sigkeit ist von einer besondern Art. Beständig trinken sie Liqueurs, Ratafia, Fleur d'Orange; zum Früh- stück essen sie oft so viel, als bei uns mancher Mittags; da haben sie denn hernach keinen grossen Appetit. Die Bauern um die Stadt herum sind wahrhaftig im Essen wie unsre. Und weiter hinein in die Provinzen haben die armen Leute nichts, müssen wie das Vieh arbeiten, um die Abgaben aufzubringen, leben auch, wie das Vieh etc. Weil der ganze Hang der Nation aufs Weiche, Wollüstige geht: so saufen sie freilich nicht so stark, wie in Deutschland, doch sind mir auch schon am hellen Ta- ge Besoffene vorgekommen.
Schöne Menschen muß man gar nicht in Paris suchen, unter keinem Stand oder Geschlecht. Fast alle Weibspersonen sind gefärbt, und wenn sie's nicht sind, so sind sie blaß, gelb, eingefallen, haben keine lebhafte Far- be. Es kan auch nicht anders seyn, sie sitzen beständig lang bei Tische, dann in der Karosse, dann im Spekta- kel, dann am Spieltisch, dann in den Thuilleries, dann beim Soupe', und wieder am Spieltische, -- beständig in der dicken, ungesunden Stadtluft, - - kommen nie ins freie Feld, werden von Jugend auf gemisbraucht, verzärtelt, verwöhnt, bewegen sich wenig, zu Fuß fast nie, arbeiten nicht ernstlich, stecken in engen Zimmern etc. Kinder haben noch eine leichte fliegende Kleidung, aber ohne Mitleiden kan man sie nicht ansehen. Wie der Baum ist, so ist die Frucht! Unglückliche Geschöpfe, die ihre Lebenssäfte verdorbenen unreinen Quellen zu danken haben!
Den
S 3
ſigkeit iſt von einer beſondern Art. Beſtaͤndig trinken ſie Liqueurs, Ratafia, Fleur d’Orange; zum Fruͤh- ſtuͤck eſſen ſie oft ſo viel, als bei uns mancher Mittags; da haben ſie denn hernach keinen groſſen Appetit. Die Bauern um die Stadt herum ſind wahrhaftig im Eſſen wie unſre. Und weiter hinein in die Provinzen haben die armen Leute nichts, muͤſſen wie das Vieh arbeiten, um die Abgaben aufzubringen, leben auch, wie das Vieh ꝛc. Weil der ganze Hang der Nation aufs Weiche, Wolluͤſtige geht: ſo ſaufen ſie freilich nicht ſo ſtark, wie in Deutſchland, doch ſind mir auch ſchon am hellen Ta- ge Beſoffene vorgekommen.
Schoͤne Menſchen muß man gar nicht in Paris ſuchen, unter keinem Stand oder Geſchlecht. Faſt alle Weibsperſonen ſind gefaͤrbt, und wenn ſie’s nicht ſind, ſo ſind ſie blaß, gelb, eingefallen, haben keine lebhafte Far- be. Es kan auch nicht anders ſeyn, ſie ſitzen beſtaͤndig lang bei Tiſche, dann in der Karoſſe, dann im Spekta- kel, dann am Spieltiſch, dann in den Thuilleries, dann beim Soupe’, und wieder am Spieltiſche, — beſtaͤndig in der dicken, ungeſunden Stadtluft, ‒ ‒ kommen nie ins freie Feld, werden von Jugend auf gemisbraucht, verzaͤrtelt, verwoͤhnt, bewegen ſich wenig, zu Fuß faſt nie, arbeiten nicht ernſtlich, ſtecken in engen Zimmern ꝛc. Kinder haben noch eine leichte fliegende Kleidung, aber ohne Mitleiden kan man ſie nicht anſehen. Wie der Baum iſt, ſo iſt die Frucht! Ungluͤckliche Geſchoͤpfe, die ihre Lebensſaͤfte verdorbenen unreinen Quellen zu danken haben!
Den
S 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0301"n="277"/>ſigkeit iſt von einer beſondern Art. Beſtaͤndig trinken<lb/>ſie Liqueurs, Ratafia, <hirendition="#aq">Fleur d’Orange;</hi> zum Fruͤh-<lb/>ſtuͤck eſſen ſie oft ſo viel, als bei uns mancher Mittags;<lb/>
da haben ſie denn hernach keinen groſſen Appetit. Die<lb/>
Bauern um die Stadt herum ſind wahrhaftig im Eſſen<lb/>
wie unſre. Und weiter hinein in die Provinzen haben<lb/>
die armen Leute nichts, muͤſſen wie das Vieh arbeiten,<lb/>
um die Abgaben aufzubringen, leben auch, wie das Vieh<lb/>ꝛc. Weil der ganze Hang der Nation aufs Weiche,<lb/>
Wolluͤſtige geht: ſo ſaufen ſie freilich nicht ſo ſtark, wie<lb/>
in <hirendition="#fr">Deutſchland,</hi> doch ſind mir auch ſchon am hellen Ta-<lb/>
ge Beſoffene vorgekommen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Schoͤne Menſchen</hi> muß man gar nicht in <hirendition="#fr">Paris</hi><lb/>ſuchen, unter keinem Stand oder Geſchlecht. Faſt alle<lb/>
Weibsperſonen ſind gefaͤrbt, und wenn ſie’s nicht ſind,<lb/>ſo ſind ſie blaß, gelb, eingefallen, haben keine lebhafte Far-<lb/>
be. Es kan auch nicht anders ſeyn, ſie ſitzen beſtaͤndig<lb/>
lang bei Tiſche, dann in der Karoſſe, dann im Spekta-<lb/>
kel, dann am Spieltiſch, dann in den <hirendition="#fr">Thuilleries,</hi> dann<lb/>
beim Soupe’, und wieder am Spieltiſche, — beſtaͤndig<lb/>
in der dicken, ungeſunden Stadtluft, ‒‒ kommen nie<lb/>
ins freie Feld, werden von Jugend auf gemisbraucht,<lb/>
verzaͤrtelt, verwoͤhnt, bewegen ſich wenig, zu Fuß faſt<lb/>
nie, arbeiten nicht ernſtlich, ſtecken in engen Zimmern ꝛc.<lb/>
Kinder haben noch eine leichte fliegende Kleidung, aber<lb/>
ohne Mitleiden kan man ſie nicht anſehen. Wie der<lb/>
Baum iſt, ſo iſt die Frucht! Ungluͤckliche Geſchoͤpfe, die<lb/>
ihre Lebensſaͤfte verdorbenen unreinen Quellen zu danken<lb/>
haben!</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig">S 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Den</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[277/0301]
ſigkeit iſt von einer beſondern Art. Beſtaͤndig trinken
ſie Liqueurs, Ratafia, Fleur d’Orange; zum Fruͤh-
ſtuͤck eſſen ſie oft ſo viel, als bei uns mancher Mittags;
da haben ſie denn hernach keinen groſſen Appetit. Die
Bauern um die Stadt herum ſind wahrhaftig im Eſſen
wie unſre. Und weiter hinein in die Provinzen haben
die armen Leute nichts, muͤſſen wie das Vieh arbeiten,
um die Abgaben aufzubringen, leben auch, wie das Vieh
ꝛc. Weil der ganze Hang der Nation aufs Weiche,
Wolluͤſtige geht: ſo ſaufen ſie freilich nicht ſo ſtark, wie
in Deutſchland, doch ſind mir auch ſchon am hellen Ta-
ge Beſoffene vorgekommen.
Schoͤne Menſchen muß man gar nicht in Paris
ſuchen, unter keinem Stand oder Geſchlecht. Faſt alle
Weibsperſonen ſind gefaͤrbt, und wenn ſie’s nicht ſind,
ſo ſind ſie blaß, gelb, eingefallen, haben keine lebhafte Far-
be. Es kan auch nicht anders ſeyn, ſie ſitzen beſtaͤndig
lang bei Tiſche, dann in der Karoſſe, dann im Spekta-
kel, dann am Spieltiſch, dann in den Thuilleries, dann
beim Soupe’, und wieder am Spieltiſche, — beſtaͤndig
in der dicken, ungeſunden Stadtluft, ‒ ‒ kommen nie
ins freie Feld, werden von Jugend auf gemisbraucht,
verzaͤrtelt, verwoͤhnt, bewegen ſich wenig, zu Fuß faſt
nie, arbeiten nicht ernſtlich, ſtecken in engen Zimmern ꝛc.
Kinder haben noch eine leichte fliegende Kleidung, aber
ohne Mitleiden kan man ſie nicht anſehen. Wie der
Baum iſt, ſo iſt die Frucht! Ungluͤckliche Geſchoͤpfe, die
ihre Lebensſaͤfte verdorbenen unreinen Quellen zu danken
haben!
Den
S 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/301>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.