Ägypten aus hat sich diese Industrie über alle Völker verbreitet und besonders in Deutschland eine Stätte gefunden, an welcher die Art und Weise der Bereitung sehr vervollkommnet worden ist. Im Mittelalter und später noch, waren es besonders die Klöster, welche dieses Hand- werk pflegten, und sie lieferten schon darum ein sehr vorzügliches Bier, weil es weniger für den Handel, als für den Selbstkonsum bestimmt war. Die Brauerei entwickelte sich von Jahr zu Jahr mehr, und die kulturhistorische Bedeutung des Bieres ist nicht zu unterschätzen. Wir sehen nämlich Moral, Familienglück, Wohlstand in den hauptsächlich Schnaps trinkenden Gegenden in demselben Maße zunehmen, als es dem Biere gelingt, den Schnapskonsum einzudämmen, so daß die stetig wachsenden Zahlen des Bierkonsums erfreulich wirken müssen. Hiermit soll allerdings durchaus nicht bestritten werden, daß auch das Bier, im Übermaße genossen, sehr viel Unheil anrichten kann.
Das Deutsche Reich produzierte 1872 rund 331/2 Millionen Hekto- liter, 1882 bereits 391/2 Millionen, 1887 45 Millionen und 1891 endlich 53 Millionen. Dieser Zuwachs ist nicht etwa auf die gleich- zeitig gewachsene Einwohnerzahl zurückzuführen, denn 1872 wurden pro Kopf und Jahr 81,7 Liter, 1882 schon 84,7 Liter, 1887 94,6 Liter und 1891 endlich 106 Liter konsumiert. Bei so be- deutender Entwickelung einer Industrie, welche eine so große kultur- historische Aufgabe hat, muß die Reinheit des Fabrikats gerade in einer Zeit wie der unseren, wo Surrogate so vieles ersetzen sollen, besonders angenehm berühren. Es giebt nämlich nur wenige Nahrungs- bezw. Genußmittel, welche fabrikmäßig, im großen hergestellt, so rein geliefert werden als das Bier, und alle so häufig genannten Ver- fälschungen mögen wohl zum Teil früher vorgekommen sein, gehören aber jetzt in das Reich der Fabel, wenigstens für die große Anzahl der Großbrauereien, welche mit ihrer Produktion fast den ganzen Konsum decken.
Die Branntweinbrennerei.
Sobald eine zuckerhaltige Flüssigkeit zufällig mit Gährungserregern, wie sie unzählbar in der atmosphärischen Luft enthalten sind, in Be- rührung kommt, oder ihr solche, wie z. B. die Hefe, absichtlich zugesetzt werden, so beginnt die Gährung dieser Flüssigkeiten. Beim Wein z. B. wird die Gährung durch diejenigen Fermente oder Gährungserreger hervorgerufen, welche in der atmosphärischen Luft vorhanden sind und aus verschiedenen Arten bestehen, die der Botaniker unter dem Mi- kroskope genau von einander unterscheidet. Die Weinhefe unterscheidet sich wiederum scharf von der Hefe, welche die Gährung im Biere hervorruft und diesem -- wie wir im vorigen Kapitel erläutert haben -- in möglichst rein gezogener Rasse zugesetzt wird. Daß alle diese kleinen Pflänzchen die Eigenschaft haben, eine Gährung in einer Zucker- lösung hervorzurufen, kann den Botaniker ebensowenig veranlassen, sie
Nahrungs- und Genußmittel.
Ägypten aus hat ſich dieſe Induſtrie über alle Völker verbreitet und beſonders in Deutſchland eine Stätte gefunden, an welcher die Art und Weiſe der Bereitung ſehr vervollkommnet worden iſt. Im Mittelalter und ſpäter noch, waren es beſonders die Klöſter, welche dieſes Hand- werk pflegten, und ſie lieferten ſchon darum ein ſehr vorzügliches Bier, weil es weniger für den Handel, als für den Selbſtkonſum beſtimmt war. Die Brauerei entwickelte ſich von Jahr zu Jahr mehr, und die kulturhiſtoriſche Bedeutung des Bieres iſt nicht zu unterſchätzen. Wir ſehen nämlich Moral, Familienglück, Wohlſtand in den hauptſächlich Schnaps trinkenden Gegenden in demſelben Maße zunehmen, als es dem Biere gelingt, den Schnapskonſum einzudämmen, ſo daß die ſtetig wachſenden Zahlen des Bierkonſums erfreulich wirken müſſen. Hiermit ſoll allerdings durchaus nicht beſtritten werden, daß auch das Bier, im Übermaße genoſſen, ſehr viel Unheil anrichten kann.
Das Deutſche Reich produzierte 1872 rund 33½ Millionen Hekto- liter, 1882 bereits 39½ Millionen, 1887 45 Millionen und 1891 endlich 53 Millionen. Dieſer Zuwachs iſt nicht etwa auf die gleich- zeitig gewachſene Einwohnerzahl zurückzuführen, denn 1872 wurden pro Kopf und Jahr 81,7 Liter, 1882 ſchon 84,7 Liter, 1887 94,6 Liter und 1891 endlich 106 Liter konſumiert. Bei ſo be- deutender Entwickelung einer Induſtrie, welche eine ſo große kultur- hiſtoriſche Aufgabe hat, muß die Reinheit des Fabrikats gerade in einer Zeit wie der unſeren, wo Surrogate ſo vieles erſetzen ſollen, beſonders angenehm berühren. Es giebt nämlich nur wenige Nahrungs- bezw. Genußmittel, welche fabrikmäßig, im großen hergeſtellt, ſo rein geliefert werden als das Bier, und alle ſo häufig genannten Ver- fälſchungen mögen wohl zum Teil früher vorgekommen ſein, gehören aber jetzt in das Reich der Fabel, wenigſtens für die große Anzahl der Großbrauereien, welche mit ihrer Produktion faſt den ganzen Konſum decken.
Die Branntweinbrennerei.
Sobald eine zuckerhaltige Flüſſigkeit zufällig mit Gährungserregern, wie ſie unzählbar in der atmoſphäriſchen Luft enthalten ſind, in Be- rührung kommt, oder ihr ſolche, wie z. B. die Hefe, abſichtlich zugeſetzt werden, ſo beginnt die Gährung dieſer Flüſſigkeiten. Beim Wein z. B. wird die Gährung durch diejenigen Fermente oder Gährungserreger hervorgerufen, welche in der atmoſphäriſchen Luft vorhanden ſind und aus verſchiedenen Arten beſtehen, die der Botaniker unter dem Mi- kroſkope genau von einander unterſcheidet. Die Weinhefe unterſcheidet ſich wiederum ſcharf von der Hefe, welche die Gährung im Biere hervorruft und dieſem — wie wir im vorigen Kapitel erläutert haben — in möglichſt rein gezogener Raſſe zugeſetzt wird. Daß alle dieſe kleinen Pflänzchen die Eigenſchaft haben, eine Gährung in einer Zucker- löſung hervorzurufen, kann den Botaniker ebenſowenig veranlaſſen, ſie
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Nahrungs- und Genußmittel.
Ägypten aus hat ſich dieſe Induſtrie über alle Völker verbreitet und
beſonders in Deutſchland eine Stätte gefunden, an welcher die Art
und Weiſe der Bereitung ſehr vervollkommnet worden iſt. Im Mittelalter
und ſpäter noch, waren es beſonders die Klöſter, welche dieſes Hand-
werk pflegten, und ſie lieferten ſchon darum ein ſehr vorzügliches Bier,
weil es weniger für den Handel, als für den Selbſtkonſum beſtimmt
war. Die Brauerei entwickelte ſich von Jahr zu Jahr mehr, und die
kulturhiſtoriſche Bedeutung des Bieres iſt nicht zu unterſchätzen. Wir
ſehen nämlich Moral, Familienglück, Wohlſtand in den hauptſächlich
Schnaps trinkenden Gegenden in demſelben Maße zunehmen, als es
dem Biere gelingt, den Schnapskonſum einzudämmen, ſo daß die ſtetig
wachſenden Zahlen des Bierkonſums erfreulich wirken müſſen. Hiermit
ſoll allerdings durchaus nicht beſtritten werden, daß auch das Bier,
im Übermaße genoſſen, ſehr viel Unheil anrichten kann.
Das Deutſche Reich produzierte 1872 rund 33½ Millionen Hekto-
liter, 1882 bereits 39½ Millionen, 1887 45 Millionen und 1891
endlich 53 Millionen. Dieſer Zuwachs iſt nicht etwa auf die gleich-
zeitig gewachſene Einwohnerzahl zurückzuführen, denn 1872 wurden
pro Kopf und Jahr 81,7 Liter, 1882 ſchon 84,7 Liter, 1887
94,6 Liter und 1891 endlich 106 Liter konſumiert. Bei ſo be-
deutender Entwickelung einer Induſtrie, welche eine ſo große kultur-
hiſtoriſche Aufgabe hat, muß die Reinheit des Fabrikats gerade
in einer Zeit wie der unſeren, wo Surrogate ſo vieles erſetzen ſollen,
beſonders angenehm berühren. Es giebt nämlich nur wenige Nahrungs-
bezw. Genußmittel, welche fabrikmäßig, im großen hergeſtellt, ſo rein
geliefert werden als das Bier, und alle ſo häufig genannten Ver-
fälſchungen mögen wohl zum Teil früher vorgekommen ſein, gehören
aber jetzt in das Reich der Fabel, wenigſtens für die große Anzahl
der Großbrauereien, welche mit ihrer Produktion faſt den ganzen
Konſum decken.
Die Branntweinbrennerei.
Sobald eine zuckerhaltige Flüſſigkeit zufällig mit Gährungserregern,
wie ſie unzählbar in der atmoſphäriſchen Luft enthalten ſind, in Be-
rührung kommt, oder ihr ſolche, wie z. B. die Hefe, abſichtlich zugeſetzt
werden, ſo beginnt die Gährung dieſer Flüſſigkeiten. Beim Wein z. B.
wird die Gährung durch diejenigen Fermente oder Gährungserreger
hervorgerufen, welche in der atmoſphäriſchen Luft vorhanden ſind und
aus verſchiedenen Arten beſtehen, die der Botaniker unter dem Mi-
kroſkope genau von einander unterſcheidet. Die Weinhefe unterſcheidet
ſich wiederum ſcharf von der Hefe, welche die Gährung im Biere
hervorruft und dieſem — wie wir im vorigen Kapitel erläutert haben
— in möglichſt rein gezogener Raſſe zugeſetzt wird. Daß alle dieſe
kleinen Pflänzchen die Eigenſchaft haben, eine Gährung in einer Zucker-
löſung hervorzurufen, kann den Botaniker ebenſowenig veranlaſſen, ſie
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Samter, Heinrich: Das Reich der Erfindungen. Berlin, 1896, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/samter_erfindungen_1896/522>, abgerufen am 22.11.2024.
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