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Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

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Gründe wider den Selbstmord.
gen kämpft; wer das fliegende Gefühl vom
Werthe des Lebens mit Gewalt zurück hält;
wer den Funken nicht im Busen nährt, bis
er Flamme wird, sondern ihn muthig vom
Leib und Kleide schüttelt, da er noch Funke
ist: der wird wohl nie Selbstmörder werden
können. Allein, wenn jemand, sein eig-
ner Feind, das Gute seiner Existenz immer
in den Schatten zurücksetzt, und das Schlim-
me immer ans Licht hervorzieht, und, was
Hauptsache ist, die erfinderische Einbildungs-
kraft mit ihren lebhaften Farben darein
malen läßt, was sie will: welch' ein fürch-
terlich Lebensgemälde wird nach Jahren da-
stehen? Der unglückliche Maler wird sich
wohl nicht mehr enthalten können, es mit
Einem Pinselzug durchzustreichen, und die
Leinwand, worauf die Ebenteuer gemalt
sind -- ins Feuer zu werfen, um von dem
folternden Anblicke des Schauergemäldes auf
immer frey zu werden. Sehr natürlich,
denke ich: aber dieß Natürliche beweißt
nichts, gar nichts für den Selbstmord. Oder
würden wir denn nicht jede Todesart auf
dem Krankenlager auch natürlich finden,

wenn
C 3

Gruͤnde wider den Selbſtmord.
gen kaͤmpft; wer das fliegende Gefuͤhl vom
Werthe des Lebens mit Gewalt zuruͤck haͤlt;
wer den Funken nicht im Buſen naͤhrt, bis
er Flamme wird, ſondern ihn muthig vom
Leib und Kleide ſchuͤttelt, da er noch Funke
iſt: der wird wohl nie Selbſtmoͤrder werden
koͤnnen. Allein, wenn jemand, ſein eig-
ner Feind, das Gute ſeiner Exiſtenz immer
in den Schatten zuruͤckſetzt, und das Schlim-
me immer ans Licht hervorzieht, und, was
Hauptſache iſt, die erfinderiſche Einbildungs-
kraft mit ihren lebhaften Farben darein
malen laͤßt, was ſie will: welch’ ein fuͤrch-
terlich Lebensgemaͤlde wird nach Jahren da-
ſtehen? Der ungluͤckliche Maler wird ſich
wohl nicht mehr enthalten koͤnnen, es mit
Einem Pinſelzug durchzuſtreichen, und die
Leinwand, worauf die Ebenteuer gemalt
ſind — ins Feuer zu werfen, um von dem
folternden Anblicke des Schauergemaͤldes auf
immer frey zu werden. Sehr natuͤrlich,
denke ich: aber dieß Natuͤrliche beweißt
nichts, gar nichts fuͤr den Selbſtmord. Oder
wuͤrden wir denn nicht jede Todesart auf
dem Krankenlager auch natuͤrlich finden,

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[37/0049] Gruͤnde wider den Selbſtmord. gen kaͤmpft; wer das fliegende Gefuͤhl vom Werthe des Lebens mit Gewalt zuruͤck haͤlt; wer den Funken nicht im Buſen naͤhrt, bis er Flamme wird, ſondern ihn muthig vom Leib und Kleide ſchuͤttelt, da er noch Funke iſt: der wird wohl nie Selbſtmoͤrder werden koͤnnen. Allein, wenn jemand, ſein eig- ner Feind, das Gute ſeiner Exiſtenz immer in den Schatten zuruͤckſetzt, und das Schlim- me immer ans Licht hervorzieht, und, was Hauptſache iſt, die erfinderiſche Einbildungs- kraft mit ihren lebhaften Farben darein malen laͤßt, was ſie will: welch’ ein fuͤrch- terlich Lebensgemaͤlde wird nach Jahren da- ſtehen? Der ungluͤckliche Maler wird ſich wohl nicht mehr enthalten koͤnnen, es mit Einem Pinſelzug durchzuſtreichen, und die Leinwand, worauf die Ebenteuer gemalt ſind — ins Feuer zu werfen, um von dem folternden Anblicke des Schauergemaͤldes auf immer frey zu werden. Sehr natuͤrlich, denke ich: aber dieß Natuͤrliche beweißt nichts, gar nichts fuͤr den Selbſtmord. Oder wuͤrden wir denn nicht jede Todesart auf dem Krankenlager auch natuͤrlich finden, wenn C 3

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/49>, abgerufen am 29.03.2024.