Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschenliebe des Erlösers.
Rachsucht und jeder andern feindseligen Gesinnung zu
reinigen, und jeden Menschen, als ein Geschöpf Gottes,
als einen Miterlösten, als einen Bürger des Himmels
zu lieben, und uns an seinem Guten, an den Vollkom-
menheiten, die ihm Gottes freye Gnade geschenkt hat, zu
ergötzen! Wohlthätigste Religion, warum folgen dir doch
so wenige? Warum lernen wir nicht von dir, Liebe
üben und demüthig seyn vor Gott?
Herr, der du
alles kannst, rette uns doch von der Macht der Sünde,
von der unglücklichen Herrschaft der Begierden, von der
Gewalt der Zerstreuungen, von der Leichtsinnigkeit und
Undankbarkeit. Befreye uns von dem thörichten Hang,
nur allein für diese Welt zu leben, und deine väterliche
Absichten an uns, oder an andern zu verherrlichen. Lehre
uns die Kunst, Gott und Menschen, Welt und Himmel,
Vergnügen und Tugend, Freude und göttliche Traurig-
keit, Andacht und Arbeitsamkeit mit einander zu verbin-
den. Lehre uns sammlen, und doch zufrieden seyn mit
dem, was du uns giebst. Lehre uns arm seyn, und doch
ein Herz voll Vertrauen auf dich haben. Lehre uns ne-
ben Reichen und Vornehmen stehen, ohne neidische Blicke
auf ihre Vorzüge fliegen zu lassen. Lehre uns die Süs-
sigkeit der allgemeinen Menschenliebe auf unsrer Reise
durch diese mühevolle Welt genießen. Lehre uns das,
du, der du die Quelle aller Wahrheit, und der Vater al-
ler Glückseligkeit bist! -- Aber giebt es nicht oft Men-
schen, die die ganze Schöpfung um sich herum verwüste-
ten, wenn nur sie ihre Wünsche erreichen, und dem un-
ersättlichen Herzen alle Güter anbieten könnten? Jst
nicht das Leben von vielen ein wahrer Frohndienst, und
die kurze Reise durch die Welt eine Bürde, die sie kaum

tragen
J 5

Menſchenliebe des Erlöſers.
Rachſucht und jeder andern feindſeligen Geſinnung zu
reinigen, und jeden Menſchen, als ein Geſchöpf Gottes,
als einen Miterlöſten, als einen Bürger des Himmels
zu lieben, und uns an ſeinem Guten, an den Vollkom-
menheiten, die ihm Gottes freye Gnade geſchenkt hat, zu
ergötzen! Wohlthätigſte Religion, warum folgen dir doch
ſo wenige? Warum lernen wir nicht von dir, Liebe
üben und demüthig ſeyn vor Gott?
Herr, der du
alles kannſt, rette uns doch von der Macht der Sünde,
von der unglücklichen Herrſchaft der Begierden, von der
Gewalt der Zerſtreuungen, von der Leichtſinnigkeit und
Undankbarkeit. Befreye uns von dem thörichten Hang,
nur allein für dieſe Welt zu leben, und deine väterliche
Abſichten an uns, oder an andern zu verherrlichen. Lehre
uns die Kunſt, Gott und Menſchen, Welt und Himmel,
Vergnügen und Tugend, Freude und göttliche Traurig-
keit, Andacht und Arbeitſamkeit mit einander zu verbin-
den. Lehre uns ſammlen, und doch zufrieden ſeyn mit
dem, was du uns giebſt. Lehre uns arm ſeyn, und doch
ein Herz voll Vertrauen auf dich haben. Lehre uns ne-
ben Reichen und Vornehmen ſtehen, ohne neidiſche Blicke
auf ihre Vorzüge fliegen zu laſſen. Lehre uns die Süſ-
ſigkeit der allgemeinen Menſchenliebe auf unſrer Reiſe
durch dieſe mühevolle Welt genießen. Lehre uns das,
du, der du die Quelle aller Wahrheit, und der Vater al-
ler Glückſeligkeit biſt! — Aber giebt es nicht oft Men-
ſchen, die die ganze Schöpfung um ſich herum verwüſte-
ten, wenn nur ſie ihre Wünſche erreichen, und dem un-
erſättlichen Herzen alle Güter anbieten könnten? Jſt
nicht das Leben von vielen ein wahrer Frohndienſt, und
die kurze Reiſe durch die Welt eine Bürde, die ſie kaum

tragen
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="137"/><fw place="top" type="header">Men&#x017F;chenliebe des Erlö&#x017F;ers.</fw><lb/>
Rach&#x017F;ucht und jeder andern feind&#x017F;eligen Ge&#x017F;innung zu<lb/>
reinigen, und jeden Men&#x017F;chen, als ein Ge&#x017F;chöpf Gottes,<lb/>
als einen Miterlö&#x017F;ten, als einen Bürger des Himmels<lb/>
zu lieben, und uns an &#x017F;einem Guten, an den Vollkom-<lb/>
menheiten, die ihm Gottes freye Gnade ge&#x017F;chenkt hat, zu<lb/>
ergötzen! Wohlthätig&#x017F;te Religion, warum folgen dir doch<lb/>
&#x017F;o wenige? Warum lernen wir nicht von dir, <hi rendition="#fr">Liebe<lb/>
üben und demüthig &#x017F;eyn vor Gott?</hi> Herr, der du<lb/>
alles kann&#x017F;t, rette uns doch von der Macht der Sünde,<lb/>
von der unglücklichen Herr&#x017F;chaft der Begierden, von der<lb/>
Gewalt der Zer&#x017F;treuungen, von der Leicht&#x017F;innigkeit und<lb/>
Undankbarkeit. Befreye uns von dem thörichten Hang,<lb/>
nur allein für die&#x017F;e Welt zu leben, und deine väterliche<lb/>
Ab&#x017F;ichten an uns, oder an andern zu verherrlichen. Lehre<lb/>
uns die Kun&#x017F;t, Gott und Men&#x017F;chen, Welt und Himmel,<lb/>
Vergnügen und Tugend, Freude und göttliche Traurig-<lb/>
keit, Andacht und Arbeit&#x017F;amkeit mit einander zu verbin-<lb/>
den. Lehre uns &#x017F;ammlen, und doch zufrieden &#x017F;eyn mit<lb/>
dem, was du uns gieb&#x017F;t. Lehre uns arm &#x017F;eyn, und doch<lb/>
ein Herz voll Vertrauen auf dich haben. Lehre uns ne-<lb/>
ben Reichen und Vornehmen &#x017F;tehen, ohne neidi&#x017F;che Blicke<lb/>
auf ihre Vorzüge fliegen zu la&#x017F;&#x017F;en. Lehre uns die Sü&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igkeit der allgemeinen Men&#x017F;chenliebe auf un&#x017F;rer Rei&#x017F;e<lb/>
durch die&#x017F;e mühevolle Welt genießen. Lehre uns das,<lb/>
du, der du die Quelle aller Wahrheit, und der Vater al-<lb/>
ler Glück&#x017F;eligkeit bi&#x017F;t! &#x2014; Aber giebt es nicht oft Men-<lb/>
&#x017F;chen, die die ganze Schöpfung um &#x017F;ich herum verwü&#x017F;te-<lb/>
ten, wenn nur &#x017F;ie ihre Wün&#x017F;che erreichen, und dem un-<lb/>
er&#x017F;ättlichen Herzen alle Güter anbieten könnten? J&#x017F;t<lb/>
nicht das Leben von vielen ein wahrer Frohndien&#x017F;t, und<lb/>
die kurze Rei&#x017F;e durch die Welt eine Bürde, die &#x017F;ie kaum<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5</fw><fw place="bottom" type="catch">tragen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0143] Menſchenliebe des Erlöſers. Rachſucht und jeder andern feindſeligen Geſinnung zu reinigen, und jeden Menſchen, als ein Geſchöpf Gottes, als einen Miterlöſten, als einen Bürger des Himmels zu lieben, und uns an ſeinem Guten, an den Vollkom- menheiten, die ihm Gottes freye Gnade geſchenkt hat, zu ergötzen! Wohlthätigſte Religion, warum folgen dir doch ſo wenige? Warum lernen wir nicht von dir, Liebe üben und demüthig ſeyn vor Gott? Herr, der du alles kannſt, rette uns doch von der Macht der Sünde, von der unglücklichen Herrſchaft der Begierden, von der Gewalt der Zerſtreuungen, von der Leichtſinnigkeit und Undankbarkeit. Befreye uns von dem thörichten Hang, nur allein für dieſe Welt zu leben, und deine väterliche Abſichten an uns, oder an andern zu verherrlichen. Lehre uns die Kunſt, Gott und Menſchen, Welt und Himmel, Vergnügen und Tugend, Freude und göttliche Traurig- keit, Andacht und Arbeitſamkeit mit einander zu verbin- den. Lehre uns ſammlen, und doch zufrieden ſeyn mit dem, was du uns giebſt. Lehre uns arm ſeyn, und doch ein Herz voll Vertrauen auf dich haben. Lehre uns ne- ben Reichen und Vornehmen ſtehen, ohne neidiſche Blicke auf ihre Vorzüge fliegen zu laſſen. Lehre uns die Süſ- ſigkeit der allgemeinen Menſchenliebe auf unſrer Reiſe durch dieſe mühevolle Welt genießen. Lehre uns das, du, der du die Quelle aller Wahrheit, und der Vater al- ler Glückſeligkeit biſt! — Aber giebt es nicht oft Men- ſchen, die die ganze Schöpfung um ſich herum verwüſte- ten, wenn nur ſie ihre Wünſche erreichen, und dem un- erſättlichen Herzen alle Güter anbieten könnten? Jſt nicht das Leben von vielen ein wahrer Frohndienſt, und die kurze Reiſe durch die Welt eine Bürde, die ſie kaum tragen J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/143
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/143>, abgerufen am 24.06.2024.