Man wies mir in der Abtei, oder bei Hofe ein Zim- mer an. Weil St. Blasien ein wahres Schloß ist, worinnen man die grösten Gänge, die weitesten Hallen, und eine unendliche Menge von Zimmern antrift, so hat man, um jederman das Aufsuchen der Geistlichen und der Fremden zu erleichtern, über jede Thüre ein Thier ge- mahlt. Im mittlern Stock bei Hofe sind die vierfüssi- gen Thiere, im obern sind die Vögel, von Meisterhänden abgemahlt. Da können Sie nun beim Löwen, bei der Katze, beim Elephanten, beim Papagei etc. wohnen; ich ward, ich weis nicht, warum? gerade beim Tyger ein- quartiert. Da hat man Stube, Kammer, die nöthi- gen Meubles, gute Betten, und alle mögliche Bedienung und Aufwartung. St. Blasien ist eine grosse Anstalt, aber überall sieht man Ordnung, Regelmässigkeit, gute Einrichtung, und einen gewissen festen Plan, der nie ver- lassen wird. Der geschäftige Geist des Fürsten regiert überall, und pflanzt sich vom gesalbten Haupt auf alle willige Glieder fort. Es geschieht in diesem Hause täg- lich sehr viel, und die Ruhe und Stille, die darinnen wohnen soll, wird dadurch nicht gestört. Ich habe man- ches, das ich sonst in andern viel kleinern Klöstern ungern gesehen habe, hier gar nicht bemerkt, und bin überhaupt beinahe fünf Tage mit grossem Vergnügen und mit vie- lem Nutzen hier gewesen. Man ist im Kloster und doch nicht abgeschnitten von der Welt. Man ist von Geistli- chen umringt, aber ihre Kenntnis geht auch über den en- gen Kreis der Zelle hinaus. Man leidet in keinem Stü- cke Mangel, aber die ganze Denkungsart dieser religiösen Gesellschaft ist doch höher gestimmt, als blos auf Essen und Trinken. Irdisches Wohlleben und geistlicher Müs- siggang ist in St. Blasien gar nicht der herrschende Ton.
Die
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Man wies mir in der Abtei, oder bei Hofe ein Zim- mer an. Weil St. Blaſien ein wahres Schloß iſt, worinnen man die groͤſten Gaͤnge, die weiteſten Hallen, und eine unendliche Menge von Zimmern antrift, ſo hat man, um jederman das Aufſuchen der Geiſtlichen und der Fremden zu erleichtern, uͤber jede Thuͤre ein Thier ge- mahlt. Im mittlern Stock bei Hofe ſind die vierfuͤſſi- gen Thiere, im obern ſind die Voͤgel, von Meiſterhaͤnden abgemahlt. Da koͤnnen Sie nun beim Loͤwen, bei der Katze, beim Elephanten, beim Papagei ꝛc. wohnen; ich ward, ich weis nicht, warum? gerade beim Tyger ein- quartiert. Da hat man Stube, Kammer, die noͤthi- gen Meubles, gute Betten, und alle moͤgliche Bedienung und Aufwartung. St. Blaſien iſt eine groſſe Anſtalt, aber uͤberall ſieht man Ordnung, Regelmaͤſſigkeit, gute Einrichtung, und einen gewiſſen feſten Plan, der nie ver- laſſen wird. Der geſchaͤftige Geiſt des Fuͤrſten regiert uͤberall, und pflanzt ſich vom geſalbten Haupt auf alle willige Glieder fort. Es geſchieht in dieſem Hauſe taͤg- lich ſehr viel, und die Ruhe und Stille, die darinnen wohnen ſoll, wird dadurch nicht geſtoͤrt. Ich habe man- ches, das ich ſonſt in andern viel kleinern Kloͤſtern ungern geſehen habe, hier gar nicht bemerkt, und bin uͤberhaupt beinahe fuͤnf Tage mit groſſem Vergnuͤgen und mit vie- lem Nutzen hier geweſen. Man iſt im Kloſter und doch nicht abgeſchnitten von der Welt. Man iſt von Geiſtli- chen umringt, aber ihre Kenntnis geht auch uͤber den en- gen Kreis der Zelle hinaus. Man leidet in keinem Stuͤ- cke Mangel, aber die ganze Denkungsart dieſer religioͤſen Geſellſchaft iſt doch hoͤher geſtimmt, als blos auf Eſſen und Trinken. Irdiſches Wohlleben und geiſtlicher Muͤſ- ſiggang iſt in St. Blaſien gar nicht der herrſchende Ton.
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Man wies mir in der Abtei, oder bei Hofe ein Zim-
mer an. Weil St. Blaſien ein wahres Schloß iſt,
worinnen man die groͤſten Gaͤnge, die weiteſten Hallen,
und eine unendliche Menge von Zimmern antrift, ſo hat
man, um jederman das Aufſuchen der Geiſtlichen und
der Fremden zu erleichtern, uͤber jede Thuͤre ein Thier ge-
mahlt. Im mittlern Stock bei Hofe ſind die vierfuͤſſi-
gen Thiere, im obern ſind die Voͤgel, von Meiſterhaͤnden
abgemahlt. Da koͤnnen Sie nun beim Loͤwen, bei der
Katze, beim Elephanten, beim Papagei ꝛc. wohnen; ich
ward, ich weis nicht, warum? gerade beim Tyger ein-
quartiert. Da hat man Stube, Kammer, die noͤthi-
gen Meubles, gute Betten, und alle moͤgliche Bedienung
und Aufwartung. St. Blaſien iſt eine groſſe Anſtalt,
aber uͤberall ſieht man Ordnung, Regelmaͤſſigkeit, gute
Einrichtung, und einen gewiſſen feſten Plan, der nie ver-
laſſen wird. Der geſchaͤftige Geiſt des Fuͤrſten regiert
uͤberall, und pflanzt ſich vom geſalbten Haupt auf alle
willige Glieder fort. Es geſchieht in dieſem Hauſe taͤg-
lich ſehr viel, und die Ruhe und Stille, die darinnen
wohnen ſoll, wird dadurch nicht geſtoͤrt. Ich habe man-
ches, das ich ſonſt in andern viel kleinern Kloͤſtern ungern
geſehen habe, hier gar nicht bemerkt, und bin uͤberhaupt
beinahe fuͤnf Tage mit groſſem Vergnuͤgen und mit vie-
lem Nutzen hier geweſen. Man iſt im Kloſter und doch
nicht abgeſchnitten von der Welt. Man iſt von Geiſtli-
chen umringt, aber ihre Kenntnis geht auch uͤber den en-
gen Kreis der Zelle hinaus. Man leidet in keinem Stuͤ-
cke Mangel, aber die ganze Denkungsart dieſer religioͤſen
Geſellſchaft iſt doch hoͤher geſtimmt, als blos auf Eſſen
und Trinken. Irdiſches Wohlleben und geiſtlicher Muͤſ-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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