Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Erzählung vom Sämann.
men, Schattenspiel, Wind und Betrug leben wir die
meiste Zeit fort -- In den Abendstunden des Lebens
merken wir endlich die Täuschungen, die wir so theuer
gekauft haben, sehen es, daß wir mit der ganzen Summe
unsrer Eitelkeiten nichts Beständiges, nichts Sichers,
nichts Erquickendes gewonnen haben. Wir stehen auf
dem Feld der Kirche Gottes, wir haben den Saamen,
der in uns lebendig werden sollte, (1 Petr. 1, 23.)
erstickt, verdrängt, haben ihn nicht zur Kraft kommen
lassen; nun erhebt der Tod schon in der Nähe seine
Stimme, die Brust ist leer von guten Bewegungen und
Empfindungen, die Welt, die wir liebkosten, schleicht
sich hinter uns weg, und läßt uns mit unserm wunden
Herzen allein; wir wünschten wohl, daß wir das kranke
Gemüth an der Quelle der Religion wieder aufrichten
könnten, wir sehen es jezt, daß wir selten das Herz der
Menschen genossen haben, uns nur immer vor ihrem
Rang bücken mußten, so gut wird es uns nicht, daß wir
aus uns selber Heiterkeit schöpfen, und mit stiller Freude
auf gute Thaten, auf redliche treuherzige Menschenliebe
herabsehen könnten, zusammengedrückt, von unsrer eige-
nen Verlassenheit gequält -- -- aber nein, ich will
nicht auf das scheidende Leben, auf die ringende Seele
hinschauen. An solchen Menschen wird auch auf dem
Sterbebette das Wort des Erlösers, das so schrecklich
ist, wahr: Sie ersticken es, und bringen keine
Frucht!
(Lucä 8, 14.) Kann man es auch genug sagen,
daß sich unsre Leidenschaften in alles mischen, und alles
beflecken, so wie ein Gartenstück, das wir ohne Sorg-
falt bloß dem Willen der Natur überlassen, das Unkraut
eben so gern trägt und ernährt, als den guten Saamen?

O war-
M 5

Ueber die Erzählung vom Sämann.
men, Schattenſpiel, Wind und Betrug leben wir die
meiſte Zeit fort — In den Abendſtunden des Lebens
merken wir endlich die Täuſchungen, die wir ſo theuer
gekauft haben, ſehen es, daß wir mit der ganzen Summe
unſrer Eitelkeiten nichts Beſtändiges, nichts Sichers,
nichts Erquickendes gewonnen haben. Wir ſtehen auf
dem Feld der Kirche Gottes, wir haben den Saamen,
der in uns lebendig werden ſollte, (1 Petr. 1, 23.)
erſtickt, verdrängt, haben ihn nicht zur Kraft kommen
laſſen; nun erhebt der Tod ſchon in der Nähe ſeine
Stimme, die Bruſt iſt leer von guten Bewegungen und
Empfindungen, die Welt, die wir liebkoſten, ſchleicht
ſich hinter uns weg, und läßt uns mit unſerm wunden
Herzen allein; wir wünſchten wohl, daß wir das kranke
Gemüth an der Quelle der Religion wieder aufrichten
könnten, wir ſehen es jezt, daß wir ſelten das Herz der
Menſchen genoſſen haben, uns nur immer vor ihrem
Rang bücken mußten, ſo gut wird es uns nicht, daß wir
aus uns ſelber Heiterkeit ſchöpfen, und mit ſtiller Freude
auf gute Thaten, auf redliche treuherzige Menſchenliebe
herabſehen könnten, zuſammengedrückt, von unſrer eige-
nen Verlaſſenheit gequält — — aber nein, ich will
nicht auf das ſcheidende Leben, auf die ringende Seele
hinſchauen. An ſolchen Menſchen wird auch auf dem
Sterbebette das Wort des Erlöſers, das ſo ſchrecklich
iſt, wahr: Sie erſticken es, und bringen keine
Frucht!
(Lucä 8, 14.) Kann man es auch genug ſagen,
daß ſich unſre Leidenſchaften in alles miſchen, und alles
beflecken, ſo wie ein Gartenſtück, das wir ohne Sorg-
falt bloß dem Willen der Natur überlaſſen, das Unkraut
eben ſo gern trägt und ernährt, als den guten Saamen?

O war-
M 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="185"/><fw place="top" type="header">Ueber die Erzählung vom Sämann.</fw><lb/>
men, Schatten&#x017F;piel, Wind und Betrug leben wir die<lb/>
mei&#x017F;te Zeit fort &#x2014; In den Abend&#x017F;tunden des Lebens<lb/>
merken wir endlich die Täu&#x017F;chungen, die wir &#x017F;o theuer<lb/>
gekauft haben, &#x017F;ehen es, daß wir mit der ganzen Summe<lb/>
un&#x017F;rer Eitelkeiten nichts Be&#x017F;tändiges, nichts Sichers,<lb/>
nichts Erquickendes gewonnen haben. Wir &#x017F;tehen auf<lb/>
dem Feld der Kirche Gottes, wir haben den Saamen,<lb/><hi rendition="#fr">der in uns lebendig werden &#x017F;ollte,</hi> (1 Petr. 1, 23.)<lb/>
er&#x017F;tickt, verdrängt, haben ihn nicht zur Kraft kommen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en; nun erhebt der Tod &#x017F;chon in der Nähe &#x017F;eine<lb/>
Stimme, die Bru&#x017F;t i&#x017F;t leer von guten Bewegungen und<lb/>
Empfindungen, die Welt, die wir liebko&#x017F;ten, &#x017F;chleicht<lb/>
&#x017F;ich hinter uns weg, und läßt uns mit un&#x017F;erm wunden<lb/>
Herzen allein; wir wün&#x017F;chten wohl, daß wir das kranke<lb/>
Gemüth an der Quelle der Religion wieder aufrichten<lb/>
könnten, wir &#x017F;ehen es jezt, daß wir &#x017F;elten das Herz der<lb/>
Men&#x017F;chen geno&#x017F;&#x017F;en haben, uns nur immer vor ihrem<lb/>
Rang bücken mußten, &#x017F;o gut wird es uns nicht, daß wir<lb/>
aus uns &#x017F;elber Heiterkeit &#x017F;chöpfen, und mit &#x017F;tiller Freude<lb/>
auf gute Thaten, auf redliche treuherzige Men&#x017F;chenliebe<lb/>
herab&#x017F;ehen könnten, zu&#x017F;ammengedrückt, von un&#x017F;rer eige-<lb/>
nen Verla&#x017F;&#x017F;enheit gequält &#x2014; &#x2014; aber nein, ich will<lb/>
nicht auf das &#x017F;cheidende Leben, auf die ringende Seele<lb/>
hin&#x017F;chauen. An &#x017F;olchen Men&#x017F;chen wird auch auf dem<lb/>
Sterbebette das Wort des Erlö&#x017F;ers, das &#x017F;o &#x017F;chrecklich<lb/>
i&#x017F;t, wahr: <hi rendition="#fr">Sie er&#x017F;ticken es, und bringen keine<lb/>
Frucht!</hi> (Lucä 8, 14.) Kann man es auch genug &#x017F;agen,<lb/>
daß &#x017F;ich un&#x017F;re Leiden&#x017F;chaften in alles mi&#x017F;chen, und alles<lb/>
beflecken, &#x017F;o wie ein Garten&#x017F;tück, das wir ohne Sorg-<lb/>
falt bloß dem Willen der Natur überla&#x017F;&#x017F;en, das Unkraut<lb/>
eben &#x017F;o gern trägt und ernährt, als den guten Saamen?<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 5</fw><fw place="bottom" type="catch">O war-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0191] Ueber die Erzählung vom Sämann. men, Schattenſpiel, Wind und Betrug leben wir die meiſte Zeit fort — In den Abendſtunden des Lebens merken wir endlich die Täuſchungen, die wir ſo theuer gekauft haben, ſehen es, daß wir mit der ganzen Summe unſrer Eitelkeiten nichts Beſtändiges, nichts Sichers, nichts Erquickendes gewonnen haben. Wir ſtehen auf dem Feld der Kirche Gottes, wir haben den Saamen, der in uns lebendig werden ſollte, (1 Petr. 1, 23.) erſtickt, verdrängt, haben ihn nicht zur Kraft kommen laſſen; nun erhebt der Tod ſchon in der Nähe ſeine Stimme, die Bruſt iſt leer von guten Bewegungen und Empfindungen, die Welt, die wir liebkoſten, ſchleicht ſich hinter uns weg, und läßt uns mit unſerm wunden Herzen allein; wir wünſchten wohl, daß wir das kranke Gemüth an der Quelle der Religion wieder aufrichten könnten, wir ſehen es jezt, daß wir ſelten das Herz der Menſchen genoſſen haben, uns nur immer vor ihrem Rang bücken mußten, ſo gut wird es uns nicht, daß wir aus uns ſelber Heiterkeit ſchöpfen, und mit ſtiller Freude auf gute Thaten, auf redliche treuherzige Menſchenliebe herabſehen könnten, zuſammengedrückt, von unſrer eige- nen Verlaſſenheit gequält — — aber nein, ich will nicht auf das ſcheidende Leben, auf die ringende Seele hinſchauen. An ſolchen Menſchen wird auch auf dem Sterbebette das Wort des Erlöſers, das ſo ſchrecklich iſt, wahr: Sie erſticken es, und bringen keine Frucht! (Lucä 8, 14.) Kann man es auch genug ſagen, daß ſich unſre Leidenſchaften in alles miſchen, und alles beflecken, ſo wie ein Gartenſtück, das wir ohne Sorg- falt bloß dem Willen der Natur überlaſſen, das Unkraut eben ſo gern trägt und ernährt, als den guten Saamen? O war- M 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/191
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/191>, abgerufen am 21.11.2024.