ist ein reizender Anblick, das ist Gottes erhabenstes Werk unter den Menschen!
Zu den Zeiten des Erlösers war es nöthig, dem Menschengeschlecht Gerechtigkeit, Sanftmuth, Bil- ligkeit und Freygebigkeit, als die Stützen des gesell- schaftlichen Lebens zu predigen, und er that dies mehr als einmal. Der Jude maßte sich das höchste Majestäts- recht Gottes an, und sprach den Heiden alle Seligkeit ab. Unser Heiland, der das menschliche Herz in seinen Falten kennen gelernet hatte, wußte, wie geschwind die schäd- liche Hitze des Zorns und andrer Affecten Menschen zum Verdammungsurtheil hinreißt. Er mißbilligt diese unnatürliche Härte aufs äußerste, und beruft sich auf das, was jedem sein eigenes Herz sagen muß. Richtet nicht, verdammet andre nicht, so werdet ihr auch nicht verurtheilt. (Lucä 6, 37.) So viele Mühe gab er sich, die Liebe, die das Band aller Tugenden ist, recht tief einzupflanzen unter den Menschen. Jhr reizet ja, sagt er, durch jeden unbefugten, schielenden, lieblosen, einseitigen, unbilligen Richterspruch den Unwillen des Nächsten, und erfahrt in kurzer Zeit die nämlichen Krän- kungen. Eine andre Ursache des öftern Misvergnü- gens ist das hartnäckige Andenken an empfangene Be- leidigungen. Aber vergebet, sagt unser Heiland, so wird euch vergeben. Erinnert euch eurer eigenen Schwachheit und Gebrechlichkeit. Wer kann sich rüh- men, daß er ohne Anstoß wandle, und keinen seiner Brüder je beleidigt habe? Wer ist sicher, daß er nicht heute noch fallen, und durch wenige unvorsichtige Worte ein großes Feuer anzünden werde? Würden wir dann
nicht
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Seine Vorſchriften zur Liebe.
iſt ein reizender Anblick, das iſt Gottes erhabenſtes Werk unter den Menſchen!
Zu den Zeiten des Erlöſers war es nöthig, dem Menſchengeſchlecht Gerechtigkeit, Sanftmuth, Bil- ligkeit und Freygebigkeit, als die Stützen des geſell- ſchaftlichen Lebens zu predigen, und er that dies mehr als einmal. Der Jude maßte ſich das höchſte Majeſtäts- recht Gottes an, und ſprach den Heiden alle Seligkeit ab. Unſer Heiland, der das menſchliche Herz in ſeinen Falten kennen gelernet hatte, wußte, wie geſchwind die ſchäd- liche Hitze des Zorns und andrer Affecten Menſchen zum Verdammungsurtheil hinreißt. Er mißbilligt dieſe unnatürliche Härte aufs äußerſte, und beruft ſich auf das, was jedem ſein eigenes Herz ſagen muß. Richtet nicht, verdammet andre nicht, ſo werdet ihr auch nicht verurtheilt. (Lucä 6, 37.) So viele Mühe gab er ſich, die Liebe, die das Band aller Tugenden iſt, recht tief einzupflanzen unter den Menſchen. Jhr reizet ja, ſagt er, durch jeden unbefugten, ſchielenden, liebloſen, einſeitigen, unbilligen Richterſpruch den Unwillen des Nächſten, und erfahrt in kurzer Zeit die nämlichen Krän- kungen. Eine andre Urſache des öftern Misvergnü- gens iſt das hartnäckige Andenken an empfangene Be- leidigungen. Aber vergebet, ſagt unſer Heiland, ſo wird euch vergeben. Erinnert euch eurer eigenen Schwachheit und Gebrechlichkeit. Wer kann ſich rüh- men, daß er ohne Anſtoß wandle, und keinen ſeiner Brüder je beleidigt habe? Wer iſt ſicher, daß er nicht heute noch fallen, und durch wenige unvorſichtige Worte ein großes Feuer anzünden werde? Würden wir dann
nicht
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Seine Vorſchriften zur Liebe.
iſt ein reizender Anblick, das iſt Gottes erhabenſtes
Werk unter den Menſchen!
Zu den Zeiten des Erlöſers war es nöthig, dem
Menſchengeſchlecht Gerechtigkeit, Sanftmuth, Bil-
ligkeit und Freygebigkeit, als die Stützen des geſell-
ſchaftlichen Lebens zu predigen, und er that dies mehr als
einmal. Der Jude maßte ſich das höchſte Majeſtäts-
recht Gottes an, und ſprach den Heiden alle Seligkeit ab.
Unſer Heiland, der das menſchliche Herz in ſeinen Falten
kennen gelernet hatte, wußte, wie geſchwind die ſchäd-
liche Hitze des Zorns und andrer Affecten Menſchen
zum Verdammungsurtheil hinreißt. Er mißbilligt dieſe
unnatürliche Härte aufs äußerſte, und beruft ſich auf
das, was jedem ſein eigenes Herz ſagen muß. Richtet
nicht, verdammet andre nicht, ſo werdet ihr auch
nicht verurtheilt. (Lucä 6, 37.) So viele Mühe gab
er ſich, die Liebe, die das Band aller Tugenden iſt, recht
tief einzupflanzen unter den Menſchen. Jhr reizet ja,
ſagt er, durch jeden unbefugten, ſchielenden, liebloſen,
einſeitigen, unbilligen Richterſpruch den Unwillen des
Nächſten, und erfahrt in kurzer Zeit die nämlichen Krän-
kungen. Eine andre Urſache des öftern Misvergnü-
gens iſt das hartnäckige Andenken an empfangene Be-
leidigungen. Aber vergebet, ſagt unſer Heiland, ſo
wird euch vergeben. Erinnert euch eurer eigenen
Schwachheit und Gebrechlichkeit. Wer kann ſich rüh-
men, daß er ohne Anſtoß wandle, und keinen ſeiner
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/155>, abgerufen am 23.06.2024.
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