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Sanders, Daniel: Brief an Otto Volger. Altstrelitz, 28. April 1881.

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stillschweigend und widerspruchslos von den augenblicklichen Macht und Gewalthabern
vergewaltigen lassen wollen. Es bedarf wohl vielleicht auch nur eines tapferen
und muthigen Vorgehens, um in einer [unleserliches Material - 1 Wort fehlt], worin mit verschwindenden [unleserliches Material - 1 Wort fehlt]
die ganzen [unleserliches Material - 1 Wort fehlt] sich vergewaltigt fühlt, Nachfolger und Mitkämpfer
zu finden. Und vielleicht ist gerade der augenblickliche Zeitpunkt auch der
geeignetste für ein solches Vorgehen. Die heutige No 197 der National-Zeitung
berichtet 2 Tatsachen, die ich als Zeichen der Zeit betrachten möchte. Den
Herzog von Braunschweig, in dessen Staat die Minister die preußische
Schulorthographie zum 1. April eingeführt, hat dies Datum als das geeignet[-]
ste und richtigste für eine solche Maßregel bezeichnet, womit er ganz
richtig dem Gefühl Ausdruck giebt, daß mit dieser Einführung die Schul-
jugend in den April geschickt werde. Die zweite bedeutsame Thatsache
ist die, daß jetzt der Minister von Put[t]kamer aus seiner Stellung als
Kultusminister ausscheidet und daß vielleicht seine Nachfolger, wenn
sich an ihn mit der Forderung wendet, für die deutsche Rechtschrei-
bung nicht bloß den erst zu [unleserliches Material - 1 Wort fehlt] K Schulkinder - und zwar auch nur diese nun, wie man
zugiebt: "Aber fragt mich nur nicht wie?" - , sondern auch die Gebildeten oder -
man kann ohne Übertreibung sagen - die große Gesammtheit des Volks
zu berücksichtigen. Bei gutem Willen wird und muss sich nun
Einigung finden lassen, die nach allen Seiten als gerecht und befrie-
digend anerkannt und bereitwilligt angenommen wird, während jetzt
nun von allen Andern zu schweigen der klaffende und unüberbrückte
Zwiespalt zwischen der Schulorthographie und der amtlichen Reichs-
orthographie jeden Vaterlandsfreund auf das tiefste betrüben
muss und uns im Ausland zum Gespött macht.

Auf die unumgängliche Nothwendigkeit einer Ausgleichung
zwischen der Schul- und der Reichsorthographie, zwischen der Schreibweise
der Schule und des Lebens muss meiner Ansicht nach das Hauptge-
wicht gelegt werden. Der von dem Hochstift früher vorgeschlagene
Weg scheint mir, wenn man eben das unleugbare Ziel wichtige Ziel
will, auch durchaus geeignet, zum Ziel zu führen und ich
wiederhole, daß es von großem Werth ist, wenn das Hochstift
und die Frankfurter Handelskammer vorgehen, im Vertrauen darauf,
daß Nachfolger nicht ausbleiben werden und können. Der Ma-

stillschweigend und widerspruchslos von den augenblicklichen Macht und Gewalthabern
vergewaltigen lassen wollen. Es bedarf wohl vielleicht auch nur eines tapferen
und muthigen Vorgehens, um in einer [unleserliches Material – 1 Wort fehlt], worin mit verschwindenden [unleserliches Material – 1 Wort fehlt]
die ganzen [unleserliches Material – 1 Wort fehlt] sich vergewaltigt fühlt, Nachfolger und Mitkämpfer
zu finden. Und vielleicht ist gerade der augenblickliche Zeitpunkt auch der
geeignetste für ein solches Vorgehen. Die heutige No 197 der National-Zeitung
berichtet 2 Tatsachen, die ich als Zeichen der Zeit betrachten möchte. Den
Herzog von Braunschweig, in dessen Staat die Minister die preußische
Schulorthographie zum 1. April eingeführt, hat dies Datum als das geeignet[-]
ste und richtigste für eine solche Maßregel bezeichnet, womit er ganz
richtig dem Gefühl Ausdruck giebt, daß mit dieser Einführung die Schul-
jugend in den April geschickt werde. Die zweite bedeutsame Thatsache
ist die, daß jetzt der Minister von Put[t]kamer aus seiner Stellung als
Kultusminister ausscheidet und daß vielleicht seine Nachfolger, weñ
sich an ihn mit der Forderung wendet, für die deutsche Rechtschrei-
bung nicht bloß den erst zu [unleserliches Material – 1 Wort fehlt] K Schulkinder – und zwar auch nur diese nun, wie man
zugiebt: „Aber fragt mich nur nicht wie?“ – , sondern auch die Gebildeten oder -
man kañ ohne Übertreibung sagen – die große Gesam̃theit des Volks
zu berücksichtigen. Bei gutem Willen wird und muss sich nun
Einigung finden lassen, die nach allen Seiten als gerecht und befrie-
digend anerkañt und bereitwilligt angenom̃en wird, während jetzt
nun von allen Andern zu schweigen der klaffende und unüberbrückte
Zwiespalt zwischen der Schulorthographie und der amtlichen Reichs-
orthographie jeden Vaterlandsfreund auf das tiefste betrüben
muss und uns im Ausland zum Gespött macht.

Auf die unumgängliche Nothwendigkeit einer Ausgleichung
zwischen der Schul- und der Reichsorthographie, zwischen der Schreibweise
der Schule und des Lebens muss meiner Ansicht nach das Hauptge-
wicht gelegt werden. Der von dem Hochstift früher vorgeschlagene
Weg scheint mir, weñ man eben das unleugbare Ziel wichtige Ziel
will, auch durchaus geeignet, zum Ziel zu führen und ich
wiederhole, daß es von großem Werth ist, weñ das Hochstift
und die Frankfurter Handelskam̃er vorgehen, im Vertrauen darauf,
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Zitationshilfe: Sanders, Daniel: Brief an Otto Volger. Altstrelitz, 28. April 1881, S. [1v]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sanders_volger_1881/2>, abgerufen am 20.04.2024.