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Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

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Menschenliebe des Erlösers.
zu verbinden, ihrer Unwissenheit abzuhelfen, ihre Vor-
urtheile zu berichtigen, ihren sinkenden Muth zu befesti-
gen, ihre traurige Empfindungen in Freude zu verwan-
deln, und mit einer wohlwollenden Seele sich an frem-
den Wohlstand zu ergötzen. Nach der Vorschrift des
Erlösers ist der Eigensüchtige, der um eitler Ehre, um
seines Nutzens, um seines Ansehens willen Gutes thut,
noch weit entfernt von seiner Gemeinschaft. Jesus ver-
langt aber keine weichliche Liebe, die sich ohne Grund-
sätze, ohne Rücksicht auf Personen und Umstände allzu-
leicht ergießt. Man vermenge die flüchtige Zärtlichkeit,
die aus einigen plötzlichen und vorübergehenden Wallun-
gen des Bluts entsteht, so oft ein Unglücklicher vor uns
tritt, nicht mit der weisen und gerechten Wohlthätigkeit,
die der Heiland seinen Anhängern vorschreibt. Er knüpst,
und o wie vortrefflich! das warme gute Herz, das wir
alle haben sollen, nicht an zarte, reizbare, empfindsame
Nerven, nicht an eine Einbildung, die durch Spiele
und Gemälde so erhitzt ist, daß sie leicht Feuer fängt, er
knüpft es an die Liebe Gottes gegen uns, und giebt
uns daran den besten, den richtigsten Maaßstab, wornach
wir die Ergießungen der Liebe abmessen sollen. Die
Gesundheit der Seele, das wahre dauerhafte Glück an-
drer Menschen, ihre Vereinigung mit dem höchsten We-
sen -- das ist der Zweck der göttlichen Liebe, und also
muß auch das zuerst das Ziel unsrer Wünsche seyn.
Wohlgeordnet, regelmäßig, rein und aufrichtig, fest und
standhaft ist das Wohlwollen des Christen. Die Liebe
des Wollüstigen
erhebt sich nicht zu diesem hohen
Rang. Sie dauret nur so lang, als die Berauschung
währt, dann reißt sich der Verächtliche vom Gegenstand

seiner

Menſchenliebe des Erlöſers.
zu verbinden, ihrer Unwiſſenheit abzuhelfen, ihre Vor-
urtheile zu berichtigen, ihren ſinkenden Muth zu befeſti-
gen, ihre traurige Empfindungen in Freude zu verwan-
deln, und mit einer wohlwollenden Seele ſich an frem-
den Wohlſtand zu ergötzen. Nach der Vorſchrift des
Erlöſers iſt der Eigenſüchtige, der um eitler Ehre, um
ſeines Nutzens, um ſeines Anſehens willen Gutes thut,
noch weit entfernt von ſeiner Gemeinſchaft. Jeſus ver-
langt aber keine weichliche Liebe, die ſich ohne Grund-
ſätze, ohne Rückſicht auf Perſonen und Umſtände allzu-
leicht ergießt. Man vermenge die flüchtige Zärtlichkeit,
die aus einigen plötzlichen und vorübergehenden Wallun-
gen des Bluts entſteht, ſo oft ein Unglücklicher vor uns
tritt, nicht mit der weiſen und gerechten Wohlthätigkeit,
die der Heiland ſeinen Anhängern vorſchreibt. Er knüpſt,
und o wie vortrefflich! das warme gute Herz, das wir
alle haben ſollen, nicht an zarte, reizbare, empfindſame
Nerven, nicht an eine Einbildung, die durch Spiele
und Gemälde ſo erhitzt iſt, daß ſie leicht Feuer fängt, er
knüpft es an die Liebe Gottes gegen uns, und giebt
uns daran den beſten, den richtigſten Maaßſtab, wornach
wir die Ergießungen der Liebe abmeſſen ſollen. Die
Geſundheit der Seele, das wahre dauerhafte Glück an-
drer Menſchen, ihre Vereinigung mit dem höchſten We-
ſen — das iſt der Zweck der göttlichen Liebe, und alſo
muß auch das zuerſt das Ziel unſrer Wünſche ſeyn.
Wohlgeordnet, regelmäßig, rein und aufrichtig, feſt und
ſtandhaft iſt das Wohlwollen des Chriſten. Die Liebe
des Wollüſtigen
erhebt ſich nicht zu dieſem hohen
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[142/0148] Menſchenliebe des Erlöſers. zu verbinden, ihrer Unwiſſenheit abzuhelfen, ihre Vor- urtheile zu berichtigen, ihren ſinkenden Muth zu befeſti- gen, ihre traurige Empfindungen in Freude zu verwan- deln, und mit einer wohlwollenden Seele ſich an frem- den Wohlſtand zu ergötzen. Nach der Vorſchrift des Erlöſers iſt der Eigenſüchtige, der um eitler Ehre, um ſeines Nutzens, um ſeines Anſehens willen Gutes thut, noch weit entfernt von ſeiner Gemeinſchaft. Jeſus ver- langt aber keine weichliche Liebe, die ſich ohne Grund- ſätze, ohne Rückſicht auf Perſonen und Umſtände allzu- leicht ergießt. Man vermenge die flüchtige Zärtlichkeit, die aus einigen plötzlichen und vorübergehenden Wallun- gen des Bluts entſteht, ſo oft ein Unglücklicher vor uns tritt, nicht mit der weiſen und gerechten Wohlthätigkeit, die der Heiland ſeinen Anhängern vorſchreibt. Er knüpſt, und o wie vortrefflich! das warme gute Herz, das wir alle haben ſollen, nicht an zarte, reizbare, empfindſame Nerven, nicht an eine Einbildung, die durch Spiele und Gemälde ſo erhitzt iſt, daß ſie leicht Feuer fängt, er knüpft es an die Liebe Gottes gegen uns, und giebt uns daran den beſten, den richtigſten Maaßſtab, wornach wir die Ergießungen der Liebe abmeſſen ſollen. Die Geſundheit der Seele, das wahre dauerhafte Glück an- drer Menſchen, ihre Vereinigung mit dem höchſten We- ſen — das iſt der Zweck der göttlichen Liebe, und alſo muß auch das zuerſt das Ziel unſrer Wünſche ſeyn. Wohlgeordnet, regelmäßig, rein und aufrichtig, feſt und ſtandhaft iſt das Wohlwollen des Chriſten. Die Liebe des Wollüſtigen erhebt ſich nicht zu dieſem hohen Rang. Sie dauret nur ſo lang, als die Berauſchung währt, dann reißt ſich der Verächtliche vom Gegenſtand ſeiner

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/148>, abgerufen am 24.06.2024.