war, standen eben alle Leute auf den Strassen müssig, und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk Schaarenweise auf den Strassen nieder, und fing ein lautes Gebet an. Der Fremde kan ungestört seine Strasse ziehen, aber ich weis nicht, was es immer für einen Ein- druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des öffent- lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter einer grossen Menge Volks finde, das eben so, wie mei- ne Glaubensbrüder, besser unterrichtet, und zu einer ver- nünftigern Religion gewöhnt werden könnte. Ich schlief in Offenburg; nach dem heissen Tage folgte in der Nacht ein schreckliches Donnerwetter und starke Platzre- gen. Da läutete man alle Glocken so fürchterlich zusam- men, daß sie hätten zerspringen mögen. Solche Wir- kungen des Aberglaubens sind wahrlich unangenehm für einen Reisenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt zu schlafen, die geflissentlich alles thut, um den Blitz her- beizuziehen? Die Müdigkeit der Reise überwältigte mich endlich, und ich schlief ruhig unter allen diesen wunder- baren Anstalten, das wohlthätige Gewitter zu vertreiben.
Den andern Tag verlies ich grade die Heerstrasse, und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab- gekühlt, und ungemein erfrischt. Die Vögel sangen am frühen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewächse im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge- senktes Haupt, und warteten auf ihre Einsammlung. Das Laub an den vielen Obstbäumen, womit die Stras- sen hier sehr stark besetzt sind, hatte seine natürliche Leb- haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern stand in
jeder
war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig, und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein- druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent- lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei- ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver- nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief in Offenburg; nach dem heiſſen Tage folgte in der Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre- gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam- men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir- kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her- beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder- baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben.
Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe, und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab- gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge- ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung. Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ- ſen hier ſehr ſtark beſetzt ſind, hatte ſeine natuͤrliche Leb- haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in
jeder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0374"n="336"/>
war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig,<lb/>
und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk<lb/>
Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein<lb/>
lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe<lb/>
ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein-<lb/>
druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent-<lb/>
lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter<lb/>
einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei-<lb/>
ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver-<lb/>
nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief<lb/>
in <hirendition="#fr">Offenburg;</hi> nach dem heiſſen Tage folgte in der<lb/>
Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre-<lb/>
gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam-<lb/>
men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir-<lb/>
kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr<lb/>
einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt<lb/>
zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her-<lb/>
beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich<lb/>
endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder-<lb/>
baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben.</p><lb/><p>Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe,<lb/>
und nahm meinen Weg linker Hand hinter <hirendition="#fr">Offenburg</hi><lb/>
nach dem <hirendition="#fr">Kitzinger</hi> Thal. Die Natur war ganz ab-<lb/>
gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am<lb/>
fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern<lb/>
und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe<lb/>
im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge-<lb/>ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung.<lb/>
Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ-<lb/>ſen hier ſehr ſtark beſetzt ſind, hatte ſeine natuͤrliche Leb-<lb/>
haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in<lb/><fwplace="bottom"type="catch">jeder</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[336/0374]
war, ſtanden eben alle Leute auf den Straſſen muͤſſig,
und als man das Venerabile vorbeitrug, kniete das Volk
Schaarenweiſe auf den Straſſen nieder, und fing ein
lautes Gebet an. Der Fremde kan ungeſtoͤrt ſeine Straſſe
ziehen, aber ich weis nicht, was es immer fuͤr einen Ein-
druck auf mich macht, wenn ich die Zeichen des oͤffent-
lichen Aberglaubens, und der Ceremonienreligion unter
einer groſſen Menge Volks finde, das eben ſo, wie mei-
ne Glaubensbruͤder, beſſer unterrichtet, und zu einer ver-
nuͤnftigern Religion gewoͤhnt werden koͤnnte. Ich ſchlief
in Offenburg; nach dem heiſſen Tage folgte in der
Nacht ein ſchreckliches Donnerwetter und ſtarke Platzre-
gen. Da laͤutete man alle Glocken ſo fuͤrchterlich zuſam-
men, daß ſie haͤtten zerſpringen moͤgen. Solche Wir-
kungen des Aberglaubens ſind wahrlich unangenehm fuͤr
einen Reiſenden. Stellen Sie Sich vor, in einer Stadt
zu ſchlafen, die gefliſſentlich alles thut, um den Blitz her-
beizuziehen? Die Muͤdigkeit der Reiſe uͤberwaͤltigte mich
endlich, und ich ſchlief ruhig unter allen dieſen wunder-
baren Anſtalten, das wohlthaͤtige Gewitter zu vertreiben.
Den andern Tag verlies ich grade die Heerſtraſſe,
und nahm meinen Weg linker Hand hinter Offenburg
nach dem Kitzinger Thal. Die Natur war ganz ab-
gekuͤhlt, und ungemein erfriſcht. Die Voͤgel ſangen am
fruͤhen Morgen mit herzhafter Stimme zu dem hellern
und gereinigten Himmel hinauf. Die letzten Gewaͤchſe
im Felde erhoben noch einmahl ihr vorher welkes und ge-
ſenktes Haupt, und warteten auf ihre Einſammlung.
Das Laub an den vielen Obſtbaͤumen, womit die Straſ-
ſen hier ſehr ſtark beſetzt ſind, hatte ſeine natuͤrliche Leb-
haftigkeit wieder bekommen. Auf den Feldern ſtand in
jeder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/374>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.