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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

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Drathzug, den der Rhein im Fall treiben muß. Auf
der rechten Seite steht ein Schlos, das in das Züricher
Gebiet gehört und bewohnt wird. Man sollte denken,
von diesem Schlosse oben herabgesehen; müste der Fall
noch schöner seyn, aber man irrt. Man kan ihn oben
nicht ganz sehen, und sich endlich in die Mitte, der gan-
zen Majestät der Natur grade gegenüber stellen. Ei-
gentlich sind vier Fälle nebeneinander, der fünfte kleinere
ist um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem
Wasser viele schreckliche Klippen, viele zackichte Spitzen
seyn müssen, ist augenscheinlich. Man sieht aber nur
noch eine grosse Felsenspitze, die zwischen dem zweiten und
dritten Fall hoch in die Höhe steht, aussen mit Moos be-
wachsen ist, durch die Länge der Zeit von dem unaufhör-
lichen Anschlagen des Wasse[r]s schon ein grosses Loch in
der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich se-
hen kan, und die wahrscheinlich einst gar nicht mehr vor-
handen seyn wird. Der Strom wird mit seiner ganzen
Gewalt so lange an sie anstossen, bis er sie endlich ausge-
fressen und umgeworfen hat, so wie vermuthlich schon vie-
le Felsklippen hier durch die Wuth der Wellen zerstört
worden sind. Indem nun das Wasser auf die Höhe
kömmt und herabfällt, wird der ganze Strom in Schaum
verwandelt. Ich wüste nicht, wie ich Ihnen kürzer die
ganze Sache beschreiben sollte. Der ganze Rheinstrom
wird Schaum, sobald er dies Felsenbette erreicht hat.
Man sieht nichts als ein Meer von der allerreinsten Milch.
Man glaubt in einen unaufhörlich siedenden Kessel von
Milch zu schauen. Dabei ist das zartaufstäubende Was-
ser, das wie der allerfeinste, dünnste Rauch in die Höhe
geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein unbeschreib-
lich schöner Anblick. Je länger man hinsieht, desto

mäch-
T 2

Drathzug, den der Rhein im Fall treiben muß. Auf
der rechten Seite ſteht ein Schlos, das in das Zuͤricher
Gebiet gehoͤrt und bewohnt wird. Man ſollte denken,
von dieſem Schloſſe oben herabgeſehen; muͤſte der Fall
noch ſchoͤner ſeyn, aber man irrt. Man kan ihn oben
nicht ganz ſehen, und ſich endlich in die Mitte, der gan-
zen Majeſtaͤt der Natur grade gegenuͤber ſtellen. Ei-
gentlich ſind vier Faͤlle nebeneinander, der fuͤnfte kleinere
iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem
Waſſer viele ſchreckliche Klippen, viele zackichte Spitzen
ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur
noch eine groſſe Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweiten und
dritten Fall hoch in die Hoͤhe ſteht, auſſen mit Moos be-
wachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unaufhoͤr-
lichen Anſchlagen des Waſſe[r]s ſchon ein groſſes Loch in
der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich ſe-
hen kan, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor-
handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen
Gewalt ſo lange an ſie anſtoſſen, bis er ſie endlich ausge-
freſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon vie-
le Felsklippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt
worden ſind. Indem nun das Waſſer auf die Hoͤhe
koͤmmt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum
verwandelt. Ich wuͤſte nicht, wie ich Ihnen kuͤrzer die
ganze Sache beſchreiben ſollte. Der ganze Rheinſtrom
wird Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat.
Man ſieht nichts als ein Meer von der allerreinſten Milch.
Man glaubt in einen unaufhoͤrlich ſiedenden Keſſel von
Milch zu ſchauen. Dabei iſt das zartaufſtaͤubende Waſ-
ſer, das wie der allerfeinſte, duͤnnſte Rauch in die Hoͤhe
geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein unbeſchreib-
lich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſto

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T 2
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[291/0329] Drathzug, den der Rhein im Fall treiben muß. Auf der rechten Seite ſteht ein Schlos, das in das Zuͤricher Gebiet gehoͤrt und bewohnt wird. Man ſollte denken, von dieſem Schloſſe oben herabgeſehen; muͤſte der Fall noch ſchoͤner ſeyn, aber man irrt. Man kan ihn oben nicht ganz ſehen, und ſich endlich in die Mitte, der gan- zen Majeſtaͤt der Natur grade gegenuͤber ſtellen. Ei- gentlich ſind vier Faͤlle nebeneinander, der fuͤnfte kleinere iſt um des Drathzugs willen gemacht. Daß unter dem Waſſer viele ſchreckliche Klippen, viele zackichte Spitzen ſeyn muͤſſen, iſt augenſcheinlich. Man ſieht aber nur noch eine groſſe Felſenſpitze, die zwiſchen dem zweiten und dritten Fall hoch in die Hoͤhe ſteht, auſſen mit Moos be- wachſen iſt, durch die Laͤnge der Zeit von dem unaufhoͤr- lichen Anſchlagen des Waſſers ſchon ein groſſes Loch in der Mitte bekommen hat, wodurch man gar deutlich ſe- hen kan, und die wahrſcheinlich einſt gar nicht mehr vor- handen ſeyn wird. Der Strom wird mit ſeiner ganzen Gewalt ſo lange an ſie anſtoſſen, bis er ſie endlich ausge- freſſen und umgeworfen hat, ſo wie vermuthlich ſchon vie- le Felsklippen hier durch die Wuth der Wellen zerſtoͤrt worden ſind. Indem nun das Waſſer auf die Hoͤhe koͤmmt und herabfaͤllt, wird der ganze Strom in Schaum verwandelt. Ich wuͤſte nicht, wie ich Ihnen kuͤrzer die ganze Sache beſchreiben ſollte. Der ganze Rheinſtrom wird Schaum, ſobald er dies Felſenbette erreicht hat. Man ſieht nichts als ein Meer von der allerreinſten Milch. Man glaubt in einen unaufhoͤrlich ſiedenden Keſſel von Milch zu ſchauen. Dabei iſt das zartaufſtaͤubende Waſ- ſer, das wie der allerfeinſte, duͤnnſte Rauch in die Hoͤhe geworfen wird, und gen Himmel fliegt, ein unbeſchreib- lich ſchoͤner Anblick. Je laͤnger man hinſieht, deſto maͤch- T 2

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/329>, abgerufen am 25.11.2024.