Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.Das Fernrohr. Bild, welches eine Linse liefert, von seinem farbigen Rande zu befreien,so ist damit schon sehr viel gethan, um die Deutlichkeit des Bildes zu heben. Newton hatte seine Versuche überhaupt nicht dahin gerichtet, weil er ja annahm, daß allen Substanzen dieselbe farbenzerstreuende und brechende Kraft zukomme. Der berühmte Mathematiker Euler fand theoretisch, daß aus zwei Linsen von verschiedenem Brechungs- vermögen sich eine achromatische müsse zusammensetzen lassen, d. h. eine solche, die ein weißes Bild von einem weißen Gegenstande liefert. Die Versuche, die Hall und Dollond in dieser Richtung anstellten, hatten zwar einen gewissen Erfolg, konnten aber nicht genügend nutz- bar gemacht werden, weil man die Größe reiner Glaslinsen eben erst bis zu 10 cm treiben konnte. Dieselbe zu vermehren, erschien aber durchaus notwendig, wenn die Deutlichkeit der Refraktorbilder mit derjenigen, welche die großen Reflektoren erzeugten, konkurrieren sollte. Hier setzte Fraunhofer die Hebel seiner Kraft an. Dieser war der Sohn armer Eltern, die ihn zu einem Spiegelmacher in die Lehre gaben. Als das Haus des Meisters zusammenstürzte und Fraunhofer unter den Trümmern hervorgeholt wurde, machte der Kammerrat Utz- schneider den Mechaniker Reichenbach auf den strebsamen Knaben auf- merksam, welcher aus ihm den bedeutendsten Mechaniker seiner Zeit machte. Fraunhofer erfuhr, daß der Schweizer Uhrmacher Guinand 1805 größere und schönere Glasscheiben geschmelzt habe, als je zuvor gefertigt waren. Letzteren zog der Münchener Gelehrte nach Bayern, und der gemeinsamen Arbeit beider entstammen jene vielbewunderten Gläser, die lange Zeit als die besten galten. Auch in den Linsen der modernsten Fernröhre steckt noch Geist von Fraunhofers Geiste. Bis vor wenigen Jahren ist nämlich die Erzeugung optischen Glases noch das Mysterium weniger Eingeweihten gewesen. Der bedeutendste deutsche Fabrikant desselben, Herr Merz in München, dessen Vater der langjährige Gehülfe und Nachfolger Fraunhofers in der Leitung der optischen Werkstätten war, erzeugte in seinen Öfen immer nur so viel Glas, als in seiner Werkstatt verarbeitet wurde. Neben ihm waren bisher nur Feil in Paris und Chance in Birmingham als die In- haber bedeutender Schmelzöfen zu nennen, und auch diese beiden sind in ähnlicher Weise als von deutschem Geiste inspiriert anzusehen. Feil ist der jetzige Inhaber jenes Instituts, welches der Schweizer Guinand zu Paris begründete, und ist mit einer Enkelin Guinands verheiratet. Erst ganz neuerdings beginnt die Kenntnis in der Anfertigung optischen Glases Gemeingut zu werden, und das haben wir besonders der Munificenz der preußischen Regierung zu verdanken, die das optische Institut der Herren Abbe und Schott in Jena lebensfähig machte. Die Nachrichten, die über die dortigen Leistungen bisher in die Öffent- lichkeit gelangt sind -- und es wird alles mit einer bemerkenswerten Offenheit mitgeteilt -- lassen erhoffen, daß die ferneren Fortschritte der praktischen Optik wieder von Deutschland ausgehen werden, wo sie vor Das Buch der Erfindungen. 58
Das Fernrohr. Bild, welches eine Linſe liefert, von ſeinem farbigen Rande zu befreien,ſo iſt damit ſchon ſehr viel gethan, um die Deutlichkeit des Bildes zu heben. Newton hatte ſeine Verſuche überhaupt nicht dahin gerichtet, weil er ja annahm, daß allen Subſtanzen dieſelbe farbenzerſtreuende und brechende Kraft zukomme. Der berühmte Mathematiker Euler fand theoretiſch, daß aus zwei Linſen von verſchiedenem Brechungs- vermögen ſich eine achromatiſche müſſe zuſammenſetzen laſſen, d. h. eine ſolche, die ein weißes Bild von einem weißen Gegenſtande liefert. Die Verſuche, die Hall und Dollond in dieſer Richtung anſtellten, hatten zwar einen gewiſſen Erfolg, konnten aber nicht genügend nutz- bar gemacht werden, weil man die Größe reiner Glaslinſen eben erſt bis zu 10 cm treiben konnte. Dieſelbe zu vermehren, erſchien aber durchaus notwendig, wenn die Deutlichkeit der Refraktorbilder mit derjenigen, welche die großen Reflektoren erzeugten, konkurrieren ſollte. Hier ſetzte Fraunhofer die Hebel ſeiner Kraft an. Dieſer war der Sohn armer Eltern, die ihn zu einem Spiegelmacher in die Lehre gaben. Als das Haus des Meiſters zuſammenſtürzte und Fraunhofer unter den Trümmern hervorgeholt wurde, machte der Kammerrat Utz- ſchneider den Mechaniker Reichenbach auf den ſtrebſamen Knaben auf- merkſam, welcher aus ihm den bedeutendſten Mechaniker ſeiner Zeit machte. Fraunhofer erfuhr, daß der Schweizer Uhrmacher Guinand 1805 größere und ſchönere Glasſcheiben geſchmelzt habe, als je zuvor gefertigt waren. Letzteren zog der Münchener Gelehrte nach Bayern, und der gemeinſamen Arbeit beider entſtammen jene vielbewunderten Gläſer, die lange Zeit als die beſten galten. Auch in den Linſen der modernſten Fernröhre ſteckt noch Geiſt von Fraunhofers Geiſte. Bis vor wenigen Jahren iſt nämlich die Erzeugung optiſchen Glaſes noch das Myſterium weniger Eingeweihten geweſen. Der bedeutendſte deutſche Fabrikant desſelben, Herr Merz in München, deſſen Vater der langjährige Gehülfe und Nachfolger Fraunhofers in der Leitung der optiſchen Werkſtätten war, erzeugte in ſeinen Öfen immer nur ſo viel Glas, als in ſeiner Werkſtatt verarbeitet wurde. Neben ihm waren bisher nur Feil in Paris und Chance in Birmingham als die In- haber bedeutender Schmelzöfen zu nennen, und auch dieſe beiden ſind in ähnlicher Weiſe als von deutſchem Geiſte inſpiriert anzuſehen. Feil iſt der jetzige Inhaber jenes Inſtituts, welches der Schweizer Guinand zu Paris begründete, und iſt mit einer Enkelin Guinands verheiratet. Erſt ganz neuerdings beginnt die Kenntnis in der Anfertigung optiſchen Glaſes Gemeingut zu werden, und das haben wir beſonders der Munificenz der preußiſchen Regierung zu verdanken, die das optiſche Inſtitut der Herren Abbe und Schott in Jena lebensfähig machte. Die Nachrichten, die über die dortigen Leiſtungen bisher in die Öffent- lichkeit gelangt ſind — und es wird alles mit einer bemerkenswerten Offenheit mitgeteilt — laſſen erhoffen, daß die ferneren Fortſchritte der praktiſchen Optik wieder von Deutſchland ausgehen werden, wo ſie vor Das Buch der Erfindungen. 58
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0931" n="913"/><fw place="top" type="header">Das Fernrohr.</fw><lb/> Bild, welches eine Linſe liefert, von ſeinem farbigen Rande zu befreien,<lb/> ſo iſt damit ſchon ſehr viel gethan, um die Deutlichkeit des Bildes zu<lb/> heben. Newton hatte ſeine Verſuche überhaupt nicht dahin gerichtet,<lb/> weil er ja annahm, daß allen Subſtanzen dieſelbe farbenzerſtreuende<lb/> und brechende Kraft zukomme. Der berühmte Mathematiker Euler<lb/> fand theoretiſch, daß aus zwei Linſen von verſchiedenem Brechungs-<lb/> vermögen ſich eine achromatiſche müſſe zuſammenſetzen laſſen, d. h. eine<lb/> ſolche, die ein weißes Bild von einem weißen Gegenſtande liefert.<lb/> Die Verſuche, die Hall und Dollond in dieſer Richtung anſtellten,<lb/> hatten zwar einen gewiſſen Erfolg, konnten aber nicht genügend nutz-<lb/> bar gemacht werden, weil man die Größe reiner Glaslinſen eben erſt<lb/> bis zu 10 <hi rendition="#aq">cm</hi> treiben konnte. Dieſelbe zu vermehren, erſchien aber<lb/> durchaus notwendig, wenn die Deutlichkeit der Refraktorbilder mit<lb/> derjenigen, welche die großen Reflektoren erzeugten, konkurrieren ſollte.<lb/> Hier ſetzte Fraunhofer die Hebel ſeiner Kraft an. Dieſer war der<lb/> Sohn armer Eltern, die ihn zu einem Spiegelmacher in die Lehre<lb/> gaben. Als das Haus des Meiſters zuſammenſtürzte und Fraunhofer<lb/> unter den Trümmern hervorgeholt wurde, machte der Kammerrat Utz-<lb/> ſchneider den Mechaniker Reichenbach auf den ſtrebſamen Knaben auf-<lb/> merkſam, welcher aus ihm den bedeutendſten Mechaniker ſeiner Zeit<lb/> machte. Fraunhofer erfuhr, daß der Schweizer Uhrmacher Guinand<lb/> 1805 größere und ſchönere Glasſcheiben geſchmelzt habe, als je zuvor<lb/> gefertigt waren. Letzteren zog der Münchener Gelehrte nach Bayern, und<lb/> der gemeinſamen Arbeit beider entſtammen jene vielbewunderten Gläſer,<lb/> die lange Zeit als die beſten galten. Auch in den Linſen der<lb/> modernſten Fernröhre ſteckt noch Geiſt von Fraunhofers Geiſte. Bis<lb/> vor wenigen Jahren iſt nämlich die Erzeugung optiſchen Glaſes noch<lb/> das Myſterium weniger Eingeweihten geweſen. Der bedeutendſte<lb/> deutſche Fabrikant desſelben, Herr Merz in München, deſſen Vater der<lb/> langjährige Gehülfe und Nachfolger Fraunhofers in der Leitung der<lb/> optiſchen Werkſtätten war, erzeugte in ſeinen Öfen immer nur ſo viel<lb/> Glas, als in ſeiner Werkſtatt verarbeitet wurde. Neben ihm waren<lb/> bisher nur Feil in Paris und Chance in Birmingham als die In-<lb/> haber bedeutender Schmelzöfen zu nennen, und auch dieſe beiden ſind<lb/> in ähnlicher Weiſe als von deutſchem Geiſte inſpiriert anzuſehen. Feil<lb/> iſt der jetzige Inhaber jenes Inſtituts, welches der Schweizer Guinand<lb/> zu Paris begründete, und iſt mit einer Enkelin Guinands verheiratet.<lb/> Erſt ganz neuerdings beginnt die Kenntnis in der Anfertigung optiſchen<lb/> Glaſes Gemeingut zu werden, und das haben wir beſonders der<lb/> Munificenz der preußiſchen Regierung zu verdanken, die das optiſche<lb/> Inſtitut der Herren Abbe und Schott in Jena lebensfähig machte.<lb/> Die Nachrichten, die über die dortigen Leiſtungen bisher in die Öffent-<lb/> lichkeit gelangt ſind — und es wird alles mit einer bemerkenswerten<lb/> Offenheit mitgeteilt — laſſen erhoffen, daß die ferneren Fortſchritte der<lb/> praktiſchen Optik wieder von Deutſchland ausgehen werden, wo ſie vor<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Das Buch der Erfindungen. 58</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [913/0931]
Das Fernrohr.
Bild, welches eine Linſe liefert, von ſeinem farbigen Rande zu befreien,
ſo iſt damit ſchon ſehr viel gethan, um die Deutlichkeit des Bildes zu
heben. Newton hatte ſeine Verſuche überhaupt nicht dahin gerichtet,
weil er ja annahm, daß allen Subſtanzen dieſelbe farbenzerſtreuende
und brechende Kraft zukomme. Der berühmte Mathematiker Euler
fand theoretiſch, daß aus zwei Linſen von verſchiedenem Brechungs-
vermögen ſich eine achromatiſche müſſe zuſammenſetzen laſſen, d. h. eine
ſolche, die ein weißes Bild von einem weißen Gegenſtande liefert.
Die Verſuche, die Hall und Dollond in dieſer Richtung anſtellten,
hatten zwar einen gewiſſen Erfolg, konnten aber nicht genügend nutz-
bar gemacht werden, weil man die Größe reiner Glaslinſen eben erſt
bis zu 10 cm treiben konnte. Dieſelbe zu vermehren, erſchien aber
durchaus notwendig, wenn die Deutlichkeit der Refraktorbilder mit
derjenigen, welche die großen Reflektoren erzeugten, konkurrieren ſollte.
Hier ſetzte Fraunhofer die Hebel ſeiner Kraft an. Dieſer war der
Sohn armer Eltern, die ihn zu einem Spiegelmacher in die Lehre
gaben. Als das Haus des Meiſters zuſammenſtürzte und Fraunhofer
unter den Trümmern hervorgeholt wurde, machte der Kammerrat Utz-
ſchneider den Mechaniker Reichenbach auf den ſtrebſamen Knaben auf-
merkſam, welcher aus ihm den bedeutendſten Mechaniker ſeiner Zeit
machte. Fraunhofer erfuhr, daß der Schweizer Uhrmacher Guinand
1805 größere und ſchönere Glasſcheiben geſchmelzt habe, als je zuvor
gefertigt waren. Letzteren zog der Münchener Gelehrte nach Bayern, und
der gemeinſamen Arbeit beider entſtammen jene vielbewunderten Gläſer,
die lange Zeit als die beſten galten. Auch in den Linſen der
modernſten Fernröhre ſteckt noch Geiſt von Fraunhofers Geiſte. Bis
vor wenigen Jahren iſt nämlich die Erzeugung optiſchen Glaſes noch
das Myſterium weniger Eingeweihten geweſen. Der bedeutendſte
deutſche Fabrikant desſelben, Herr Merz in München, deſſen Vater der
langjährige Gehülfe und Nachfolger Fraunhofers in der Leitung der
optiſchen Werkſtätten war, erzeugte in ſeinen Öfen immer nur ſo viel
Glas, als in ſeiner Werkſtatt verarbeitet wurde. Neben ihm waren
bisher nur Feil in Paris und Chance in Birmingham als die In-
haber bedeutender Schmelzöfen zu nennen, und auch dieſe beiden ſind
in ähnlicher Weiſe als von deutſchem Geiſte inſpiriert anzuſehen. Feil
iſt der jetzige Inhaber jenes Inſtituts, welches der Schweizer Guinand
zu Paris begründete, und iſt mit einer Enkelin Guinands verheiratet.
Erſt ganz neuerdings beginnt die Kenntnis in der Anfertigung optiſchen
Glaſes Gemeingut zu werden, und das haben wir beſonders der
Munificenz der preußiſchen Regierung zu verdanken, die das optiſche
Inſtitut der Herren Abbe und Schott in Jena lebensfähig machte.
Die Nachrichten, die über die dortigen Leiſtungen bisher in die Öffent-
lichkeit gelangt ſind — und es wird alles mit einer bemerkenswerten
Offenheit mitgeteilt — laſſen erhoffen, daß die ferneren Fortſchritte der
praktiſchen Optik wieder von Deutſchland ausgehen werden, wo ſie vor
Das Buch der Erfindungen. 58
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |