ein starck Gebell aus seinem Munde<lb/> gehen:</l><lb/> <l>Der Richter fragt gar scharff/ wie der und<lb/> der gelebt</l><lb/> <l>was übels er gethan. Niemand ist ü-<lb/> berhebt/</l><lb/> <l>der nicht müß Rechenschafft von seinem<lb/> Leben geben/</l><lb/> <l>wo/ wann/ wie offt und viel er hab verwirkt<lb/> das Leben:</l><lb/> <l>Ob einer diß und das gehabt hab im Ge-<lb/> brauch;</l><lb/> <l>Nachdem die Laster sind/ so sind die<lb/> Straffen auch.</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [TA 1680, Iconologia Deorum, S. 97/0169]
würden/ die selbigen Ort keines wegs verdienet hätten/ gedachte er dieser eingerissenen Unordnung heylsamlich zu begegnen. Indem er nun die Ursach dem jenigen zuschriebe/ weil die Menschen vor dem Tode/ und annoch mit ihrem sterblichem Leibe umbgeben/ gerichtet würden/ auch ihrer viel alsdann umb sie her stünden/ die wol oder übel von ihnen zu urtheilen pflegten/ dannenhero auch die meisten/ die sich in Sünden und Lastern ihre gantze Lebens-Zeit über umbgewältzet/ sich nicht scheueten vor die Richter zu tretten/ als ob sie mit höchster Unschuld bekleidet wären/ indem sie ihre verkehrte Gemühter/ entweder durch Schönheit deß Leibs/ hohen Geschlechts-Adel/ oder grossen Reichthumb listiglich zu bedecken wüsten/ worbey es dann auch an Zeugen nicht ermangelte/ welche bekräfftigten/ sie hätten ein gantz untadelich Leben geführt; Dahero könnten die Richter/ als welche durch den ihnen noch anklebenden Leib/ der gleichsam ein vor das Gemüht gezogne Decke ist/ verleitet und gehindert würden/ die Warheit zu erkennen/ durch so viel Dinge hintergangen/ anders nicht urtheilen/ als daß sie wegen ihrer wundernswürdigen Frömmigkeit alles Guten würdig zu achten seyen. Solchem Unheil nun kräfftiglich zu steuren/ werde höchstnötig seyn/ daß den Menschen ihr Abschied und letzte Lebens-Stund gäntzlich verborgen bleibe/ worzu Prometheus sollte bestellet seyn. Ferner sollten sie von allen Cörperlichen Eigenschafften befreyet vor solchen Richtern erscheinen/ welche ebenmässig ohne Leib seyn/ und also mit ihren blossen Gemühtern oder Seelen die gleichfalls nackenden und entblössten Seelen beschauen sollte/ da dann ohne Zweiffel ein rechtes Gericht ergehen würde. Zu diesem Ende/ sagte Jupiter/ habe ich bey mir beschlossen/ daß künfftig zwey meiner Söhne aus Asien bürtig/ nämlich Minos und Rhadamanthus/ und einer aus Europa/ Namens Aeacus/ nachdem sie dieses Zeitliche werden gesegnet haben/ auf eine gewisse Wiesen (das Feld der Warheit genannt) kommen/ und daselbsten/ wo zwey Wege sich scheiden/ deren einer zu den glückseeligen Insuln/ der andere aber nach der Hölle führet/ die Seelen/ so von ihren Leibern geschieden/ urtheilen und richten sollen. Uber diejenigen Seelen so aus Asia kommen/ soll Rhadamanthus urtheilen; über die Europaeischen aber will ich den Aeacus bestellen/ und so etwas zweiffelhafftes vorfallen wird/ darüber soll Minos erkennen/ damit künfftig ohne allen Betrug und Falschheit ein ieder an den jenigen Ort gewiesen werde/ der seinem geführten Leben gleichförmig seyn möge. Dieses war deß Jupiters Decret und Rahtschluß/ damit die Seelen der Menschen recht gerichtet würden. Sind also Rhadamanthus und Aeacus/ wann sie die Seelen richten/ mit Richt-Stäben versehen; Minos aber sitzet absonderlich/ erwäget der Sachen auf das reifflichste/ und hält in der Hand einen güldnen Scepter/
wie ihn Ulysses also/ den Verstorbenen das Recht sprechend/ gesehen zu haben bey dem Homerus erzehlet. An denen vors Gericht kommenden Seelen sind die Kennzeichen aller Affecten/ deren sie schuldig sind/ gantz offenbar; ingleichen wird auch alles das jenige/ was sie iemahls gethan/ als sie annoch im Leibe gewesen/ gar leichtlich erkannt. Dannenhero sie bey Darstellung vors Gericht keines Weges gefragt werden/ wer sie gewesen? sondern weil die Richter bereits wissen/ was sie/ als sie noch unter den Lebendigen umbgangen/ verübet haben/ so verweisen sie dieselben so fort an den jenigen Ort/ den sie verdienet. Hierauf erkläret Plato/ welche Seelen zum höllischen Kercker wandern müssen/ und welche dargegen nach den glückseligen Inseln gesandt werden. Wir lassen uns aber an dem genügen/ daß wir die Bildnussen dieser dreyen Richter nunmehr entworffen haben/ und wenden uns wieder zum Pluto/ wann wir nur noch etwas weniges von dem Minos werden berichtet haben. Dantes Algerius scheinet dem Minos die Gestatt eines Thiers zugeeignet zu haben/ wann er in dem Gedicht von der Hölle sich folgender Worte gebrauchet:
Warum die Richter betrogen werden.
Jupiters Decret, die Seelen zu verurtheilen.
Rhadamanthus/ Aeacus und Minos.
Minos vom Dantes beschrieben. Cernere erat tetro aspectu Minoa
sedentem,
Horribili rictu latrantem, ac torva
tuentem.
Quaesitor saevus vitasque, ac crimina
discit,
Atqve alias aliis poenas decernit, &
umbras
Pallentes audit, tentat, subigitque fa-
teri,
Quae quis apud superos commisit
crimina: quorum.
Pro meritis poenas taxat, numerum-
que, locumque,
Tot caudae corpus spiris immanere-
vincens
Poenarum gradibus, quot vult tor-
querier ipsas.
Der Minos saß allda ganz grausam anzu-
sehen/
Er ließ ein starck Gebell aus seinem Munde
gehen:
Der Richter fragt gar scharff/ wie der und
der gelebt
was übels er gethan. Niemand ist ü-
berhebt/
der nicht müß Rechenschafft von seinem
Leben geben/
wo/ wann/ wie offt und viel er hab verwirkt
das Leben:
Ob einer diß und das gehabt hab im Ge-
brauch;
Nachdem die Laster sind/ so sind die
Straffen auch.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_iconologia_1680 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_iconologia_1680/169 |
Zitationshilfe: | Sandrart, Joachim von: ICONOLOGIA DEORUM. Nürnberg, 1680, S. TA 1680, Iconologia Deorum, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sandrart_iconologia_1680/169>, abgerufen am 16.02.2025. |