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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Ueber den Charakter Jesu Christi.
immer Kreis um ihn machte, nahm nie einen Tag für
sich, arbeitete Tag und Nacht, und ermüdete nicht in
einer Zeit von mehr als drey Jahren, bey allem Undank,
bey der sichtbarsten Verachtung von den Ersten und Be-
rühmtesten, bey dem bittersten Widerstand der gelehrten
Klopffechter, bey täglichen Verfolgungen. Seine Recht-
schaffenheit, sein Haß gegen alle Heucheley und Zurück-
haltung war so groß, daß er die krummen Jrrgänge der
Politik, wovon man schon zu seiner Zeit mit der wich-
tigsten Mine schwatzte, als wenn es die verschwiegensten
Geheimnisse, und der Kern aller wahren Weisheit wä-
ren, verachtete, wo er sie hinlausen sah. Jm Angesicht
aller Menschen handelte er immer, weil er vor Gott im-
mer handelte. Wo ihn sein Amt hinrief, wo er seinem
Auftrag gemäs sprechen mußte, da hörte man auch den
Mann voll Heroismus, voll Patriotismus, voll Uner-
schrockenheit und männlicher Entschlossenheit. Neben
ihm summten ganze Schwärme von Heuchlern, Schlei-
chern, Andächtlern, seufzenden Betbrüdern, und bigot-
ten Dickköpfen herum, wovon jeder das heilige Gesetz-
buch in der Hand hatte, und die Zahlen, die Verse, die
Abschnitte, die verschiedenen Arten, die Vorschriften Got-
tes zu sammlen, zu zählen, und Ober- und Unterabthei-
lungen zu machen, aufs genauste wußte, und es beym
Wissen bewenden ließ, gerade wie man oft in der christ-
lichen Welt mit dem theuren Wort Gottes mehr spielt
und tändelt, als daß man es seinem Geist und Sinn
nach, weil doch in den Buchstaben aller Sprachen keine
Kraft steckt, auf Verstand, Herz und Leben anwendet.
Aber er sprach immer für das Ansehen der Wahrheit und
Tugend, die sich aus dem Jnwendigen ergießt, und das

Leben
D

Ueber den Charakter Jeſu Chriſti.
immer Kreis um ihn machte, nahm nie einen Tag für
ſich, arbeitete Tag und Nacht, und ermüdete nicht in
einer Zeit von mehr als drey Jahren, bey allem Undank,
bey der ſichtbarſten Verachtung von den Erſten und Be-
rühmteſten, bey dem bitterſten Widerſtand der gelehrten
Klopffechter, bey täglichen Verfolgungen. Seine Recht-
ſchaffenheit, ſein Haß gegen alle Heucheley und Zurück-
haltung war ſo groß, daß er die krummen Jrrgänge der
Politik, wovon man ſchon zu ſeiner Zeit mit der wich-
tigſten Mine ſchwatzte, als wenn es die verſchwiegenſten
Geheimniſſe, und der Kern aller wahren Weisheit wä-
ren, verachtete, wo er ſie hinlauſen ſah. Jm Angeſicht
aller Menſchen handelte er immer, weil er vor Gott im-
mer handelte. Wo ihn ſein Amt hinrief, wo er ſeinem
Auftrag gemäs ſprechen mußte, da hörte man auch den
Mann voll Heroismus, voll Patriotismus, voll Uner-
ſchrockenheit und männlicher Entſchloſſenheit. Neben
ihm ſummten ganze Schwärme von Heuchlern, Schlei-
chern, Andächtlern, ſeufzenden Betbrüdern, und bigot-
ten Dickköpfen herum, wovon jeder das heilige Geſetz-
buch in der Hand hatte, und die Zahlen, die Verſe, die
Abſchnitte, die verſchiedenen Arten, die Vorſchriften Got-
tes zu ſammlen, zu zählen, und Ober- und Unterabthei-
lungen zu machen, aufs genauſte wußte, und es beym
Wiſſen bewenden ließ, gerade wie man oft in der chriſt-
lichen Welt mit dem theuren Wort Gottes mehr ſpielt
und tändelt, als daß man es ſeinem Geiſt und Sinn
nach, weil doch in den Buchſtaben aller Sprachen keine
Kraft ſteckt, auf Verſtand, Herz und Leben anwendet.
Aber er ſprach immer für das Anſehen der Wahrheit und
Tugend, die ſich aus dem Jnwendigen ergießt, und das

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[49/0055] Ueber den Charakter Jeſu Chriſti. immer Kreis um ihn machte, nahm nie einen Tag für ſich, arbeitete Tag und Nacht, und ermüdete nicht in einer Zeit von mehr als drey Jahren, bey allem Undank, bey der ſichtbarſten Verachtung von den Erſten und Be- rühmteſten, bey dem bitterſten Widerſtand der gelehrten Klopffechter, bey täglichen Verfolgungen. Seine Recht- ſchaffenheit, ſein Haß gegen alle Heucheley und Zurück- haltung war ſo groß, daß er die krummen Jrrgänge der Politik, wovon man ſchon zu ſeiner Zeit mit der wich- tigſten Mine ſchwatzte, als wenn es die verſchwiegenſten Geheimniſſe, und der Kern aller wahren Weisheit wä- ren, verachtete, wo er ſie hinlauſen ſah. Jm Angeſicht aller Menſchen handelte er immer, weil er vor Gott im- mer handelte. Wo ihn ſein Amt hinrief, wo er ſeinem Auftrag gemäs ſprechen mußte, da hörte man auch den Mann voll Heroismus, voll Patriotismus, voll Uner- ſchrockenheit und männlicher Entſchloſſenheit. Neben ihm ſummten ganze Schwärme von Heuchlern, Schlei- chern, Andächtlern, ſeufzenden Betbrüdern, und bigot- ten Dickköpfen herum, wovon jeder das heilige Geſetz- buch in der Hand hatte, und die Zahlen, die Verſe, die Abſchnitte, die verſchiedenen Arten, die Vorſchriften Got- tes zu ſammlen, zu zählen, und Ober- und Unterabthei- lungen zu machen, aufs genauſte wußte, und es beym Wiſſen bewenden ließ, gerade wie man oft in der chriſt- lichen Welt mit dem theuren Wort Gottes mehr ſpielt und tändelt, als daß man es ſeinem Geiſt und Sinn nach, weil doch in den Buchſtaben aller Sprachen keine Kraft ſteckt, auf Verſtand, Herz und Leben anwendet. Aber er ſprach immer für das Anſehen der Wahrheit und Tugend, die ſich aus dem Jnwendigen ergießt, und das Leben D

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/55>, abgerufen am 24.11.2024.