Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Bureau, wo man die Billets dazu nach 3. Uhr ausgibt,
hat eine Wache. Der Opernsaal selber ist nicht gar
gros. Der Schauplatz ist prächtig, das Parterre ist im
Strasburger Komödienhause dreimal grösser. In der
Mitte sind 5. Gallerien über einander, an den Seiten
nur 4. Au premier zahlt man 12. Livr., au second
6. au troisieme
und quatrieme 3. Livres; und im
Parterre 40. Sous. Auch aufm Parterre können an
den Seiten herum viele sitzen. Am Sonntag muß man
das Billet wenigstens schon um 4. Uhr holen lassen, und
um 5. Uhr hineingehen. Sie fängt 3/4 auf 6. Uhr an, und
dauert 2. Stunden. An allen Ecken sind Soldaten gestellt
mit Feuersprützen, wenn etwan ein Unglück entstehen sollte.
Das Stück, welches heute aufgeführt ward, war ein he-
roisches Ballet, Cephale et Procris. Es ist unbe-
schreiblich, wie Auge und Ohr belustigt werden: -- durch
die Musik, da das ganze Orchester auf einen Coup
d'archet
losgeht, da bald die größte französische Deli-
katesse, bald die heftigste Gewalt der Musik die Seele
durchschüttert; -- durch die Dekorationen, da bald
Wolken mit Göttinnen darauf, von oben langsam herab-
sinken, bald von unten herauf Siegeswagen steigen und
wieder versinken, bald alles in den lieblichsten Wald,
bald alles in einen königlichen Saal verwandelt wird; --
durch die Akteurs und Aktricen, die den herrlichsten Ge-
sang, die höchste Stimme des Affekts, die passionirteste
Mine, die einnehmendste, rührendste, beweglichste Stel-
lung, den bebenden Gang, die herrlichste Wendung, die
affektvollste Pause, die unnachahmlichste Erhebung des
Tons, alles was einen in Glut setzen, und schmelzen kan,
in ihrer Gewalt haben. (Es war ein Akteur da, M.
Gros,
man konnte ihn nicht genug sehen und hören); --

durch
E 4

Bureau, wo man die Billets dazu nach 3. Uhr ausgibt,
hat eine Wache. Der Opernſaal ſelber iſt nicht gar
gros. Der Schauplatz iſt praͤchtig, das Parterre iſt im
Strasburger Komoͤdienhauſe dreimal groͤſſer. In der
Mitte ſind 5. Gallerien uͤber einander, an den Seiten
nur 4. Au premier zahlt man 12. Livr., au ſecond
6. au troiſieme
und quatrieme 3. Livres; und im
Parterre 40. Sous. Auch aufm Parterre koͤnnen an
den Seiten herum viele ſitzen. Am Sonntag muß man
das Billet wenigſtens ſchon um 4. Uhr holen laſſen, und
um 5. Uhr hineingehen. Sie faͤngt ¾ auf 6. Uhr an, und
dauert 2. Stunden. An allen Ecken ſind Soldaten geſtellt
mit Feuerſpruͤtzen, wenn etwan ein Ungluͤck entſtehen ſollte.
Das Stuͤck, welches heute aufgefuͤhrt ward, war ein he-
roiſches Ballet, Cephale et Procris. Es iſt unbe-
ſchreiblich, wie Auge und Ohr beluſtigt werden: — durch
die Muſik, da das ganze Orcheſter auf einen Coup
d’archet
losgeht, da bald die groͤßte franzoͤſiſche Deli-
kateſſe, bald die heftigſte Gewalt der Muſik die Seele
durchſchuͤttert; — durch die Dekorationen, da bald
Wolken mit Goͤttinnen darauf, von oben langſam herab-
ſinken, bald von unten herauf Siegeswagen ſteigen und
wieder verſinken, bald alles in den lieblichſten Wald,
bald alles in einen koͤniglichen Saal verwandelt wird; —
durch die Akteurs und Aktricen, die den herrlichſten Ge-
ſang, die hoͤchſte Stimme des Affekts, die paſſionirteſte
Mine, die einnehmendſte, ruͤhrendſte, beweglichſte Stel-
lung, den bebenden Gang, die herrlichſte Wendung, die
affektvollſte Pauſe, die unnachahmlichſte Erhebung des
Tons, alles was einen in Glut ſetzen, und ſchmelzen kan,
in ihrer Gewalt haben. (Es war ein Akteur da, M.
Gros,
man konnte ihn nicht genug ſehen und hoͤren); —

durch
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0095" n="71"/>
Bureau, wo man die Billets dazu nach 3. Uhr ausgibt,<lb/>
hat eine Wache. Der Opern&#x017F;aal &#x017F;elber i&#x017F;t nicht gar<lb/>
gros. Der Schauplatz i&#x017F;t pra&#x0364;chtig, das Parterre i&#x017F;t im<lb/><hi rendition="#fr">Strasburger</hi> Komo&#x0364;dienhau&#x017F;e dreimal gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er. In der<lb/>
Mitte &#x017F;ind 5. Gallerien u&#x0364;ber einander, an den Seiten<lb/>
nur 4. <hi rendition="#aq">Au premier</hi> zahlt man 12. Livr., <hi rendition="#aq">au &#x017F;econd<lb/>
6. au troi&#x017F;ieme</hi> und <hi rendition="#aq">quatrieme</hi> 3. Livres; und im<lb/>
Parterre 40. Sous. Auch aufm Parterre ko&#x0364;nnen an<lb/>
den Seiten herum viele &#x017F;itzen. Am Sonntag muß man<lb/>
das Billet wenig&#x017F;tens &#x017F;chon um 4. Uhr holen la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
um 5. Uhr hineingehen. Sie fa&#x0364;ngt ¾ auf 6. Uhr an, und<lb/>
dauert 2. Stunden. An allen Ecken &#x017F;ind Soldaten ge&#x017F;tellt<lb/>
mit Feuer&#x017F;pru&#x0364;tzen, wenn etwan ein Unglu&#x0364;ck ent&#x017F;tehen &#x017F;ollte.<lb/>
Das Stu&#x0364;ck, welches heute aufgefu&#x0364;hrt ward, war ein he-<lb/>
roi&#x017F;ches Ballet, <hi rendition="#aq">Cephale et Procris.</hi> Es i&#x017F;t unbe-<lb/>
&#x017F;chreiblich, wie Auge und Ohr belu&#x017F;tigt werden: &#x2014; durch<lb/>
die Mu&#x017F;ik, da das ganze Orche&#x017F;ter auf einen <hi rendition="#aq">Coup<lb/>
d&#x2019;archet</hi> losgeht, da bald die gro&#x0364;ßte franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Deli-<lb/>
kate&#x017F;&#x017F;e, bald die heftig&#x017F;te Gewalt der Mu&#x017F;ik die Seele<lb/>
durch&#x017F;chu&#x0364;ttert; &#x2014; durch die Dekorationen, da bald<lb/>
Wolken mit Go&#x0364;ttinnen darauf, von oben lang&#x017F;am herab-<lb/>
&#x017F;inken, bald von unten herauf Siegeswagen &#x017F;teigen und<lb/>
wieder ver&#x017F;inken, bald alles in den lieblich&#x017F;ten Wald,<lb/>
bald alles in einen ko&#x0364;niglichen Saal verwandelt wird; &#x2014;<lb/>
durch die Akteurs und Aktricen, die den herrlich&#x017F;ten Ge-<lb/>
&#x017F;ang, die ho&#x0364;ch&#x017F;te Stimme des Affekts, die pa&#x017F;&#x017F;ionirte&#x017F;te<lb/>
Mine, die einnehmend&#x017F;te, ru&#x0364;hrend&#x017F;te, beweglich&#x017F;te Stel-<lb/>
lung, den bebenden Gang, die herrlich&#x017F;te Wendung, die<lb/>
affektvoll&#x017F;te Pau&#x017F;e, die unnachahmlich&#x017F;te Erhebung des<lb/>
Tons, alles was einen in Glut &#x017F;etzen, und &#x017F;chmelzen kan,<lb/>
in ihrer Gewalt haben. (Es war ein Akteur da, <hi rendition="#aq">M.<lb/><hi rendition="#i">Gros,</hi></hi> man konnte ihn nicht genug &#x017F;ehen und ho&#x0364;ren); &#x2014;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0095] Bureau, wo man die Billets dazu nach 3. Uhr ausgibt, hat eine Wache. Der Opernſaal ſelber iſt nicht gar gros. Der Schauplatz iſt praͤchtig, das Parterre iſt im Strasburger Komoͤdienhauſe dreimal groͤſſer. In der Mitte ſind 5. Gallerien uͤber einander, an den Seiten nur 4. Au premier zahlt man 12. Livr., au ſecond 6. au troiſieme und quatrieme 3. Livres; und im Parterre 40. Sous. Auch aufm Parterre koͤnnen an den Seiten herum viele ſitzen. Am Sonntag muß man das Billet wenigſtens ſchon um 4. Uhr holen laſſen, und um 5. Uhr hineingehen. Sie faͤngt ¾ auf 6. Uhr an, und dauert 2. Stunden. An allen Ecken ſind Soldaten geſtellt mit Feuerſpruͤtzen, wenn etwan ein Ungluͤck entſtehen ſollte. Das Stuͤck, welches heute aufgefuͤhrt ward, war ein he- roiſches Ballet, Cephale et Procris. Es iſt unbe- ſchreiblich, wie Auge und Ohr beluſtigt werden: — durch die Muſik, da das ganze Orcheſter auf einen Coup d’archet losgeht, da bald die groͤßte franzoͤſiſche Deli- kateſſe, bald die heftigſte Gewalt der Muſik die Seele durchſchuͤttert; — durch die Dekorationen, da bald Wolken mit Goͤttinnen darauf, von oben langſam herab- ſinken, bald von unten herauf Siegeswagen ſteigen und wieder verſinken, bald alles in den lieblichſten Wald, bald alles in einen koͤniglichen Saal verwandelt wird; — durch die Akteurs und Aktricen, die den herrlichſten Ge- ſang, die hoͤchſte Stimme des Affekts, die paſſionirteſte Mine, die einnehmendſte, ruͤhrendſte, beweglichſte Stel- lung, den bebenden Gang, die herrlichſte Wendung, die affektvollſte Pauſe, die unnachahmlichſte Erhebung des Tons, alles was einen in Glut ſetzen, und ſchmelzen kan, in ihrer Gewalt haben. (Es war ein Akteur da, M. Gros, man konnte ihn nicht genug ſehen und hoͤren); — durch E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/95
Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/95>, abgerufen am 25.11.2024.