Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

jeder Furche helles Wasser, und sank allmählig, so wie
die Sonne kam, hinab, oder stieg in Dünsten auf.
Kurz, die herrlichen weiten Felder um mich herum wa-
ren alle gleichsam erfreut über die sturmvolle Nacht, und
die Landleute gingen in die Weinberge und machten An-
stalt zum Herbst. Der Weg nach dem Reichskloster
Gengenbach führte mich über Ortenbach und Stauf-
fenberg,
und ist etwa 3. Stunden lang. So heissen
die zwei Orte, wo der vortrefliche Wein wächst, den
jeder, der durch dies Land reist, als Arznei trinken muß.
Man kan aus beiden Orten rothen und weissen Wein ha-
ben, und ich wüßte nicht zu sagen, welcher vor andern
den Vorzug haben müßte. Sie gehören nicht nur zu
den vorzüglichsten Gewächsen dieses Landes, sondern man
kan sie, wie ich glaube, mit Recht zu den besten und
edelsten Produkten von Deutschland rechnen. Ja,
Freund! wenn alle Dichter, die an Musenalmanachen
arbeiten und vom Wein singen, solchen Wein alle Tage
hätten, da möchten wir wohl bald feurige Lieder und noch
schrecklichere Genie-Sprünge sehen. Alle Berge, die sich
auf der linken Seite nach dem Thal hinaufziehen, oder
vielmehr mit noch höhern Gebürgen zusammenhängen,
und nach dem ebnen Lande hinlausen, sind ganz mit
Weinreben bis an die oberste Spitze besetzt. Angenehm
sind insbesondre die Rebhäuser, die hie und da um der
Gesellschaft willen, zum Vergnügen, gegen Regenwet-
ter, und zur Aufbewahrung der Geräthschaften angelegt
sind, und oft in ihrer einsamen Höhe recht schön aussehen.
Die Bibelerklärer haben also nicht nöthig, zur Erläute-
rung einiger Stellen in der heil. Schrift, nach dem Mor-
genlande
zu reisen. Sie können bei uns noch jetzt alle
Tage sehen, was in Palästina Mode war. Wenn man

an
Zweiter Theil. Y

jeder Furche helles Waſſer, und ſank allmaͤhlig, ſo wie
die Sonne kam, hinab, oder ſtieg in Duͤnſten auf.
Kurz, die herrlichen weiten Felder um mich herum wa-
ren alle gleichſam erfreut uͤber die ſturmvolle Nacht, und
die Landleute gingen in die Weinberge und machten An-
ſtalt zum Herbſt. Der Weg nach dem Reichskloſter
Gengenbach fuͤhrte mich uͤber Ortenbach und Stauf-
fenberg,
und iſt etwa 3. Stunden lang. So heiſſen
die zwei Orte, wo der vortrefliche Wein waͤchſt, den
jeder, der durch dies Land reiſt, als Arznei trinken muß.
Man kan aus beiden Orten rothen und weiſſen Wein ha-
ben, und ich wuͤßte nicht zu ſagen, welcher vor andern
den Vorzug haben muͤßte. Sie gehoͤren nicht nur zu
den vorzuͤglichſten Gewaͤchſen dieſes Landes, ſondern man
kan ſie, wie ich glaube, mit Recht zu den beſten und
edelſten Produkten von Deutſchland rechnen. Ja,
Freund! wenn alle Dichter, die an Muſenalmanachen
arbeiten und vom Wein ſingen, ſolchen Wein alle Tage
haͤtten, da moͤchten wir wohl bald feurige Lieder und noch
ſchrecklichere Genie-Spruͤnge ſehen. Alle Berge, die ſich
auf der linken Seite nach dem Thal hinaufziehen, oder
vielmehr mit noch hoͤhern Gebuͤrgen zuſammenhaͤngen,
und nach dem ebnen Lande hinlauſen, ſind ganz mit
Weinreben bis an die oberſte Spitze beſetzt. Angenehm
ſind insbeſondre die Rebhaͤuſer, die hie und da um der
Geſellſchaft willen, zum Vergnuͤgen, gegen Regenwet-
ter, und zur Aufbewahrung der Geraͤthſchaften angelegt
ſind, und oft in ihrer einſamen Hoͤhe recht ſchoͤn ausſehen.
Die Bibelerklaͤrer haben alſo nicht noͤthig, zur Erlaͤute-
rung einiger Stellen in der heil. Schrift, nach dem Mor-
genlande
zu reiſen. Sie koͤnnen bei uns noch jetzt alle
Tage ſehen, was in Palaͤſtina Mode war. Wenn man

an
Zweiter Theil. Y
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0375" n="337"/>
jeder Furche helles Wa&#x017F;&#x017F;er, und &#x017F;ank allma&#x0364;hlig, &#x017F;o wie<lb/>
die Sonne kam, hinab, oder &#x017F;tieg in Du&#x0364;n&#x017F;ten auf.<lb/>
Kurz, die herrlichen weiten Felder um mich herum wa-<lb/>
ren alle gleich&#x017F;am erfreut u&#x0364;ber die &#x017F;turmvolle Nacht, und<lb/>
die Landleute gingen in die Weinberge und machten An-<lb/>
&#x017F;talt zum Herb&#x017F;t. Der Weg nach dem Reichsklo&#x017F;ter<lb/><hi rendition="#fr">Gengenbach</hi> fu&#x0364;hrte mich u&#x0364;ber <hi rendition="#fr">Ortenbach</hi> und <hi rendition="#fr">Stauf-<lb/>
fenberg,</hi> und i&#x017F;t etwa 3. Stunden lang. So hei&#x017F;&#x017F;en<lb/>
die zwei Orte, wo der vortrefliche Wein wa&#x0364;ch&#x017F;t, den<lb/>
jeder, der durch dies Land rei&#x017F;t, als Arznei trinken muß.<lb/>
Man kan aus beiden Orten rothen und wei&#x017F;&#x017F;en Wein ha-<lb/>
ben, und ich wu&#x0364;ßte nicht zu &#x017F;agen, welcher vor andern<lb/>
den Vorzug haben mu&#x0364;ßte. Sie geho&#x0364;ren nicht nur zu<lb/>
den vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten Gewa&#x0364;ch&#x017F;en die&#x017F;es Landes, &#x017F;ondern man<lb/>
kan &#x017F;ie, wie ich glaube, mit Recht zu den be&#x017F;ten und<lb/>
edel&#x017F;ten Produkten von <hi rendition="#fr">Deut&#x017F;chland</hi> rechnen. <hi rendition="#fr">Ja,</hi><lb/>
Freund! wenn alle Dichter, die an Mu&#x017F;enalmanachen<lb/>
arbeiten und vom Wein &#x017F;ingen, &#x017F;olchen Wein alle Tage<lb/>
ha&#x0364;tten, da mo&#x0364;chten wir wohl bald feurige Lieder und noch<lb/>
&#x017F;chrecklichere Genie-Spru&#x0364;nge &#x017F;ehen. Alle Berge, die &#x017F;ich<lb/>
auf der linken Seite nach dem Thal hinaufziehen, oder<lb/>
vielmehr mit noch ho&#x0364;hern Gebu&#x0364;rgen zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen,<lb/>
und nach dem ebnen Lande hinlau&#x017F;en, &#x017F;ind ganz mit<lb/>
Weinreben bis an die ober&#x017F;te Spitze be&#x017F;etzt. Angenehm<lb/>
&#x017F;ind insbe&#x017F;ondre die <hi rendition="#fr">Rebha&#x0364;u&#x017F;er,</hi> die hie und da um der<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft willen, zum Vergnu&#x0364;gen, gegen Regenwet-<lb/>
ter, und zur Aufbewahrung der Gera&#x0364;th&#x017F;chaften angelegt<lb/>
&#x017F;ind, und oft in ihrer ein&#x017F;amen Ho&#x0364;he recht &#x017F;cho&#x0364;n aus&#x017F;ehen.<lb/>
Die Bibelerkla&#x0364;rer haben al&#x017F;o nicht no&#x0364;thig, zur Erla&#x0364;ute-<lb/>
rung einiger Stellen in der heil. Schrift, nach dem <hi rendition="#fr">Mor-<lb/>
genlande</hi> zu rei&#x017F;en. Sie ko&#x0364;nnen bei uns noch jetzt alle<lb/>
Tage &#x017F;ehen, was in <hi rendition="#fr">Pala&#x0364;&#x017F;tina</hi> Mode war. Wenn man<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Zweiter Theil.</hi> Y</fw><fw place="bottom" type="catch">an</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[337/0375] jeder Furche helles Waſſer, und ſank allmaͤhlig, ſo wie die Sonne kam, hinab, oder ſtieg in Duͤnſten auf. Kurz, die herrlichen weiten Felder um mich herum wa- ren alle gleichſam erfreut uͤber die ſturmvolle Nacht, und die Landleute gingen in die Weinberge und machten An- ſtalt zum Herbſt. Der Weg nach dem Reichskloſter Gengenbach fuͤhrte mich uͤber Ortenbach und Stauf- fenberg, und iſt etwa 3. Stunden lang. So heiſſen die zwei Orte, wo der vortrefliche Wein waͤchſt, den jeder, der durch dies Land reiſt, als Arznei trinken muß. Man kan aus beiden Orten rothen und weiſſen Wein ha- ben, und ich wuͤßte nicht zu ſagen, welcher vor andern den Vorzug haben muͤßte. Sie gehoͤren nicht nur zu den vorzuͤglichſten Gewaͤchſen dieſes Landes, ſondern man kan ſie, wie ich glaube, mit Recht zu den beſten und edelſten Produkten von Deutſchland rechnen. Ja, Freund! wenn alle Dichter, die an Muſenalmanachen arbeiten und vom Wein ſingen, ſolchen Wein alle Tage haͤtten, da moͤchten wir wohl bald feurige Lieder und noch ſchrecklichere Genie-Spruͤnge ſehen. Alle Berge, die ſich auf der linken Seite nach dem Thal hinaufziehen, oder vielmehr mit noch hoͤhern Gebuͤrgen zuſammenhaͤngen, und nach dem ebnen Lande hinlauſen, ſind ganz mit Weinreben bis an die oberſte Spitze beſetzt. Angenehm ſind insbeſondre die Rebhaͤuſer, die hie und da um der Geſellſchaft willen, zum Vergnuͤgen, gegen Regenwet- ter, und zur Aufbewahrung der Geraͤthſchaften angelegt ſind, und oft in ihrer einſamen Hoͤhe recht ſchoͤn ausſehen. Die Bibelerklaͤrer haben alſo nicht noͤthig, zur Erlaͤute- rung einiger Stellen in der heil. Schrift, nach dem Mor- genlande zu reiſen. Sie koͤnnen bei uns noch jetzt alle Tage ſehen, was in Palaͤſtina Mode war. Wenn man an Zweiter Theil. Y

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/375
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/375>, abgerufen am 25.11.2024.