Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Gesinnung Jesu Christi Tempel, endlich wählte er selbst diesen Thron der Phari-säer zum Schauplatz seiner Wunder, und als er schon mit Blut und Wunden bedeckt war, als er eben zum Richtplatz geführt wurde, redete er noch mit dem mitlei- digen Theil seiner Bekannten, und gab ihnen Winke we- gen den künftigen Schicksalen ihrer Nation -- ach, großer Erlöser! wie erhaben durch deine Frömmigkeit! wie unbeweglich im Vertrauen auf Gott! wie brennend in der Menschenliebe! Jedem Elenden, den er noch sah, that er Gutes. Seine letzte Schritte bezeichnete er mit Wohlthätigkeit, seine letzte Worte waren Fürbitte für andre. Nur durch das Rufen eines Unglücklichen ließ er sich in seinen frommen Unterredungen stören. (Lucä 18, 35-43.) Da er nahe bey Jericho war, wird ein Blinder durch die Bewegungen, durch das Laufen und Schreyen des Volks aufmerksam auf ihn. Der bedau- renswürdige Mann hatte viel von der Allmacht, und eben so viel von der Gefälligkeit des Erlösers gehört; er be- nutzt also die kostbaren Augenblicke, und bittet um Hülfe. Das Volk wird unwillig darüber. Sie mey- nen, so ein gemeiner und armer Mann, der schon lange an den Straßen gelegen, dürfe einen großen Propheten, der vom Himmel gekommen, nicht anreden. Aber un- ser Erlöser -- Christen! wir müssen diesen Namen aufgeben, wenn wir nichts empfinden bey diesem schönen Zug! -- steht still, und wendet eine Minute dazu an, ei- nem Mann, der die Sonne, und die übrigen Schönhei- ten der Natur nicht sehen konnte, sein noch übriges Le- ben angenehm und vergnügt zu machen. Dem Volk, das ihn nach wenigen Tagen tödtete, rückt er seine Wohl- thaten nicht vor, er vermehrt sie vielmehr, und wird nicht
Geſinnung Jeſu Chriſti Tempel, endlich wählte er ſelbſt dieſen Thron der Phari-ſäer zum Schauplatz ſeiner Wunder, und als er ſchon mit Blut und Wunden bedeckt war, als er eben zum Richtplatz geführt wurde, redete er noch mit dem mitlei- digen Theil ſeiner Bekannten, und gab ihnen Winke we- gen den künftigen Schickſalen ihrer Nation — ach, großer Erlöſer! wie erhaben durch deine Frömmigkeit! wie unbeweglich im Vertrauen auf Gott! wie brennend in der Menſchenliebe! Jedem Elenden, den er noch ſah, that er Gutes. Seine letzte Schritte bezeichnete er mit Wohlthätigkeit, ſeine letzte Worte waren Fürbitte für andre. Nur durch das Rufen eines Unglücklichen ließ er ſich in ſeinen frommen Unterredungen ſtören. (Lucä 18, 35-43.) Da er nahe bey Jericho war, wird ein Blinder durch die Bewegungen, durch das Laufen und Schreyen des Volks aufmerkſam auf ihn. Der bedau- renswürdige Mann hatte viel von der Allmacht, und eben ſo viel von der Gefälligkeit des Erlöſers gehört; er be- nutzt alſo die koſtbaren Augenblicke, und bittet um Hülfe. Das Volk wird unwillig darüber. Sie mey- nen, ſo ein gemeiner und armer Mann, der ſchon lange an den Straßen gelegen, dürfe einen großen Propheten, der vom Himmel gekommen, nicht anreden. Aber un- ſer Erlöſer — Chriſten! wir müſſen dieſen Namen aufgeben, wenn wir nichts empfinden bey dieſem ſchönen Zug! — ſteht ſtill, und wendet eine Minute dazu an, ei- nem Mann, der die Sonne, und die übrigen Schönhei- ten der Natur nicht ſehen konnte, ſein noch übriges Le- ben angenehm und vergnügt zu machen. Dem Volk, das ihn nach wenigen Tagen tödtete, rückt er ſeine Wohl- thaten nicht vor, er vermehrt ſie vielmehr, und wird nicht
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Geſinnung Jeſu Chriſti
Tempel, endlich wählte er ſelbſt dieſen Thron der Phari-
ſäer zum Schauplatz ſeiner Wunder, und als er ſchon
mit Blut und Wunden bedeckt war, als er eben zum
Richtplatz geführt wurde, redete er noch mit dem mitlei-
digen Theil ſeiner Bekannten, und gab ihnen Winke we-
gen den künftigen Schickſalen ihrer Nation — ach,
großer Erlöſer! wie erhaben durch deine Frömmigkeit!
wie unbeweglich im Vertrauen auf Gott! wie brennend
in der Menſchenliebe! Jedem Elenden, den er noch ſah,
that er Gutes. Seine letzte Schritte bezeichnete er mit
Wohlthätigkeit, ſeine letzte Worte waren Fürbitte für
andre. Nur durch das Rufen eines Unglücklichen ließ
er ſich in ſeinen frommen Unterredungen ſtören. (Lucä
18, 35-43.) Da er nahe bey Jericho war, wird ein
Blinder durch die Bewegungen, durch das Laufen und
Schreyen des Volks aufmerkſam auf ihn. Der bedau-
renswürdige Mann hatte viel von der Allmacht, und eben
ſo viel von der Gefälligkeit des Erlöſers gehört; er be-
nutzt alſo die koſtbaren Augenblicke, und bittet um
Hülfe. Das Volk wird unwillig darüber. Sie mey-
nen, ſo ein gemeiner und armer Mann, der ſchon lange
an den Straßen gelegen, dürfe einen großen Propheten,
der vom Himmel gekommen, nicht anreden. Aber un-
ſer Erlöſer — Chriſten! wir müſſen dieſen Namen
aufgeben, wenn wir nichts empfinden bey dieſem ſchönen
Zug! — ſteht ſtill, und wendet eine Minute dazu an, ei-
nem Mann, der die Sonne, und die übrigen Schönhei-
ten der Natur nicht ſehen konnte, ſein noch übriges Le-
ben angenehm und vergnügt zu machen. Dem Volk,
das ihn nach wenigen Tagen tödtete, rückt er ſeine Wohl-
thaten nicht vor, er vermehrt ſie vielmehr, und wird
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