Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785.Vorurtheile in der Religion. und Gewissen handelt -- welch eine elende Erfin-dung, so lang ihr euch nicht bemüht, die richtigste, die beste, die vollkommenste, die zuverläßigste Einsicht von allen Dingen, die das Glück des unsterblichen Geistes betreffen, zu besitzen! Und sagt ihr, daß es schwer, daß es unmöglich sey zur Gewißheit zu gelangen, weil selbst die Meister in Jsrael, die Weisen und Ge- lehrten uneinig seyen -- so bitt ich euch, nur mit unbe- fangener Seele, mit einem Herzen, dem Weisheit und Gnade Gottes etwas gilt, in Gottes Wort selber zu stu- dieren. Was euch wirklich weise und gut macht, was euren Schritt durch die Welt leitet, was euch wahre Ruhe, Freyheit vom Laster, Recht der Kindschaft bey Gott, und Gefaßtheit auf Glück und Leiden, auf Ar- muth und Reichthum, auf Leben und Sterben verschaf- fen kann, das werdet ihr aus dieser Quelle, ohne viele Anleitung, ohne auf Menschen zu schwören, oder sinnlos nachzulallen, was euch von andern vorgelallt wird, so oft ihr wollt, schöpfen können. Entschuldigt euch also nicht mit Zweifeln und ängstlichen Besorgnissen, ob die- ser oder jener Recht habe: wißt ihr, was Jesus Chri- stus sagte (Johann. 7, 17.)? So jemand will den Willen dessen, der mich gesandt hat, thun, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sey, oder nicht! Wir läugnen nicht, daß das Gebäude der Religionswahrheiten hie und da ungeschickt zusammenge- zimmert, und nicht allemal auf den besten Grund erbaut worden ist. Man sieht ihm die Hand an, die daran gearbeitet hat. Unser Wissen ist und bleibt Stückwerk, und gleicht einem Wasser, das gar leicht trübe werden kann. Jn der Absicht, die Religion leicht und deutlich zu
Vorurtheile in der Religion. und Gewiſſen handelt — welch eine elende Erfin-dung, ſo lang ihr euch nicht bemüht, die richtigſte, die beſte, die vollkommenſte, die zuverläßigſte Einſicht von allen Dingen, die das Glück des unſterblichen Geiſtes betreffen, zu beſitzen! Und ſagt ihr, daß es ſchwer, daß es unmöglich ſey zur Gewißheit zu gelangen, weil ſelbſt die Meiſter in Jſrael, die Weiſen und Ge- lehrten uneinig ſeyen — ſo bitt ich euch, nur mit unbe- fangener Seele, mit einem Herzen, dem Weisheit und Gnade Gottes etwas gilt, in Gottes Wort ſelber zu ſtu- dieren. Was euch wirklich weiſe und gut macht, was euren Schritt durch die Welt leitet, was euch wahre Ruhe, Freyheit vom Laſter, Recht der Kindſchaft bey Gott, und Gefaßtheit auf Glück und Leiden, auf Ar- muth und Reichthum, auf Leben und Sterben verſchaf- fen kann, das werdet ihr aus dieſer Quelle, ohne viele Anleitung, ohne auf Menſchen zu ſchwören, oder ſinnlos nachzulallen, was euch von andern vorgelallt wird, ſo oft ihr wollt, ſchöpfen können. Entſchuldigt euch alſo nicht mit Zweifeln und ängſtlichen Beſorgniſſen, ob die- ſer oder jener Recht habe: wißt ihr, was Jeſus Chri- ſtus ſagte (Johann. 7, 17.)? So jemand will den Willen deſſen, der mich geſandt hat, thun, der wird inne werden, ob dieſe Lehre von Gott ſey, oder nicht! Wir läugnen nicht, daß das Gebäude der Religionswahrheiten hie und da ungeſchickt zuſammenge- zimmert, und nicht allemal auf den beſten Grund erbaut worden iſt. Man ſieht ihm die Hand an, die daran gearbeitet hat. Unſer Wiſſen iſt und bleibt Stückwerk, und gleicht einem Waſſer, das gar leicht trübe werden kann. Jn der Abſicht, die Religion leicht und deutlich zu
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="107"/><fw place="top" type="header">Vorurtheile in der Religion.</fw><lb/><hi rendition="#fr">und Gewiſſen handelt</hi> — welch eine elende Erfin-<lb/> dung, ſo lang ihr euch nicht bemüht, die richtigſte, die<lb/> beſte, die vollkommenſte, die zuverläßigſte Einſicht von<lb/> allen Dingen, die das Glück des unſterblichen Geiſtes<lb/> betreffen, zu beſitzen! Und ſagt ihr, <hi rendition="#fr">daß es ſchwer,<lb/> daß es unmöglich ſey zur Gewißheit zu gelangen,</hi><lb/> weil ſelbſt die Meiſter in Jſrael, die Weiſen und Ge-<lb/> lehrten uneinig ſeyen — ſo bitt ich euch, nur mit unbe-<lb/> fangener Seele, mit einem Herzen, dem Weisheit und<lb/> Gnade Gottes etwas gilt, in Gottes Wort ſelber zu ſtu-<lb/> dieren. Was euch wirklich weiſe und gut macht, was<lb/> euren Schritt durch die Welt leitet, was euch wahre<lb/> Ruhe, Freyheit vom Laſter, Recht der Kindſchaft bey<lb/> Gott, und Gefaßtheit auf Glück und Leiden, auf Ar-<lb/> muth und Reichthum, auf Leben und Sterben verſchaf-<lb/> fen kann, das werdet ihr aus dieſer Quelle, ohne viele<lb/> Anleitung, ohne auf Menſchen zu ſchwören, oder ſinnlos<lb/> nachzulallen, was euch von andern vorgelallt wird, ſo<lb/> oft ihr wollt, ſchöpfen können. Entſchuldigt euch alſo<lb/> nicht mit Zweifeln und ängſtlichen Beſorgniſſen, ob die-<lb/> ſer oder jener Recht habe: wißt ihr, was Jeſus Chri-<lb/> ſtus ſagte (Johann. 7, 17.)? <hi rendition="#fr">So jemand will den<lb/> Willen deſſen, der mich geſandt hat, thun, der<lb/> wird inne werden, ob dieſe Lehre von Gott ſey,<lb/> oder nicht!</hi> Wir läugnen nicht, daß das Gebäude der<lb/> Religionswahrheiten hie und da ungeſchickt zuſammenge-<lb/> zimmert, und nicht allemal auf den beſten Grund erbaut<lb/> worden iſt. Man ſieht ihm die Hand an, die daran<lb/> gearbeitet hat. Unſer Wiſſen iſt und bleibt Stückwerk,<lb/> und gleicht einem Waſſer, das gar leicht trübe werden<lb/> kann. Jn der Abſicht, die Religion leicht und deutlich<lb/> <fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [107/0113]
Vorurtheile in der Religion.
und Gewiſſen handelt — welch eine elende Erfin-
dung, ſo lang ihr euch nicht bemüht, die richtigſte, die
beſte, die vollkommenſte, die zuverläßigſte Einſicht von
allen Dingen, die das Glück des unſterblichen Geiſtes
betreffen, zu beſitzen! Und ſagt ihr, daß es ſchwer,
daß es unmöglich ſey zur Gewißheit zu gelangen,
weil ſelbſt die Meiſter in Jſrael, die Weiſen und Ge-
lehrten uneinig ſeyen — ſo bitt ich euch, nur mit unbe-
fangener Seele, mit einem Herzen, dem Weisheit und
Gnade Gottes etwas gilt, in Gottes Wort ſelber zu ſtu-
dieren. Was euch wirklich weiſe und gut macht, was
euren Schritt durch die Welt leitet, was euch wahre
Ruhe, Freyheit vom Laſter, Recht der Kindſchaft bey
Gott, und Gefaßtheit auf Glück und Leiden, auf Ar-
muth und Reichthum, auf Leben und Sterben verſchaf-
fen kann, das werdet ihr aus dieſer Quelle, ohne viele
Anleitung, ohne auf Menſchen zu ſchwören, oder ſinnlos
nachzulallen, was euch von andern vorgelallt wird, ſo
oft ihr wollt, ſchöpfen können. Entſchuldigt euch alſo
nicht mit Zweifeln und ängſtlichen Beſorgniſſen, ob die-
ſer oder jener Recht habe: wißt ihr, was Jeſus Chri-
ſtus ſagte (Johann. 7, 17.)? So jemand will den
Willen deſſen, der mich geſandt hat, thun, der
wird inne werden, ob dieſe Lehre von Gott ſey,
oder nicht! Wir läugnen nicht, daß das Gebäude der
Religionswahrheiten hie und da ungeſchickt zuſammenge-
zimmert, und nicht allemal auf den beſten Grund erbaut
worden iſt. Man ſieht ihm die Hand an, die daran
gearbeitet hat. Unſer Wiſſen iſt und bleibt Stückwerk,
und gleicht einem Waſſer, das gar leicht trübe werden
kann. Jn der Abſicht, die Religion leicht und deutlich
zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/113 |
Zitationshilfe: | Sander, Heinrich: Erbauungsbuch zur Beförderung wahrer Gottseligkeit. 3. Aufl. Leipzig, 1785, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_erbauungsbuch_1785/113>, abgerufen am 24.06.2024. |