gliederungskunst. Endlich, wie sie alles gelesen und ge- sehen hatte, sing sie an, den Körper mit Wachsboßiren nachzumachen. Sie gesteht, daß sie nicht die erste ge- wesen, aber die Dauer, die Vollständigkeit, die Genauig- keit, und die Solidität an ihren Werken sind ihr Ver- dienst und ihre unstreitig grosse Ehre. Sie war glück- lich, erfand sich selber Mittel und Künste, die sie nieman- den sagt, arbeitete 47. Jahr in diesen Sachen, ging nicht aus, als in die Kirche und zur Madem. Baßeporte, saß immer allein, und studirte und arbeitete. Alle Me- dici und Chirurgi und ihre ganze Verwandschaft wider- setzten sich, und der Neid dieser nichtswürdigen Leute hat auch gemacht, daß sie keine Eleven annehmen konnte. Man hat's ihr auf alle mögliche Art schwer gemacht, aber sie überwand alles. Sie arbeitete so viel, daß ihre Ge- sundheit darüber gelitten hat. Jetzt ist sie etliche 60. Jahr alt. Um sich von vielen Arbeiten zu erhohlen, und ihre Sachen bekannt zu machen, war sie zweimahl in Lon- don, wo sie unter andern auch mit Hunter und Hew- son wohl bekannt ward. Jetzt lebt sie in der Stille, hat ihre Sachen auf Veranstaltung des Ambassadeurs nach Rußland schicken müssen, arbeitet noch immer, beson- ders, wenn was bei ihr bestellt wird, hat den Mittwoch von 103. Uhr an dazu ausgesetzt, ihre Sachen jedermann zu zeigen. Wer einmahl 3 Liver zahlt, kan hernach kommen, so oft er will. Sie beklagt sich, daß noch kein Fürst ihre Sache unterstützt hat, da's doch gewis für Prinzen, Prinzessinnen, vornehme Kinder, für Studi- rende, im Sommer, wo man auf der Anatomie nichts machen kan, im Feld, für Frauenzimmer, für die Ge- burtshülfe bei gemeinen Weibspersonen etc. gewis nütz- lich wäre; so wie's überhaupt in der Geschichte der mensch-
lichen
gliederungskunſt. Endlich, wie ſie alles geleſen und ge- ſehen hatte, ſing ſie an, den Koͤrper mit Wachsboßiren nachzumachen. Sie geſteht, daß ſie nicht die erſte ge- weſen, aber die Dauer, die Vollſtaͤndigkeit, die Genauig- keit, und die Soliditaͤt an ihren Werken ſind ihr Ver- dienſt und ihre unſtreitig groſſe Ehre. Sie war gluͤck- lich, erfand ſich ſelber Mittel und Kuͤnſte, die ſie nieman- den ſagt, arbeitete 47. Jahr in dieſen Sachen, ging nicht aus, als in die Kirche und zur Madem. Baßeporte, ſaß immer allein, und ſtudirte und arbeitete. Alle Me- dici und Chirurgi und ihre ganze Verwandſchaft wider- ſetzten ſich, und der Neid dieſer nichtswuͤrdigen Leute hat auch gemacht, daß ſie keine Eleven annehmen konnte. Man hat’s ihr auf alle moͤgliche Art ſchwer gemacht, aber ſie uͤberwand alles. Sie arbeitete ſo viel, daß ihre Ge- ſundheit daruͤber gelitten hat. Jetzt iſt ſie etliche 60. Jahr alt. Um ſich von vielen Arbeiten zu erhohlen, und ihre Sachen bekannt zu machen, war ſie zweimahl in Lon- don, wo ſie unter andern auch mit Hunter und Hew- ſon wohl bekannt ward. Jetzt lebt ſie in der Stille, hat ihre Sachen auf Veranſtaltung des Ambaſſadeurs nach Rußland ſchicken muͤſſen, arbeitet noch immer, beſon- ders, wenn was bei ihr beſtellt wird, hat den Mittwoch von 103. Uhr an dazu ausgeſetzt, ihre Sachen jedermann zu zeigen. Wer einmahl 3 Liver zahlt, kan hernach kommen, ſo oft er will. Sie beklagt ſich, daß noch kein Fuͤrſt ihre Sache unterſtuͤtzt hat, da’s doch gewis fuͤr Prinzen, Prinzeſſinnen, vornehme Kinder, fuͤr Studi- rende, im Sommer, wo man auf der Anatomie nichts machen kan, im Feld, fuͤr Frauenzimmer, fuͤr die Ge- burtshuͤlfe bei gemeinen Weibsperſonen ꝛc. gewis nuͤtz- lich waͤre; ſo wie’s uͤberhaupt in der Geſchichte der menſch-
lichen
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gliederungskunſt. Endlich, wie ſie alles geleſen und ge-
ſehen hatte, ſing ſie an, den Koͤrper mit Wachsboßiren
nachzumachen. Sie geſteht, daß ſie nicht die erſte ge-
weſen, aber die Dauer, die Vollſtaͤndigkeit, die Genauig-
keit, und die Soliditaͤt an ihren Werken ſind ihr Ver-
dienſt und ihre unſtreitig groſſe Ehre. Sie war gluͤck-
lich, erfand ſich ſelber Mittel und Kuͤnſte, die ſie nieman-
den ſagt, arbeitete 47. Jahr in dieſen Sachen, ging
nicht aus, als in die Kirche und zur Madem. Baßeporte,
ſaß immer allein, und ſtudirte und arbeitete. Alle Me-
dici und Chirurgi und ihre ganze Verwandſchaft wider-
ſetzten ſich, und der Neid dieſer nichtswuͤrdigen Leute hat
auch gemacht, daß ſie keine Eleven annehmen konnte.
Man hat’s ihr auf alle moͤgliche Art ſchwer gemacht, aber
ſie uͤberwand alles. Sie arbeitete ſo viel, daß ihre Ge-
ſundheit daruͤber gelitten hat. Jetzt iſt ſie etliche 60. Jahr
alt. Um ſich von vielen Arbeiten zu erhohlen, und ihre
Sachen bekannt zu machen, war ſie zweimahl in Lon-
don, wo ſie unter andern auch mit Hunter und Hew-
ſon wohl bekannt ward. Jetzt lebt ſie in der Stille, hat
ihre Sachen auf Veranſtaltung des Ambaſſadeurs nach
Rußland ſchicken muͤſſen, arbeitet noch immer, beſon-
ders, wenn was bei ihr beſtellt wird, hat den Mittwoch
von 103. Uhr an dazu ausgeſetzt, ihre Sachen jedermann
zu zeigen. Wer einmahl 3 Liver zahlt, kan hernach
kommen, ſo oft er will. Sie beklagt ſich, daß noch kein
Fuͤrſt ihre Sache unterſtuͤtzt hat, da’s doch gewis fuͤr
Prinzen, Prinzeſſinnen, vornehme Kinder, fuͤr Studi-
rende, im Sommer, wo man auf der Anatomie nichts
machen kan, im Feld, fuͤr Frauenzimmer, fuͤr die Ge-
burtshuͤlfe bei gemeinen Weibsperſonen ꝛc. gewis nuͤtz-
lich waͤre; ſo wie’s uͤberhaupt in der Geſchichte der menſch-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird … [mehr]
Erst ein Jahr nach dem Tod Heinrich Sanders wird dessen Reisebeschreibung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um ein druckfertiges Manuskript aus dem Nachlass, welches Sanders Vater dem Verleger Friedrich Gotthold Jacobäer zur Verfügung stellte. Nach dem Vorbericht des Herausgebers wurden nur einige wenige Schreibfehler berichtigt (siehe dazu den Vorbericht des Herausgebers des ersten Bandes, Faksimile 0019f.).
Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/114>, abgerufen am 22.11.2024.
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