nuss ihnen erst nach vielen Jahren bestimmt war. Weibliche Schönheit würde wahr- scheinlich auf einen Knaben, mit schlichtem geradem Sinne und unverdorbnem Wahr- heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die Bildung eines schönen Knaben. Wenn aber ein anderer durch die Cultur von dem gera- dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht, mit verliebten Liedern, Schauspielen, Ge- dichten, Romanen bekannt gemacht wird, dann geht alles ganz verkehrt. Die junge Seele, die für itzo keine andere Bestimmung hatte, als spielen und lernen, gehorchen und gefaellig seyn, faengt an sich zu verlieben, und traumt von hübschen Maedchen in Jah- ren, wo die Kinder sonst nur von Puppen und Steckenpferden zu traeumen pflegten.
Eine so sonderbare Art von Geschöpfen sind wir Menschen. Immer suchen wir uns das weniger Wichtige mit Aufopferung des Wichtigern zu verschaffen: verderben den Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen
uns
nuſs ihnen erſt nach vielen Jahren beſtimmt war. Weibliche Schönheit würde wahr- ſcheinlich auf einen Knaben, mit ſchlichtem geradem Sinne und unverdorbnem Wahr- heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die Bildung eines ſchönen Knaben. Wenn aber ein anderer durch die Cultur von dem gera- dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht, mit verliebten Liedern, Schauſpielen, Ge- dichten, Romanen bekannt gemacht wird, dann geht alles ganz verkehrt. Die junge Seele, die für itzo keine andere Beſtimmung hatte, als ſpielen und lernen, gehorchen und gefællig ſeyn, fængt an ſich zu verlieben, und traumt von hübſchen Mædchen in Jah- ren, wo die Kinder ſonſt nur von Puppen und Steckenpferden zu træumen pflegten.
Eine ſo ſonderbare Art von Geſchöpfen ſind wir Menſchen. Immer ſuchen wir uns das weniger Wichtige mit Aufopferung des Wichtigern zu verſchaffen: verderben den Magen, um den Gaumen zu kützeln, machen
uns
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nuſs ihnen erſt nach vielen Jahren beſtimmt
war. Weibliche Schönheit würde wahr-
ſcheinlich auf einen Knaben, mit ſchlichtem
geradem Sinne und unverdorbnem Wahr-
heitsgefühl, eben nicht mehr wirken, als die
Bildung eines ſchönen Knaben. Wenn aber
ein anderer durch die Cultur von dem gera-
dem Wege, den die Natur zeigt, abgebracht,
mit verliebten Liedern, Schauſpielen, Ge-
dichten, Romanen bekannt gemacht wird,
dann geht alles ganz verkehrt. Die junge
Seele, die für itzo keine andere Beſtimmung
hatte, als ſpielen und lernen, gehorchen
und gefællig ſeyn, fængt an ſich zu verlieben,
und traumt von hübſchen Mædchen in Jah-
ren, wo die Kinder ſonſt nur von Puppen
und Steckenpferden zu træumen pflegten.
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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/135>, abgerufen am 22.11.2024.
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