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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Menschenliebe des Erlösers.
könnten. In unser Haus eingekerkert verlieren wir so
manche Gelegenheit, Gottes mannichfaltige Güte zu be-
merken, und uns darüber mit andern zu freuen. Die
Klagen begegnen sich, die Seufzer stoßen auf Seufzer,
das freundliche Gesicht des einen weckt die Thränen des
andern auf, wir schmachten alle nach Ruhe, nach Frey-
heit, und hören doch nicht eher auf, bis wir uns selber
Ketten angelegt haben, die uns drücken, und uns in
kurzem zu schwer werden -- O Christen, das ist wahr-
lich nicht Gottes Wille. So erhört er -- können wir
etwas Schrecklicheres sagen? unser armes Gebet nicht,
so erlangen wir seinen Segen nicht, so gefallen ihm un-
sre Wege nicht. Umarmt einander als Brüder, und
begegnet einander liebreich und freundlich. Eure Ge-
lindigkeit müsse sich an jedem Menschen offenba-
ren.
(Phil. 4, 5.) Haben wir doch alle Einen
Gott, Einen Vater, Einen Herrn Jesum Chri-
stum, Eine Taufe, Ein Abendmahl, Einen Glau-
ben, Eine Hoffnung, Einen Gott und Vater
über uns alle!
(Ephes. 4.) Schicken wir uns nur
bald dazu an, Erde und Staub zu werden, und nicht
heftig über Dinge zu streiten, die entweder nicht bey uns
bleiben können, oder die wir selber bald zurücklassen müs-
sen! Bahnen wir uns nur früh den Weg zu Gott! Wer
einmal das Nichts der irrdischen Kostbarkeiten gesehen
hat, der flieht vor dem Gepränge dieses Lebens. Wohl
dem, dem Natur und Religion über alles geht, der auch
sich selber lebt, an der stillen Eingezogenheit Freude fin-
det, gerne Gutes hinterläßt, das auch noch, wenn er
lange verwest ist, andrer Menschen Elend vermindert,
der das Herz am sternenhellen Abend zu Gott erhebt, und

aufrich-

Menſchenliebe des Erlöſers.
könnten. In unſer Haus eingekerkert verlieren wir ſo
manche Gelegenheit, Gottes mannichfaltige Güte zu be-
merken, und uns darüber mit andern zu freuen. Die
Klagen begegnen ſich, die Seufzer ſtoßen auf Seufzer,
das freundliche Geſicht des einen weckt die Thränen des
andern auf, wir ſchmachten alle nach Ruhe, nach Frey-
heit, und hören doch nicht eher auf, bis wir uns ſelber
Ketten angelegt haben, die uns drücken, und uns in
kurzem zu ſchwer werden — O Chriſten, das iſt wahr-
lich nicht Gottes Wille. So erhört er — können wir
etwas Schrecklicheres ſagen? unſer armes Gebet nicht,
ſo erlangen wir ſeinen Segen nicht, ſo gefallen ihm un-
ſre Wege nicht. Umarmt einander als Brüder, und
begegnet einander liebreich und freundlich. Eure Ge-
lindigkeit müſſe ſich an jedem Menſchen offenba-
ren.
(Phil. 4, 5.) Haben wir doch alle Einen
Gott, Einen Vater, Einen Herrn Jeſum Chri-
ſtum, Eine Taufe, Ein Abendmahl, Einen Glau-
ben, Eine Hoffnung, Einen Gott und Vater
über uns alle!
(Epheſ. 4.) Schicken wir uns nur
bald dazu an, Erde und Staub zu werden, und nicht
heftig über Dinge zu ſtreiten, die entweder nicht bey uns
bleiben können, oder die wir ſelber bald zurücklaſſen müſ-
ſen! Bahnen wir uns nur früh den Weg zu Gott! Wer
einmal das Nichts der irrdiſchen Koſtbarkeiten geſehen
hat, der flieht vor dem Gepränge dieſes Lebens. Wohl
dem, dem Natur und Religion über alles geht, der auch
ſich ſelber lebt, an der ſtillen Eingezogenheit Freude fin-
det, gerne Gutes hinterläßt, das auch noch, wenn er
lange verweſt iſt, andrer Menſchen Elend vermindert,
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[156/0162] Menſchenliebe des Erlöſers. könnten. In unſer Haus eingekerkert verlieren wir ſo manche Gelegenheit, Gottes mannichfaltige Güte zu be- merken, und uns darüber mit andern zu freuen. Die Klagen begegnen ſich, die Seufzer ſtoßen auf Seufzer, das freundliche Geſicht des einen weckt die Thränen des andern auf, wir ſchmachten alle nach Ruhe, nach Frey- heit, und hören doch nicht eher auf, bis wir uns ſelber Ketten angelegt haben, die uns drücken, und uns in kurzem zu ſchwer werden — O Chriſten, das iſt wahr- lich nicht Gottes Wille. So erhört er — können wir etwas Schrecklicheres ſagen? unſer armes Gebet nicht, ſo erlangen wir ſeinen Segen nicht, ſo gefallen ihm un- ſre Wege nicht. Umarmt einander als Brüder, und begegnet einander liebreich und freundlich. Eure Ge- lindigkeit müſſe ſich an jedem Menſchen offenba- ren. (Phil. 4, 5.) Haben wir doch alle Einen Gott, Einen Vater, Einen Herrn Jeſum Chri- ſtum, Eine Taufe, Ein Abendmahl, Einen Glau- ben, Eine Hoffnung, Einen Gott und Vater über uns alle! (Epheſ. 4.) Schicken wir uns nur bald dazu an, Erde und Staub zu werden, und nicht heftig über Dinge zu ſtreiten, die entweder nicht bey uns bleiben können, oder die wir ſelber bald zurücklaſſen müſ- ſen! Bahnen wir uns nur früh den Weg zu Gott! Wer einmal das Nichts der irrdiſchen Koſtbarkeiten geſehen hat, der flieht vor dem Gepränge dieſes Lebens. Wohl dem, dem Natur und Religion über alles geht, der auch ſich ſelber lebt, an der ſtillen Eingezogenheit Freude fin- det, gerne Gutes hinterläßt, das auch noch, wenn er lange verweſt iſt, andrer Menſchen Elend vermindert, der das Herz am ſternenhellen Abend zu Gott erhebt, und aufrich-

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/162>, abgerufen am 23.06.2024.