Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Tempelreinigung Christi.
Aufenthalt in Jerusalem die Religion der Juden kennen
zu lernen, und von ihren Vorschriften und Gebräuchen
selber Zuschauer seyn. Allein die Unduldsamkeit, und
der Stolz der jüdischen Gelehrten widersetzte sich den
großen Endzwecken Gottes. Sie wollten allein das
Volk seyn, das Gott lieben sollte, und sahen alle benach-
barte Völker als Nationen an, die nur Fluch und ewi-
ges Unglück verdienten. Sie gestatteten daher -- sie,
die als Vorsteher des Tempels dafür hätten sorgen sollen,
daß jeder Fremde gleich beym Eintritt in den Vorhof
große Begriffe von ihrem Gott hätte bekommen können,
aus Haß und Verachtung der Heiden, daß die Vieh-
händler, die Geldwechsler und Krämer sich dieses Orts,
wo der Heide, und andere Proselyten, anbeten sollten, be-
dienten, und ließen sich für diese Vergünstigung ein ge-
wisses Standgeld bezahlen. Häßliche Wirkungen des
Verfolgungsgeistes, und der Lieblosigkeit gegen andre!
Unser Erlöser aber, dem unter allerley Volk jeder,
der Gott fürchtet, und recht thut, angenehm war,

(Apost. Gesch. 10, 35.) mißbilligte diese sichtbare Ge-
ringschätzung ihrer irrenden Mitbrüder aufs äußerste,
und setzte den Platz, der dem Gebet der Heidengenossen
gewidmet war, wieder in seine vorige Rechte. Er wehrt
dem Tumult, und dem vermischten Geschrey, das mit
dem Gottesdienst nicht bestehen konnte. Mit majestäti-
schem Blick sieht er über das wilde und ungezähmte
Volk hin, und verweist diese Störer der heiligen Ruhe,
diese Schänder seiner Religion mit Ernst und Nachdruck
von einem Ort, der höheren Verrichtungen geweiht war,
und seine erste Bestimmung behalten sollte. Da man
nicht gleich wegziehen will, stürzt er mit eigener Hand

die
O

Ueber die Tempelreinigung Chriſti.
Aufenthalt in Jeruſalem die Religion der Juden kennen
zu lernen, und von ihren Vorſchriften und Gebräuchen
ſelber Zuſchauer ſeyn. Allein die Unduldſamkeit, und
der Stolz der jüdiſchen Gelehrten widerſetzte ſich den
großen Endzwecken Gottes. Sie wollten allein das
Volk ſeyn, das Gott lieben ſollte, und ſahen alle benach-
barte Völker als Nationen an, die nur Fluch und ewi-
ges Unglück verdienten. Sie geſtatteten daher — ſie,
die als Vorſteher des Tempels dafür hätten ſorgen ſollen,
daß jeder Fremde gleich beym Eintritt in den Vorhof
große Begriffe von ihrem Gott hätte bekommen können,
aus Haß und Verachtung der Heiden, daß die Vieh-
händler, die Geldwechsler und Krämer ſich dieſes Orts,
wo der Heide, und andere Proſelyten, anbeten ſollten, be-
dienten, und ließen ſich für dieſe Vergünſtigung ein ge-
wiſſes Standgeld bezahlen. Häßliche Wirkungen des
Verfolgungsgeiſtes, und der Liebloſigkeit gegen andre!
Unſer Erlöſer aber, dem unter allerley Volk jeder,
der Gott fürchtet, und recht thut, angenehm war,

(Apoſt. Geſch. 10, 35.) mißbilligte dieſe ſichtbare Ge-
ringſchätzung ihrer irrenden Mitbrüder aufs äußerſte,
und ſetzte den Platz, der dem Gebet der Heidengenoſſen
gewidmet war, wieder in ſeine vorige Rechte. Er wehrt
dem Tumult, und dem vermiſchten Geſchrey, das mit
dem Gottesdienſt nicht beſtehen konnte. Mit majeſtäti-
ſchem Blick ſieht er über das wilde und ungezähmte
Volk hin, und verweiſt dieſe Störer der heiligen Ruhe,
dieſe Schänder ſeiner Religion mit Ernſt und Nachdruck
von einem Ort, der höheren Verrichtungen geweiht war,
und ſeine erſte Beſtimmung behalten ſollte. Da man
nicht gleich wegziehen will, ſtürzt er mit eigener Hand

die
O
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0215" n="209"/><fw place="top" type="header">Ueber die Tempelreinigung Chri&#x017F;ti.</fw><lb/>
Aufenthalt in Jeru&#x017F;alem die Religion der Juden kennen<lb/>
zu lernen, und von ihren Vor&#x017F;chriften und Gebräuchen<lb/>
&#x017F;elber Zu&#x017F;chauer &#x017F;eyn. Allein die Unduld&#x017F;amkeit, und<lb/>
der Stolz der jüdi&#x017F;chen Gelehrten wider&#x017F;etzte &#x017F;ich den<lb/>
großen Endzwecken Gottes. Sie wollten allein das<lb/>
Volk &#x017F;eyn, das Gott lieben &#x017F;ollte, und &#x017F;ahen alle benach-<lb/>
barte Völker als Nationen an, die nur Fluch und ewi-<lb/>
ges Unglück verdienten. Sie ge&#x017F;tatteten daher &#x2014; &#x017F;ie,<lb/>
die als Vor&#x017F;teher des Tempels dafür hätten &#x017F;orgen &#x017F;ollen,<lb/>
daß jeder Fremde gleich beym Eintritt in den Vorhof<lb/>
große Begriffe von ihrem Gott hätte bekommen können,<lb/>
aus Haß und Verachtung der Heiden, daß die Vieh-<lb/>
händler, die Geldwechsler und Krämer &#x017F;ich die&#x017F;es Orts,<lb/>
wo der Heide, und andere Pro&#x017F;elyten, anbeten &#x017F;ollten, be-<lb/>
dienten, und ließen &#x017F;ich für die&#x017F;e Vergün&#x017F;tigung ein ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;es Standgeld bezahlen. Häßliche Wirkungen des<lb/>
Verfolgungsgei&#x017F;tes, und der Lieblo&#x017F;igkeit gegen andre!<lb/>
Un&#x017F;er Erlö&#x017F;er aber, dem <hi rendition="#fr">unter allerley Volk jeder,<lb/>
der Gott fürchtet, und recht thut, angenehm war,</hi><lb/>
(Apo&#x017F;t. Ge&#x017F;ch. 10, 35.) mißbilligte die&#x017F;e &#x017F;ichtbare Ge-<lb/>
ring&#x017F;chätzung ihrer irrenden Mitbrüder aufs äußer&#x017F;te,<lb/>
und &#x017F;etzte den Platz, der dem Gebet der Heidengeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gewidmet war, wieder in &#x017F;eine vorige Rechte. Er wehrt<lb/>
dem Tumult, und dem vermi&#x017F;chten Ge&#x017F;chrey, das mit<lb/>
dem Gottesdien&#x017F;t nicht be&#x017F;tehen konnte. Mit maje&#x017F;täti-<lb/>
&#x017F;chem Blick &#x017F;ieht er über das wilde und ungezähmte<lb/>
Volk hin, und verwei&#x017F;t die&#x017F;e Störer der heiligen Ruhe,<lb/>
die&#x017F;e Schänder &#x017F;einer Religion mit Ern&#x017F;t und Nachdruck<lb/>
von einem Ort, der höheren Verrichtungen geweiht war,<lb/>
und &#x017F;eine er&#x017F;te Be&#x017F;timmung behalten &#x017F;ollte. Da man<lb/>
nicht gleich wegziehen will, &#x017F;türzt er mit eigener Hand<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O</fw><fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0215] Ueber die Tempelreinigung Chriſti. Aufenthalt in Jeruſalem die Religion der Juden kennen zu lernen, und von ihren Vorſchriften und Gebräuchen ſelber Zuſchauer ſeyn. Allein die Unduldſamkeit, und der Stolz der jüdiſchen Gelehrten widerſetzte ſich den großen Endzwecken Gottes. Sie wollten allein das Volk ſeyn, das Gott lieben ſollte, und ſahen alle benach- barte Völker als Nationen an, die nur Fluch und ewi- ges Unglück verdienten. Sie geſtatteten daher — ſie, die als Vorſteher des Tempels dafür hätten ſorgen ſollen, daß jeder Fremde gleich beym Eintritt in den Vorhof große Begriffe von ihrem Gott hätte bekommen können, aus Haß und Verachtung der Heiden, daß die Vieh- händler, die Geldwechsler und Krämer ſich dieſes Orts, wo der Heide, und andere Proſelyten, anbeten ſollten, be- dienten, und ließen ſich für dieſe Vergünſtigung ein ge- wiſſes Standgeld bezahlen. Häßliche Wirkungen des Verfolgungsgeiſtes, und der Liebloſigkeit gegen andre! Unſer Erlöſer aber, dem unter allerley Volk jeder, der Gott fürchtet, und recht thut, angenehm war, (Apoſt. Geſch. 10, 35.) mißbilligte dieſe ſichtbare Ge- ringſchätzung ihrer irrenden Mitbrüder aufs äußerſte, und ſetzte den Platz, der dem Gebet der Heidengenoſſen gewidmet war, wieder in ſeine vorige Rechte. Er wehrt dem Tumult, und dem vermiſchten Geſchrey, das mit dem Gottesdienſt nicht beſtehen konnte. Mit majeſtäti- ſchem Blick ſieht er über das wilde und ungezähmte Volk hin, und verweiſt dieſe Störer der heiligen Ruhe, dieſe Schänder ſeiner Religion mit Ernſt und Nachdruck von einem Ort, der höheren Verrichtungen geweiht war, und ſeine erſte Beſtimmung behalten ſollte. Da man nicht gleich wegziehen will, ſtürzt er mit eigener Hand die O

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/215
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/215>, abgerufen am 24.11.2024.