Tagelang waelzte er sich auf der Erde, unter bestaendigem entsetzlichen Geschrey, so oft man ihn allein liess. Er gieng gerne in Ge- sellschaft, weil ihm da das Herz zuweilen leichter ward; aber seine Melancholie befiel ihn auch in Gesellschaft. Anderthalb Jahre litt er alles, was das Herz zermalmet und den Geist niederdrauckt, durch seine religiöse Fa- seley. Sie verlohr sich endlich, bloss durch den Umgang mit einigen sehr vernaunftigen Geistlichen aus --. Aber Scrupel und Zwei- fel behielt er über alles ausserhalb der Re- ligion.
Er zweifelte an dem Daseyn von allem was er sah und von allem was vor ihm stand, von allem, was er mit Haenden griff. Der herz- gute Mann sagte mir, es habe ihm zwischen durch doch oft geschienen, alle seine Bedenk- lichkeiten seyen nur Krankheit, und oft habe er selbst mit seinen Freunden darüber gelacht. Aber mit Schauder und Schrecken versicherte er mir auch, dass er zehn Mordthaten began- gen haette, wenn es möglich gewesen waere, dadurch diese Krankheit loss zu werden, die seine Imagination bey jeder allergleichgaultig- sten Handlung des Lebens befiel.
Drit-
(F 3)
Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge- ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre litt er alles, was das Herz zermalmet und den Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa- ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen Geiſtlichen aus —. Aber Scrupel und Zwei- fel behielt er über alles auſſerhalb der Re- ligion.
Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von allem, was er mit Hænden griff. Der herz- gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk- lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht. Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began- gen hætte, wenn es möglich geweſen wære, dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die ſeine Imagination bey jeder allergleichgûltig- ſten Handlung des Lebens befiel.
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Tagelang wælzte er ſich auf der Erde, unter
beſtændigem entſetzlichen Geſchrey, ſo oft
man ihn allein lieſs. Er gieng gerne in Ge-
ſellſchaft, weil ihm da das Herz zuweilen
leichter ward; aber ſeine Melancholie befiel
ihn auch in Geſellſchaft. Anderthalb Jahre
litt er alles, was das Herz zermalmet und den
Geiſt niederdrûckt, durch ſeine religiöſe Fa-
ſeley. Sie verlohr ſich endlich, bloſs durch
den Umgang mit einigen ſehr vernûnftigen
Geiſtlichen aus —. Aber Scrupel und Zwei-
fel behielt er über alles auſſerhalb der Re-
ligion.
Er zweifelte an dem Daſeyn von allem was
er ſah und von allem was vor ihm ſtand, von
allem, was er mit Hænden griff. Der herz-
gute Mann ſagte mir, es habe ihm zwiſchen
durch doch oft geſchienen, alle ſeine Bedenk-
lichkeiten ſeyen nur Krankheit, und oft habe
er ſelbſt mit ſeinen Freunden darüber gelacht.
Aber mit Schauder und Schrecken verſicherte
er mir auch, daſs er zehn Mordthaten began-
gen hætte, wenn es möglich geweſen wære,
dadurch dieſe Krankheit loſs zu werden, die
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ſten Handlung des Lebens befiel.
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/95>, abgerufen am 24.11.2024.
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