Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Vorurtheile in der Religion. für das, was uns von unsern ersten Wohlthätern inszarte Herz eingedruckt wurde. Wir strengen alle Ver- nunft an, wenn wir Sachen verrichten wollen, die in un- srer Stadt, oder von den Leuten um uns herum für wich- tig gehalten werden. Aber, wenn von wahrer ungeheu- chelter Tugend, vom Heil der Seele, von dem, was wir Gott schuldig sind, die Rede ist, so handeln wir oft nicht anders, als wenn uns Witz und Klugheit verlassen hätte. Sollen wir der sanften Erinnerung des Apostels gemäs (Ebr. 10, 25.) den Versammlungsort der Chri- sten besuchen, und uns an alte, aber nützliche und ver- geßne Wahrheiten erinnern, so scheuen wir uns oft den zarten Körper den Stürmen der Witterung auszusetzen. Aber wenn man uns Gelegenheit macht, die Sinnlich- keit zu vergnügen, in gekünstelten Empfindungen zu schwimmen, uns in eine gemalte Welt zu versetzen, da selbst eine lächerliche Rolle zu spielen, und alle Ordnung und Stände der menschlichen Gesellschaft mit Füßen zu treten, so fürchten wir uns weder vor der Mitternacht, noch vor irgend einer andern Unbequemlichkeit. Aus dem Munde Gottes hören wir Verheißungen, die Kai- ser und Könige nicht geben können. Aber eine gnädige Mine, ein halbes freundliches Wort, ein Versprechen von einem großen und reichen Mann, von dem sein Herz oft nichts weiß -- darauf bauen wir, wie auf Alpen und Felsengrund, werden unzähligemal betrogen, und kommen, und suchen es doch wieder. Wir könnten alle Freunde Gottes seyn, könnten leben, und gute Tage haben, (1 Petr. 3, 10.) könnten mit dem innren Ruhm, viel Gutes bewirkt zu haben, den Tod unter die Füße treten, und zu den Unsrigen sagen: ich sterbe, aber Gott H 5
Vorurtheile in der Religion. für das, was uns von unſern erſten Wohlthätern inszarte Herz eingedruckt wurde. Wir ſtrengen alle Ver- nunft an, wenn wir Sachen verrichten wollen, die in un- ſrer Stadt, oder von den Leuten um uns herum für wich- tig gehalten werden. Aber, wenn von wahrer ungeheu- chelter Tugend, vom Heil der Seele, von dem, was wir Gott ſchuldig ſind, die Rede iſt, ſo handeln wir oft nicht anders, als wenn uns Witz und Klugheit verlaſſen hätte. Sollen wir der ſanften Erinnerung des Apoſtels gemäs (Ebr. 10, 25.) den Verſammlungsort der Chri- ſten beſuchen, und uns an alte, aber nützliche und ver- geßne Wahrheiten erinnern, ſo ſcheuen wir uns oft den zarten Körper den Stürmen der Witterung auszuſetzen. Aber wenn man uns Gelegenheit macht, die Sinnlich- keit zu vergnügen, in gekünſtelten Empfindungen zu ſchwimmen, uns in eine gemalte Welt zu verſetzen, da ſelbſt eine lächerliche Rolle zu ſpielen, und alle Ordnung und Stände der menſchlichen Geſellſchaft mit Füßen zu treten, ſo fürchten wir uns weder vor der Mitternacht, noch vor irgend einer andern Unbequemlichkeit. Aus dem Munde Gottes hören wir Verheißungen, die Kai- ſer und Könige nicht geben können. Aber eine gnädige Mine, ein halbes freundliches Wort, ein Verſprechen von einem großen und reichen Mann, von dem ſein Herz oft nichts weiß — darauf bauen wir, wie auf Alpen und Felſengrund, werden unzähligemal betrogen, und kommen, und ſuchen es doch wieder. Wir könnten alle Freunde Gottes ſeyn, könnten leben, und gute Tage haben, (1 Petr. 3, 10.) könnten mit dem innren Ruhm, viel Gutes bewirkt zu haben, den Tod unter die Füße treten, und zu den Unſrigen ſagen: ich ſterbe, aber Gott H 5
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Vorurtheile in der Religion.
für das, was uns von unſern erſten Wohlthätern ins
zarte Herz eingedruckt wurde. Wir ſtrengen alle Ver-
nunft an, wenn wir Sachen verrichten wollen, die in un-
ſrer Stadt, oder von den Leuten um uns herum für wich-
tig gehalten werden. Aber, wenn von wahrer ungeheu-
chelter Tugend, vom Heil der Seele, von dem, was wir
Gott ſchuldig ſind, die Rede iſt, ſo handeln wir oft nicht
anders, als wenn uns Witz und Klugheit verlaſſen
hätte. Sollen wir der ſanften Erinnerung des Apoſtels
gemäs (Ebr. 10, 25.) den Verſammlungsort der Chri-
ſten beſuchen, und uns an alte, aber nützliche und ver-
geßne Wahrheiten erinnern, ſo ſcheuen wir uns oft den
zarten Körper den Stürmen der Witterung auszuſetzen.
Aber wenn man uns Gelegenheit macht, die Sinnlich-
keit zu vergnügen, in gekünſtelten Empfindungen zu
ſchwimmen, uns in eine gemalte Welt zu verſetzen, da
ſelbſt eine lächerliche Rolle zu ſpielen, und alle Ordnung
und Stände der menſchlichen Geſellſchaft mit Füßen zu
treten, ſo fürchten wir uns weder vor der Mitternacht,
noch vor irgend einer andern Unbequemlichkeit. Aus
dem Munde Gottes hören wir Verheißungen, die Kai-
ſer und Könige nicht geben können. Aber eine gnädige
Mine, ein halbes freundliches Wort, ein Verſprechen
von einem großen und reichen Mann, von dem ſein Herz
oft nichts weiß — darauf bauen wir, wie auf Alpen
und Felſengrund, werden unzähligemal betrogen, und
kommen, und ſuchen es doch wieder. Wir könnten alle
Freunde Gottes ſeyn, könnten leben, und gute Tage
haben, (1 Petr. 3, 10.) könnten mit dem innren Ruhm,
viel Gutes bewirkt zu haben, den Tod unter die Füße
treten, und zu den Unſrigen ſagen: ich ſterbe, aber
Gott
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