Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Menschenliebe des Erlösers. Ehrenbezeugungen? Ihr vermuthet, daß sein Geist voneiner ganz ausserordentlichen Heiterkeit und Munterkeit erfüllt gewesen, und daß ihm dieses innre Vergnügen das Gesicht verschönert, das Auge mit Feuer, die Lippen mit Farbe erfüllt, und das ganze Gesicht verschönert habe? Ihr erwartet, daß er das Kniebeugen, den Kö- nigstitel, die Huldigungen und Verehrungen des Volks mit Dank angenommen, und durch Wunder belohnt habe? -- -- Beurtheilt diese ehrwürdige und ausser- ordentliche Person nicht nach dem stolzen Menschenher- zen, das, wenn die Weihrauchwolke vor ihm aufsteigt, gleich ein Gott zu seyn sich dünkt. Als Er nahe zur Stadt kam, sahe er sie an, und weinete über sie! Seine Thränen fließen in die Jubellieder, die ihm das Volk weihen will. Sein Herz klopft, aber es ist Weh- muth, es ist Bedaurung, es ist Zärtlichkeit, es ist freund- schaftlicher Kummer. Sein Gesicht glänzt, aber das ist die stumme Beredsamkeit, die er zu Hülfe nimmt, weil seine Reden keinen Eingang finden konnten. Das Volk erhebt ihn auf den Thron, und er behält beständig die Gestalt eines Vaters, dem die Last des Kummers das Haupt niederdrückt, weil er seine Kinder verlieren soll. Viele tausend Menschen beschäftigen sich mit ihm, und er vergißt sich selber; er denkt nicht daran, daß dies der Anfang zu einer Woche voll Leiden und Martern für ihn seyn soll; er sieht nur auf sie, und auf ihr künstiges Elend. Indem er den Oelberg herabkommt, und die Stadt, die damals unter allen Städten des Erdbodens die glücklichste war, den Sitz der Religion, die schon viele falsche Gottesdienste gestürzt hatte, die Wohnung der Könige, die von jeher mit dem Schwerdt Gottes gestrit-
Menſchenliebe des Erlöſers. Ehrenbezeugungen? Ihr vermuthet, daß ſein Geiſt voneiner ganz auſſerordentlichen Heiterkeit und Munterkeit erfüllt geweſen, und daß ihm dieſes innre Vergnügen das Geſicht verſchönert, das Auge mit Feuer, die Lippen mit Farbe erfüllt, und das ganze Geſicht verſchönert habe? Ihr erwartet, daß er das Kniebeugen, den Kö- nigstitel, die Huldigungen und Verehrungen des Volks mit Dank angenommen, und durch Wunder belohnt habe? — — Beurtheilt dieſe ehrwürdige und auſſer- ordentliche Perſon nicht nach dem ſtolzen Menſchenher- zen, das, wenn die Weihrauchwolke vor ihm aufſteigt, gleich ein Gott zu ſeyn ſich dünkt. Als Er nahe zur Stadt kam, ſahe er ſie an, und weinete über ſie! Seine Thränen fließen in die Jubellieder, die ihm das Volk weihen will. Sein Herz klopft, aber es iſt Weh- muth, es iſt Bedaurung, es iſt Zärtlichkeit, es iſt freund- ſchaftlicher Kummer. Sein Geſicht glänzt, aber das iſt die ſtumme Beredſamkeit, die er zu Hülfe nimmt, weil ſeine Reden keinen Eingang finden konnten. Das Volk erhebt ihn auf den Thron, und er behält beſtändig die Geſtalt eines Vaters, dem die Laſt des Kummers das Haupt niederdrückt, weil er ſeine Kinder verlieren ſoll. Viele tauſend Menſchen beſchäftigen ſich mit ihm, und er vergißt ſich ſelber; er denkt nicht daran, daß dies der Anfang zu einer Woche voll Leiden und Martern für ihn ſeyn ſoll; er ſieht nur auf ſie, und auf ihr künſtiges Elend. Indem er den Oelberg herabkommt, und die Stadt, die damals unter allen Städten des Erdbodens die glücklichſte war, den Sitz der Religion, die ſchon viele falſche Gottesdienſte geſtürzt hatte, die Wohnung der Könige, die von jeher mit dem Schwerdt Gottes geſtrit-
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Menſchenliebe des Erlöſers.
Ehrenbezeugungen? Ihr vermuthet, daß ſein Geiſt von
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erfüllt geweſen, und daß ihm dieſes innre Vergnügen
das Geſicht verſchönert, das Auge mit Feuer, die Lippen
mit Farbe erfüllt, und das ganze Geſicht verſchönert
habe? Ihr erwartet, daß er das Kniebeugen, den Kö-
nigstitel, die Huldigungen und Verehrungen des Volks
mit Dank angenommen, und durch Wunder belohnt
habe? — — Beurtheilt dieſe ehrwürdige und auſſer-
ordentliche Perſon nicht nach dem ſtolzen Menſchenher-
zen, das, wenn die Weihrauchwolke vor ihm aufſteigt,
gleich ein Gott zu ſeyn ſich dünkt. Als Er nahe zur
Stadt kam, ſahe er ſie an, und weinete über ſie!
Seine Thränen fließen in die Jubellieder, die ihm das
Volk weihen will. Sein Herz klopft, aber es iſt Weh-
muth, es iſt Bedaurung, es iſt Zärtlichkeit, es iſt freund-
ſchaftlicher Kummer. Sein Geſicht glänzt, aber das
iſt die ſtumme Beredſamkeit, die er zu Hülfe nimmt,
weil ſeine Reden keinen Eingang finden konnten. Das
Volk erhebt ihn auf den Thron, und er behält beſtändig
die Geſtalt eines Vaters, dem die Laſt des Kummers
das Haupt niederdrückt, weil er ſeine Kinder verlieren
ſoll. Viele tauſend Menſchen beſchäftigen ſich mit ihm,
und er vergißt ſich ſelber; er denkt nicht daran, daß dies
der Anfang zu einer Woche voll Leiden und Martern für
ihn ſeyn ſoll; er ſieht nur auf ſie, und auf ihr künſtiges
Elend. Indem er den Oelberg herabkommt, und die
Stadt, die damals unter allen Städten des Erdbodens
die glücklichſte war, den Sitz der Religion, die ſchon
viele falſche Gottesdienſte geſtürzt hatte, die Wohnung
der Könige, die von jeher mit dem Schwerdt Gottes
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