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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896.

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Die Taschenuhren.
Lappen F vor den Zahn m legt. Auch hier wird das Steigrad erst
ein wenig zurückgedrängt, um gleich nachher den Lappen F fortzu-
stoßen, und so wiederholt sich das Spiel der Flügel und des Steig-
rades sortgesetzt, während dieses immer um einen Zahn vorwärts kommt.
Das ist die Spindelhemmung, die bis zum Jahre 1720 allein im
Gebrauche war. Was dieselbe allmählich verdrängte, das waren
folgende Nachteile. Wenn die Zugkraft der Triebfeder sich nur wenig
vermehrt, so werden offenbar die Schläge der Steigradzähne gegen die
Flügel schneller erfolgen und damit wird der Gang der Uhr ein
beschleunigter werden. Nun ist aber die Spannkraft der Feder keines-
wegs immer die gleiche. Nach dem Aufziehen ist sie am höchsten, dann
nimmt sie allmählich ab und daher werden alle Bewegungen der Uhr
bald nach dem Aufziehen zu schnell, kurz vor dem Ablaufen aber zu
langsam erfolgen. Um diesem Übelstande abzuhelfen bediente man sich
in den Spindeluhren -- wie noch heute bei den für die Zwecke einer
genauen Zeitmessung bestimmten Uhren, den Chronometern -- des in
der Fig. 31 dargestellten Apparates. Die Triebfeder A sitzt in einer
Trommel, das innere Ende bleibt, wie schon gesagt, am Cylinder
befestigt, während das äußere an der inneren Trommelfläche angelötet
ist. An die äußere Fläche der letzteren aber legt sich ein langes, sehr
biegsames Stahlkettchen, dessen eines Ende an die Trommel genagelt
ist, während das andere am Grunde der Schnecke fest sitzt. Am
Umfange dieser ist eine spiralige Verkehlung angebracht, die -- wie
wir nun sehen werden -- zur allmählichen Aufnahme der Kette dienen
soll. Um die Uhr aufzuziehen dreht man mittels eines Schlüssels die
Schnecke herum, und dabei wickelt sich die Kette von der Trommel
ab und auf die Schnecke. Bei dieser Bewegung der Kette dreht sich
natürlich auch die Trommel, und infolge dessen windet sich die Spirale
um den Cylinder in ihrer Mitte. Bald nachdem die Uhr aufgezogen
ist, beginnt aber die Spirale sich zu strecken und bewirkt damit eine
Drehung der Trommel und damit auch der Schnecke in der entgegen-
gesetzten Richtung. Die Stahlkette wickelt sich dabei wieder von der
Schnecke auf die Trommel herüber. Zuerst, d. h. wenn die Spannung
der Spirale größer ist, wirkt dieselbe durch Vermittelung der Kette auf
die obersten Schneckenwindungen. Diese aber hat den geringsten Durch-
messer und setzt daher der Spirale, die sie umdrehen will, einen größeren
Widerstand entgegen. Derselbe nimmt allmählich ab in dem Maße,
als der Durchmesser der Auskehlung größer wird. Kurz vor dem
Ablaufen der Kette ist zugleich die Spannkraft der Spirale und der
Widerstand der Schnecke am geringsten geworden, weil jene ja auf den
größten Durchmesser der Schnecke wirkt, und da demnach die Kraft
mit dem Widerstande, den sie findet, gleichmäßig abnimmt, so wird sie
durchaus gleichmäßig auf die Uhrteile wirken, indem das Zahnrad an der
Schnecke die Bewegung derselben auf die übrigen Räder überträgt.
Durch diese höchst geistreiche Verbindung von Schnecke und Trommel

Die Taſchenuhren.
Lappen F vor den Zahn m legt. Auch hier wird das Steigrad erſt
ein wenig zurückgedrängt, um gleich nachher den Lappen F fortzu-
ſtoßen, und ſo wiederholt ſich das Spiel der Flügel und des Steig-
rades ſortgeſetzt, während dieſes immer um einen Zahn vorwärts kommt.
Das iſt die Spindelhemmung, die bis zum Jahre 1720 allein im
Gebrauche war. Was dieſelbe allmählich verdrängte, das waren
folgende Nachteile. Wenn die Zugkraft der Triebfeder ſich nur wenig
vermehrt, ſo werden offenbar die Schläge der Steigradzähne gegen die
Flügel ſchneller erfolgen und damit wird der Gang der Uhr ein
beſchleunigter werden. Nun iſt aber die Spannkraft der Feder keines-
wegs immer die gleiche. Nach dem Aufziehen iſt ſie am höchſten, dann
nimmt ſie allmählich ab und daher werden alle Bewegungen der Uhr
bald nach dem Aufziehen zu ſchnell, kurz vor dem Ablaufen aber zu
langſam erfolgen. Um dieſem Übelſtande abzuhelfen bediente man ſich
in den Spindeluhren — wie noch heute bei den für die Zwecke einer
genauen Zeitmeſſung beſtimmten Uhren, den Chronometern — des in
der Fig. 31 dargeſtellten Apparates. Die Triebfeder A ſitzt in einer
Trommel, das innere Ende bleibt, wie ſchon geſagt, am Cylinder
befeſtigt, während das äußere an der inneren Trommelfläche angelötet
iſt. An die äußere Fläche der letzteren aber legt ſich ein langes, ſehr
biegſames Stahlkettchen, deſſen eines Ende an die Trommel genagelt
iſt, während das andere am Grunde der Schnecke feſt ſitzt. Am
Umfange dieſer iſt eine ſpiralige Verkehlung angebracht, die — wie
wir nun ſehen werden — zur allmählichen Aufnahme der Kette dienen
ſoll. Um die Uhr aufzuziehen dreht man mittels eines Schlüſſels die
Schnecke herum, und dabei wickelt ſich die Kette von der Trommel
ab und auf die Schnecke. Bei dieſer Bewegung der Kette dreht ſich
natürlich auch die Trommel, und infolge deſſen windet ſich die Spirale
um den Cylinder in ihrer Mitte. Bald nachdem die Uhr aufgezogen
iſt, beginnt aber die Spirale ſich zu ſtrecken und bewirkt damit eine
Drehung der Trommel und damit auch der Schnecke in der entgegen-
geſetzten Richtung. Die Stahlkette wickelt ſich dabei wieder von der
Schnecke auf die Trommel herüber. Zuerſt, d. h. wenn die Spannung
der Spirale größer iſt, wirkt dieſelbe durch Vermittelung der Kette auf
die oberſten Schneckenwindungen. Dieſe aber hat den geringſten Durch-
meſſer und ſetzt daher der Spirale, die ſie umdrehen will, einen größeren
Widerſtand entgegen. Derſelbe nimmt allmählich ab in dem Maße,
als der Durchmeſſer der Auskehlung größer wird. Kurz vor dem
Ablaufen der Kette iſt zugleich die Spannkraft der Spirale und der
Widerſtand der Schnecke am geringſten geworden, weil jene ja auf den
größten Durchmeſſer der Schnecke wirkt, und da demnach die Kraft
mit dem Widerſtande, den ſie findet, gleichmäßig abnimmt, ſo wird ſie
durchaus gleichmäßig auf die Uhrteile wirken, indem das Zahnrad an der
Schnecke die Bewegung derſelben auf die übrigen Räder überträgt.
Durch dieſe höchſt geiſtreiche Verbindung von Schnecke und Trommel

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[45/0063] Die Taſchenuhren. Lappen F vor den Zahn m legt. Auch hier wird das Steigrad erſt ein wenig zurückgedrängt, um gleich nachher den Lappen F fortzu- ſtoßen, und ſo wiederholt ſich das Spiel der Flügel und des Steig- rades ſortgeſetzt, während dieſes immer um einen Zahn vorwärts kommt. Das iſt die Spindelhemmung, die bis zum Jahre 1720 allein im Gebrauche war. Was dieſelbe allmählich verdrängte, das waren folgende Nachteile. Wenn die Zugkraft der Triebfeder ſich nur wenig vermehrt, ſo werden offenbar die Schläge der Steigradzähne gegen die Flügel ſchneller erfolgen und damit wird der Gang der Uhr ein beſchleunigter werden. Nun iſt aber die Spannkraft der Feder keines- wegs immer die gleiche. Nach dem Aufziehen iſt ſie am höchſten, dann nimmt ſie allmählich ab und daher werden alle Bewegungen der Uhr bald nach dem Aufziehen zu ſchnell, kurz vor dem Ablaufen aber zu langſam erfolgen. Um dieſem Übelſtande abzuhelfen bediente man ſich in den Spindeluhren — wie noch heute bei den für die Zwecke einer genauen Zeitmeſſung beſtimmten Uhren, den Chronometern — des in der Fig. 31 dargeſtellten Apparates. Die Triebfeder A ſitzt in einer Trommel, das innere Ende bleibt, wie ſchon geſagt, am Cylinder befeſtigt, während das äußere an der inneren Trommelfläche angelötet iſt. An die äußere Fläche der letzteren aber legt ſich ein langes, ſehr biegſames Stahlkettchen, deſſen eines Ende an die Trommel genagelt iſt, während das andere am Grunde der Schnecke feſt ſitzt. Am Umfange dieſer iſt eine ſpiralige Verkehlung angebracht, die — wie wir nun ſehen werden — zur allmählichen Aufnahme der Kette dienen ſoll. Um die Uhr aufzuziehen dreht man mittels eines Schlüſſels die Schnecke herum, und dabei wickelt ſich die Kette von der Trommel ab und auf die Schnecke. Bei dieſer Bewegung der Kette dreht ſich natürlich auch die Trommel, und infolge deſſen windet ſich die Spirale um den Cylinder in ihrer Mitte. Bald nachdem die Uhr aufgezogen iſt, beginnt aber die Spirale ſich zu ſtrecken und bewirkt damit eine Drehung der Trommel und damit auch der Schnecke in der entgegen- geſetzten Richtung. Die Stahlkette wickelt ſich dabei wieder von der Schnecke auf die Trommel herüber. Zuerſt, d. h. wenn die Spannung der Spirale größer iſt, wirkt dieſelbe durch Vermittelung der Kette auf die oberſten Schneckenwindungen. Dieſe aber hat den geringſten Durch- meſſer und ſetzt daher der Spirale, die ſie umdrehen will, einen größeren Widerſtand entgegen. Derſelbe nimmt allmählich ab in dem Maße, als der Durchmeſſer der Auskehlung größer wird. Kurz vor dem Ablaufen der Kette iſt zugleich die Spannkraft der Spirale und der Widerſtand der Schnecke am geringſten geworden, weil jene ja auf den größten Durchmeſſer der Schnecke wirkt, und da demnach die Kraft mit dem Widerſtande, den ſie findet, gleichmäßig abnimmt, ſo wird ſie durchaus gleichmäßig auf die Uhrteile wirken, indem das Zahnrad an der Schnecke die Bewegung derſelben auf die übrigen Räder überträgt. Durch dieſe höchſt geiſtreiche Verbindung von Schnecke und Trommel

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Zitationshilfe: Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/63>, abgerufen am 04.05.2024.