Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wissenschaft ist der Fittig, mit welchem wir zum Him-
mel emporfliegen." Doch, was plaudre ich nun davon?
Ich wollte Ihnen ja meine kleine Reise erzählen.

Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben
durfte, so schränkte ich mich diesmahl auf den Boden-
see,
auf Costanz, auf Schafhausen und den Rhein-
fall
ein. Da ich zu Pferde war, so konnte ich den näch-
sten Weg durch das Würtembergische, und durch einen
Theil des Schwarzwaldes nehmen. Es war in der
angenehmsten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war
nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, schöner, frucht-
barer Maimonat. Alles in der Natur geschah wenig-
stens in unsern Gegenden um drei Wochen früher. Das
Wetter war beständig, war heiter, nicht kalt, oft schon
sehr heis, besonders in den Thälern der Schweiz, und
selbst die Nächte schadeten nie den früh herausgekomme-
nen Blüten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal-
lengesang geritten, und habe manchen wilden Vogel im
Walde pfeifen gehört, der sonst mein Ohr noch nie ergötzt
hat. Ganze Reihen von blühenden Bäumen dufteten
am frühen Morgen um mich herum, und schienen, ein
einziger Blumenstraus zu seyn. So wie die Hitze des
Tages zunahm, ward auch das geschäftige Summen der
Bienen um diese mit den schönsten Blüten ganz bedeck-
ten Aeste immer stärker, und begleitete mich, je näher ich
dem heissen Italien, dem gebürgvollen Tyrol, und der
kräuterreichen Schweiz kam. Nicht ein einziges Was-
ser, weder die grössern noch die kleinern Flüsse liefen jetzt
an. Denn wir hatten im vergangenen Winter überall
wenig Schnee gehabt. Sonst muß man in andern Jah-
ren, wenn man um diese Zeit in unsern Gegenden reisen

will,
Q 4

„Wiſſenſchaft iſt der Fittig, mit welchem wir zum Him-
mel emporfliegen.“ Doch, was plaudre ich nun davon?
Ich wollte Ihnen ja meine kleine Reiſe erzaͤhlen.

Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben
durfte, ſo ſchraͤnkte ich mich diesmahl auf den Boden-
ſee,
auf Coſtanz, auf Schafhauſen und den Rhein-
fall
ein. Da ich zu Pferde war, ſo konnte ich den naͤch-
ſten Weg durch das Wuͤrtembergiſche, und durch einen
Theil des Schwarzwaldes nehmen. Es war in der
angenehmſten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war
nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, ſchoͤner, frucht-
barer Maimonat. Alles in der Natur geſchah wenig-
ſtens in unſern Gegenden um drei Wochen fruͤher. Das
Wetter war beſtaͤndig, war heiter, nicht kalt, oft ſchon
ſehr heis, beſonders in den Thaͤlern der Schweiz, und
ſelbſt die Naͤchte ſchadeten nie den fruͤh herausgekomme-
nen Bluͤten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal-
lengeſang geritten, und habe manchen wilden Vogel im
Walde pfeifen gehoͤrt, der ſonſt mein Ohr noch nie ergoͤtzt
hat. Ganze Reihen von bluͤhenden Baͤumen dufteten
am fruͤhen Morgen um mich herum, und ſchienen, ein
einziger Blumenſtraus zu ſeyn. So wie die Hitze des
Tages zunahm, ward auch das geſchaͤftige Summen der
Bienen um dieſe mit den ſchoͤnſten Bluͤten ganz bedeck-
ten Aeſte immer ſtaͤrker, und begleitete mich, je naͤher ich
dem heiſſen Italien, dem gebuͤrgvollen Tyrol, und der
kraͤuterreichen Schweiz kam. Nicht ein einziges Waſ-
ſer, weder die groͤſſern noch die kleinern Fluͤſſe liefen jetzt
an. Denn wir hatten im vergangenen Winter uͤberall
wenig Schnee gehabt. Sonſt muß man in andern Jah-
ren, wenn man um dieſe Zeit in unſern Gegenden reiſen

will,
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="247"/>
&#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft i&#x017F;t der Fittig, mit welchem wir zum Him-<lb/>
mel emporfliegen.&#x201C; Doch, was plaudre ich nun davon?<lb/>
Ich wollte Ihnen ja meine kleine Rei&#x017F;e erza&#x0364;hlen.</p><lb/>
          <p>Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben<lb/>
durfte, &#x017F;o &#x017F;chra&#x0364;nkte ich mich diesmahl auf den <hi rendition="#fr">Boden-<lb/>
&#x017F;ee,</hi> auf <hi rendition="#fr">Co&#x017F;tanz,</hi> auf <hi rendition="#fr">Schafhau&#x017F;en</hi> und den <hi rendition="#fr">Rhein-<lb/>
fall</hi> ein. Da ich zu Pferde war, &#x017F;o konnte ich den na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Weg durch das <hi rendition="#fr">Wu&#x0364;rtemberg</hi>i&#x017F;che, und durch einen<lb/>
Theil des <hi rendition="#fr">Schwarzwaldes</hi> nehmen. Es war in der<lb/>
angenehm&#x017F;ten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war<lb/>
nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, &#x017F;cho&#x0364;ner, frucht-<lb/>
barer Maimonat. Alles in der Natur ge&#x017F;chah wenig-<lb/>
&#x017F;tens in un&#x017F;ern Gegenden um drei Wochen fru&#x0364;her. Das<lb/>
Wetter war be&#x017F;ta&#x0364;ndig, war heiter, nicht kalt, oft &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;ehr heis, be&#x017F;onders in den Tha&#x0364;lern der <hi rendition="#fr">Schweiz,</hi> und<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Na&#x0364;chte &#x017F;chadeten nie den fru&#x0364;h herausgekomme-<lb/>
nen Blu&#x0364;ten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal-<lb/>
lenge&#x017F;ang geritten, und habe manchen wilden Vogel im<lb/>
Walde pfeifen geho&#x0364;rt, der &#x017F;on&#x017F;t mein Ohr noch nie ergo&#x0364;tzt<lb/>
hat. Ganze Reihen von blu&#x0364;henden Ba&#x0364;umen dufteten<lb/>
am fru&#x0364;hen Morgen um mich herum, und &#x017F;chienen, ein<lb/>
einziger Blumen&#x017F;traus zu &#x017F;eyn. So wie die Hitze des<lb/>
Tages zunahm, ward auch das ge&#x017F;cha&#x0364;ftige Summen der<lb/>
Bienen um die&#x017F;e mit den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Blu&#x0364;ten ganz bedeck-<lb/>
ten Ae&#x017F;te immer &#x017F;ta&#x0364;rker, und begleitete mich, je na&#x0364;her ich<lb/>
dem hei&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Italien,</hi> dem gebu&#x0364;rgvollen <hi rendition="#fr">Tyrol,</hi> und der<lb/>
kra&#x0364;uterreichen <hi rendition="#fr">Schweiz</hi> kam. Nicht ein einziges Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er, weder die gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern noch die kleinern Flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e liefen jetzt<lb/>
an. Denn wir hatten im vergangenen Winter u&#x0364;berall<lb/>
wenig Schnee gehabt. Son&#x017F;t muß man in andern Jah-<lb/>
ren, wenn man um die&#x017F;e Zeit in un&#x017F;ern Gegenden rei&#x017F;en<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw><fw place="bottom" type="catch">will,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0285] „Wiſſenſchaft iſt der Fittig, mit welchem wir zum Him- mel emporfliegen.“ Doch, was plaudre ich nun davon? Ich wollte Ihnen ja meine kleine Reiſe erzaͤhlen. Da ich nicht mehr als vierzehn Tage wegbleiben durfte, ſo ſchraͤnkte ich mich diesmahl auf den Boden- ſee, auf Coſtanz, auf Schafhauſen und den Rhein- fall ein. Da ich zu Pferde war, ſo konnte ich den naͤch- ſten Weg durch das Wuͤrtembergiſche, und durch einen Theil des Schwarzwaldes nehmen. Es war in der angenehmſten Jahrszeit: der April des Jahrs 1781. war nicht Aprilmonat. Es war ein wahrer, ſchoͤner, frucht- barer Maimonat. Alles in der Natur geſchah wenig- ſtens in unſern Gegenden um drei Wochen fruͤher. Das Wetter war beſtaͤndig, war heiter, nicht kalt, oft ſchon ſehr heis, beſonders in den Thaͤlern der Schweiz, und ſelbſt die Naͤchte ſchadeten nie den fruͤh herausgekomme- nen Bluͤten. Ich bin manchen Morgen im Nachtigal- lengeſang geritten, und habe manchen wilden Vogel im Walde pfeifen gehoͤrt, der ſonſt mein Ohr noch nie ergoͤtzt hat. Ganze Reihen von bluͤhenden Baͤumen dufteten am fruͤhen Morgen um mich herum, und ſchienen, ein einziger Blumenſtraus zu ſeyn. So wie die Hitze des Tages zunahm, ward auch das geſchaͤftige Summen der Bienen um dieſe mit den ſchoͤnſten Bluͤten ganz bedeck- ten Aeſte immer ſtaͤrker, und begleitete mich, je naͤher ich dem heiſſen Italien, dem gebuͤrgvollen Tyrol, und der kraͤuterreichen Schweiz kam. Nicht ein einziges Waſ- ſer, weder die groͤſſern noch die kleinern Fluͤſſe liefen jetzt an. Denn wir hatten im vergangenen Winter uͤberall wenig Schnee gehabt. Sonſt muß man in andern Jah- ren, wenn man um dieſe Zeit in unſern Gegenden reiſen will, Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/285
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/285>, abgerufen am 07.05.2024.