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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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Von dieser sanften Emanation des Schriftsinnes
scheint der heilige Bischof unsers Kirchensprengels,
Ulrich, Begriff gehabt zu haben, wie es einer seiner
Denksprüche wahrscheinlich macht:

"Die heilige Schrift sanft ausgedrückt -- giebt Milch,
gewaltsam ausgepresst -- giebt sie Blut."

Diesem heiligen Manne wollen wir nachahmen, und
alle Schrauben kühn verachten, womit die Schrift kühn
gepresst wird. -- Alle Schrauben müssen abgethan
werden, aber die Wahrheit bleibt ewig, und wer ihr
anhängt, auch. Lasst uns dem Volke immer klares
und planes Wort Gottes
geben, damit es sich daran hal-
ten könne!

Hebräisch ist dem deutschen Volke 4) die abge-
zogne, gedrängte, poetischsublime, deutsche Sprache
,
die nur ein feines Ohr schön finden, und nur ein ge-
übter Kopf verstehen kann. Es ist die Kirchenkanzel
nicht dazu bestimmt, dass wir eine Probe unserer gros-
sen Sprachkenntniss ablegen. Auch wäre es von dem
Volke zu viel gefodert, wenn es die Wolkensprache
des Predigers erst in seine gemeine Landsprache über-
setzen müsste, um ihn verstehen zu können. Und
doch kann unser deutsches Volk ohne diese Ueber-
setzung
nicht fortkommen, wenn der Prediger sein
Sublimdeutsches nicht zuvor in Gemeindeutsches über-
setzt, ehe er predigt.

So lächerlich es nun wäre, wenn wir Prediger
vor unsern deutschen Gemeinen das Bereschit bara Elo-
him
&c. das wir in hebräischen Stunden gelernt haben,
aufsagen wollten: gerade so lächerlich ist es, wenn

wir

Von dieſer ſanften Emanation des Schriftſinnes
ſcheint der heilige Biſchof unſers Kirchenſprengels,
Ulrich, Begriff gehabt zu haben, wie es einer ſeiner
Denkſprüche wahrſcheinlich macht:

„Die heilige Schrift ſanft ausgedrückt — giebt Milch,
gewaltſam ausgepreſst — giebt ſie Blut.“

Dieſem heiligen Manne wollen wir nachahmen, und
alle Schrauben kühn verachten, womit die Schrift kühn
gepreſst wird. — Alle Schrauben müſſen abgethan
werden, aber die Wahrheit bleibt ewig, und wer ihr
anhängt, auch. Laſst uns dem Volke immer klares
und planes Wort Gottes
geben, damit es ſich daran hal-
ten könne!

Hebräiſch iſt dem deutſchen Volke 4) die abge-
zogne, gedrängte, poetiſchſublime, deutſche Sprache
,
die nur ein feines Ohr ſchön finden, und nur ein ge-
übter Kopf verſtehen kann. Es iſt die Kirchenkanzel
nicht dazu beſtimmt, daſs wir eine Probe unſerer groſ-
ſen Sprachkenntniſs ablegen. Auch wäre es von dem
Volke zu viel gefodert, wenn es die Wolkenſprache
des Predigers erſt in ſeine gemeine Landſprache über-
ſetzen müſste, um ihn verſtehen zu können. Und
doch kann unſer deutſches Volk ohne dieſe Ueber-
ſetzung
nicht fortkommen, wenn der Prediger ſein
Sublimdeutſches nicht zuvor in Gemeindeutſches über-
ſetzt, ehe er predigt.

So lächerlich es nun wäre, wenn wir Prediger
vor unſern deutſchen Gemeinen das Bereſchit bara Elo-
him
&c. das wir in hebräiſchen Stunden gelernt haben,
aufſagen wollten: gerade ſo lächerlich iſt es, wenn

wir
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[38/0052] Von dieſer ſanften Emanation des Schriftſinnes ſcheint der heilige Biſchof unſers Kirchenſprengels, Ulrich, Begriff gehabt zu haben, wie es einer ſeiner Denkſprüche wahrſcheinlich macht: „Die heilige Schrift ſanft ausgedrückt — giebt Milch, gewaltſam ausgepreſst — giebt ſie Blut.“ Dieſem heiligen Manne wollen wir nachahmen, und alle Schrauben kühn verachten, womit die Schrift kühn gepreſst wird. — Alle Schrauben müſſen abgethan werden, aber die Wahrheit bleibt ewig, und wer ihr anhängt, auch. Laſst uns dem Volke immer klares und planes Wort Gottes geben, damit es ſich daran hal- ten könne! Hebräiſch iſt dem deutſchen Volke 4) die abge- zogne, gedrängte, poetiſchſublime, deutſche Sprache, die nur ein feines Ohr ſchön finden, und nur ein ge- übter Kopf verſtehen kann. Es iſt die Kirchenkanzel nicht dazu beſtimmt, daſs wir eine Probe unſerer groſ- ſen Sprachkenntniſs ablegen. Auch wäre es von dem Volke zu viel gefodert, wenn es die Wolkenſprache des Predigers erſt in ſeine gemeine Landſprache über- ſetzen müſste, um ihn verſtehen zu können. Und doch kann unſer deutſches Volk ohne dieſe Ueber- ſetzung nicht fortkommen, wenn der Prediger ſein Sublimdeutſches nicht zuvor in Gemeindeutſches über- ſetzt, ehe er predigt. So lächerlich es nun wäre, wenn wir Prediger vor unſern deutſchen Gemeinen das Bereſchit bara Elo- him &c. das wir in hebräiſchen Stunden gelernt haben, aufſagen wollten: gerade ſo lächerlich iſt es, wenn wir

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/52>, abgerufen am 28.03.2024.