lebt, der andere aber in seinem achtzehenden Jah- re als Doctorand starb, und an dessen Seite iezt unser Sander schlummert, ein Jahr auf der damaligen Realschule zu Lörrach in der Herrschaft Röteln auf. Von da kam er nach Köndringen zurück, und blieb bis in sein vier- zehntes Jahr in dem Hause seiner Eltern. Vom sechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den Unterricht der öffentlichen Lehrer auf dem Gym- nasium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein Jahr bei seinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe Schule zu Tübingen, und ging endlich von da auf die Akademie nach Göttingen, wo er sich der Gottesgelahrheit mit dem grösten Eifer widmete.
Der Aufenthalt bei seinem Herrn Vater war keine leere Pause. Er wandte diese Zwischen- zeit vielmehr dazu an, das Gehörte und Erlernte zu überdenken, zu berichtigen und zu ordnen. "Unsere Gedanken," sagt Young, "werden nur erst dann unser, wenn sie über unsere Lippen gehen." Sie werden von andern bestritten, von uns vertheidigt, und dann entweder als problematisch ad referendum angenommen, oder ganz weggeworfen, oder sie schließen sich als er- kannte und bestätigte Wahrheit an unser System an. Es kann seyn, daß ich irre, aber ich habe
San-
lebt, der andere aber in ſeinem achtzehenden Jah- re als Doctorand ſtarb, und an deſſen Seite iezt unſer Sander ſchlummert, ein Jahr auf der damaligen Realſchule zu Loͤrrach in der Herrſchaft Roͤteln auf. Von da kam er nach Koͤndringen zuruͤck, und blieb bis in ſein vier- zehntes Jahr in dem Hauſe ſeiner Eltern. Vom ſechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den Unterricht der oͤffentlichen Lehrer auf dem Gym- naſium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein Jahr bei ſeinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe Schule zu Tuͤbingen, und ging endlich von da auf die Akademie nach Goͤttingen, wo er ſich der Gottesgelahrheit mit dem groͤſten Eifer widmete.
Der Aufenthalt bei ſeinem Herrn Vater war keine leere Pauſe. Er wandte dieſe Zwiſchen- zeit vielmehr dazu an, das Gehoͤrte und Erlernte zu uͤberdenken, zu berichtigen und zu ordnen. „Unſere Gedanken,“ ſagt Young, „werden nur erſt dann unſer, wenn ſie uͤber unſere Lippen gehen.“ Sie werden von andern beſtritten, von uns vertheidigt, und dann entweder als problematiſch ad referendum angenommen, oder ganz weggeworfen, oder ſie ſchließen ſich als er- kannte und beſtaͤtigte Wahrheit an unſer Syſtem an. Es kann ſeyn, daß ich irre, aber ich habe
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[VI/0012]
lebt, der andere aber in ſeinem achtzehenden Jah-
re als Doctorand ſtarb, und an deſſen Seite
iezt unſer Sander ſchlummert, ein Jahr auf
der damaligen Realſchule zu Loͤrrach in der
Herrſchaft Roͤteln auf. Von da kam er nach
Koͤndringen zuruͤck, und blieb bis in ſein vier-
zehntes Jahr in dem Hauſe ſeiner Eltern. Vom
ſechzehnten bis zum achtzehnten genoß er den
Unterricht der oͤffentlichen Lehrer auf dem Gym-
naſium zu Karlsruhe, blieb dann noch ein
Jahr bei ſeinem Herrn Vater, bezog darauf die hohe
Schule zu Tuͤbingen, und ging endlich von da auf
die Akademie nach Goͤttingen, wo er ſich der
Gottesgelahrheit mit dem groͤſten Eifer widmete.
Der Aufenthalt bei ſeinem Herrn Vater war
keine leere Pauſe. Er wandte dieſe Zwiſchen-
zeit vielmehr dazu an, das Gehoͤrte und Erlernte
zu uͤberdenken, zu berichtigen und zu ordnen.
„Unſere Gedanken,“ ſagt Young, „werden
nur erſt dann unſer, wenn ſie uͤber unſere Lippen
gehen.“ Sie werden von andern beſtritten,
von uns vertheidigt, und dann entweder als
problematiſch ad referendum angenommen, oder
ganz weggeworfen, oder ſie ſchließen ſich als er-
kannte und beſtaͤtigte Wahrheit an unſer Syſtem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 2. Leipzig, 1784, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung02_1784/12>, abgerufen am 24.11.2024.
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