Schrecklich ermüdend, gefährlich und mühsam für Men- schen und Thiere sind öfters die Wege in diesen bergigten Gegenden. Das Colchicum autumnale L. oder die Zeitlose blühte schon in der Mitte des hohen Berges; der Arzt in Müllheim versicherte mir aber, daß sie schon vor drei Wochen geblüht habe. Schliessen Sie daraus auf die Höhe dieser Berge. Im platten Lande bei uns blüht die Zeitlose öfters erst im Dezember, auch wohl erst um Weinachten. Als wir weiter hinkamen, fanden wir an den Felsen das herrliche Blümchen, Euphrasia officinalis L. War es gleich für uns kein besondrer Augentrost, so war es uns doch eine angenehme Augen- weide, und ich habe lange ein kleines Sträuschen davon auf dem Hute getragen. Wir hatten endlich die Höhe erstiegen und kamen gegen Mittag auf einen gebahnten Weg, der uns in die Probstei führte. Zum Unglück für uns war der P. Probst nicht zu Hause, und ich verlor also das Vergnügen, einen geschickten und fleissigstudi- renden Mann, der sein Otium auf die edelste Art an- wendet, kennen zu lernen. Im Katalogus der sämtli- chen Glieder des Stifts St. Blasien, den ich nachher aus der gnädigen Hand des Fürsten erhalten habe, heißt dieser würdige Mann: P. Fintanus Linder, Zellensis Acron. Er hat bei Wohlern in Ulm eine hebräi- sche Grammatik drucken lassen, und arbeitet gegenwär- tig, wie man mir sagt, an einem noch schwerern Werke. Seiner Abwesenheit ungeachtet wurden wir von dem Hausmeister mit aller Höflichkeit empfangen und so be- wirthet, daß wir den Schweis, den wir während dem Bergsteigen vergossen hatten, nicht bereuten. Wir gin- gen erst auf der Probstei herum, und nahmen alles in Augenschein. Ein kleiner niedlicher Garten ist um das
Haus
Schrecklich ermuͤdend, gefaͤhrlich und muͤhſam fuͤr Men- ſchen und Thiere ſind oͤfters die Wege in dieſen bergigten Gegenden. Das Colchicum autumnale L. oder die Zeitloſe bluͤhte ſchon in der Mitte des hohen Berges; der Arzt in Muͤllheim verſicherte mir aber, daß ſie ſchon vor drei Wochen gebluͤht habe. Schlieſſen Sie daraus auf die Hoͤhe dieſer Berge. Im platten Lande bei uns bluͤht die Zeitloſe oͤfters erſt im Dezember, auch wohl erſt um Weinachten. Als wir weiter hinkamen, fanden wir an den Felſen das herrliche Bluͤmchen, Euphraſia officinalis L. War es gleich fuͤr uns kein beſondrer Augentroſt, ſo war es uns doch eine angenehme Augen- weide, und ich habe lange ein kleines Straͤuschen davon auf dem Hute getragen. Wir hatten endlich die Hoͤhe erſtiegen und kamen gegen Mittag auf einen gebahnten Weg, der uns in die Probſtei fuͤhrte. Zum Ungluͤck fuͤr uns war der P. Probſt nicht zu Hauſe, und ich verlor alſo das Vergnuͤgen, einen geſchickten und fleiſſigſtudi- renden Mann, der ſein Otium auf die edelſte Art an- wendet, kennen zu lernen. Im Katalogus der ſaͤmtli- chen Glieder des Stifts St. Blaſien, den ich nachher aus der gnaͤdigen Hand des Fuͤrſten erhalten habe, heißt dieſer wuͤrdige Mann: P. Fintanus Linder, Zellenſis Acron. Er hat bei Wohlern in Ulm eine hebraͤi- ſche Grammatik drucken laſſen, und arbeitet gegenwaͤr- tig, wie man mir ſagt, an einem noch ſchwerern Werke. Seiner Abweſenheit ungeachtet wurden wir von dem Hausmeiſter mit aller Hoͤflichkeit empfangen und ſo be- wirthet, daß wir den Schweis, den wir waͤhrend dem Bergſteigen vergoſſen hatten, nicht bereuten. Wir gin- gen erſt auf der Probſtei herum, und nahmen alles in Augenſchein. Ein kleiner niedlicher Garten iſt um das
Haus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0410"n="372"/>
Schrecklich ermuͤdend, gefaͤhrlich und muͤhſam fuͤr Men-<lb/>ſchen und Thiere ſind oͤfters die Wege in dieſen bergigten<lb/>
Gegenden. Das <hirendition="#aq">Colchicum autumnale L.</hi> oder<lb/>
die <hirendition="#fr">Zeitloſe</hi> bluͤhte ſchon in der Mitte des hohen Berges;<lb/>
der Arzt in <hirendition="#fr">Muͤllheim</hi> verſicherte mir aber, daß ſie ſchon<lb/>
vor drei Wochen gebluͤht habe. Schlieſſen Sie daraus<lb/>
auf die Hoͤhe dieſer Berge. Im platten Lande bei uns<lb/>
bluͤht die <hirendition="#fr">Zeitloſe</hi> oͤfters erſt im Dezember, auch wohl<lb/>
erſt um Weinachten. Als wir weiter hinkamen, fanden<lb/>
wir an den Felſen das herrliche Bluͤmchen, <hirendition="#aq">Euphraſia<lb/>
officinalis L.</hi> War es gleich fuͤr uns kein beſondrer<lb/><hirendition="#fr">Augentroſt,</hi>ſo war es uns doch eine angenehme Augen-<lb/>
weide, und ich habe lange ein kleines Straͤuschen davon<lb/>
auf dem Hute getragen. Wir hatten endlich die Hoͤhe<lb/>
erſtiegen und kamen gegen Mittag auf einen gebahnten<lb/>
Weg, der uns in die <hirendition="#fr">Probſtei</hi> fuͤhrte. Zum Ungluͤck<lb/>
fuͤr uns war der P. <hirendition="#fr">Probſt</hi> nicht zu Hauſe, und ich verlor<lb/>
alſo das Vergnuͤgen, einen geſchickten und fleiſſigſtudi-<lb/>
renden Mann, der ſein <hirendition="#aq">Otium</hi> auf die edelſte Art an-<lb/>
wendet, kennen zu lernen. Im Katalogus der ſaͤmtli-<lb/>
chen Glieder des Stifts <hirendition="#fr">St. Blaſien,</hi> den ich nachher<lb/>
aus der gnaͤdigen Hand des Fuͤrſten erhalten habe, heißt<lb/>
dieſer wuͤrdige Mann: <hirendition="#aq">P. <hirendition="#i">Fintanus Linder</hi>, Zellenſis<lb/>
Acron.</hi> Er hat bei <hirendition="#fr">Wohlern</hi> in <hirendition="#fr">Ulm eine hebraͤi-<lb/>ſche Grammatik</hi> drucken laſſen, und arbeitet gegenwaͤr-<lb/>
tig, wie man mir ſagt, an einem noch ſchwerern Werke.<lb/>
Seiner Abweſenheit ungeachtet wurden wir von dem<lb/>
Hausmeiſter mit aller Hoͤflichkeit empfangen und ſo be-<lb/>
wirthet, daß wir den Schweis, den wir waͤhrend dem<lb/>
Bergſteigen vergoſſen hatten, nicht bereuten. Wir gin-<lb/>
gen erſt auf der Probſtei herum, und nahmen alles in<lb/>
Augenſchein. Ein kleiner niedlicher Garten iſt um das<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Haus</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[372/0410]
Schrecklich ermuͤdend, gefaͤhrlich und muͤhſam fuͤr Men-
ſchen und Thiere ſind oͤfters die Wege in dieſen bergigten
Gegenden. Das Colchicum autumnale L. oder
die Zeitloſe bluͤhte ſchon in der Mitte des hohen Berges;
der Arzt in Muͤllheim verſicherte mir aber, daß ſie ſchon
vor drei Wochen gebluͤht habe. Schlieſſen Sie daraus
auf die Hoͤhe dieſer Berge. Im platten Lande bei uns
bluͤht die Zeitloſe oͤfters erſt im Dezember, auch wohl
erſt um Weinachten. Als wir weiter hinkamen, fanden
wir an den Felſen das herrliche Bluͤmchen, Euphraſia
officinalis L. War es gleich fuͤr uns kein beſondrer
Augentroſt, ſo war es uns doch eine angenehme Augen-
weide, und ich habe lange ein kleines Straͤuschen davon
auf dem Hute getragen. Wir hatten endlich die Hoͤhe
erſtiegen und kamen gegen Mittag auf einen gebahnten
Weg, der uns in die Probſtei fuͤhrte. Zum Ungluͤck
fuͤr uns war der P. Probſt nicht zu Hauſe, und ich verlor
alſo das Vergnuͤgen, einen geſchickten und fleiſſigſtudi-
renden Mann, der ſein Otium auf die edelſte Art an-
wendet, kennen zu lernen. Im Katalogus der ſaͤmtli-
chen Glieder des Stifts St. Blaſien, den ich nachher
aus der gnaͤdigen Hand des Fuͤrſten erhalten habe, heißt
dieſer wuͤrdige Mann: P. Fintanus Linder, Zellenſis
Acron. Er hat bei Wohlern in Ulm eine hebraͤi-
ſche Grammatik drucken laſſen, und arbeitet gegenwaͤr-
tig, wie man mir ſagt, an einem noch ſchwerern Werke.
Seiner Abweſenheit ungeachtet wurden wir von dem
Hausmeiſter mit aller Hoͤflichkeit empfangen und ſo be-
wirthet, daß wir den Schweis, den wir waͤhrend dem
Bergſteigen vergoſſen hatten, nicht bereuten. Wir gin-
gen erſt auf der Probſtei herum, und nahmen alles in
Augenſchein. Ein kleiner niedlicher Garten iſt um das
Haus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/410>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.