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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Phytodynamik.
erklären; namentlich sucht er darzuthun, daß die Reizbarkeit der
Mimose nicht auf Empfindung, sondern auf bekannten physikali-
schen Ursachen beruhe. Er betrachtet die Reizbewegungen in
Folge einer Berührung als durch eine Zusammenziehung verur-
sacht, die ihrerseits durch Welken oder Erschlaffung hervorgebracht
werde. Von dem mechanischen Vorgang der Reizbewegung selbst
sucht er nach Maßgabe der damals vorhandenen Kenntnisse Re-
chenschaft zu geben: die Blätter, sagt er, bleiben überhaupt nur
deßhalb straff, weil ihr Verdunstungsverlust vom Stamme her
immer durch zufließendes Wasser ersetzt wird; wenn nun in Folge
einer Berührung die Saftwege der Mimosenblätter zusammen-
gedrückt werden, so reiche der Zufluß nicht mehr hin, sie vor
Erschlaffung zu schützen. Wie es auch bis auf die neue Zeit
geschehen ist, verwechselte Ray dabei die Reizbewegungen mit
den täglichen periodischen, deren Vorkommen er nicht nur bei
den Blättern der Leguminosen, sondern bei fast allen ähnlich
gefiederten Blättern angiebt; mit diesen periodischen Blattbeweg-
ungen stellt er aber auch das periodische Oeffnen und Schließen
der Blüthen von Calendula, Cichorium, Convolvulus u. a. in
eine Reihe. Daß diese letzteren aber durch Temperaturveränder-
ungen hervorgerufen werden, schien ihm durch ein Experiment
des Jacob Cornutus mit Anemonen-Blüthen bewiesen, welche
abgeschnitten und an einem warmen Ort in einem wohlver-
schlossenen Kasten sich zu ungewohnter Zeit öffneten, wenn auch
nur der Blüthenstiel in warmes Wasser tauchte. Diese ganz
richtige, später verloren gegangene und erst vor wenigen Jahren
neu entdeckte Abhängigkeit der Blüthenbewegungen von Tem-
peraturveränderungen übertrug nun Ray auch auf die periodi-
schen Bewegungen der Laubblätter, welche wie er sich ausdrückt,
bei hereinbrechender Nachtkälte sich zusammenlegen, um sich am
Tage wieder zu entfalten und da er diese mit den Reizbeweg-
ungen der Mimose für gleichartig hielt, so glaubte er auch er-
klären zu müssen, in welcher Weise Abkühlung einen ähnlichen
Reiz bewirken könne, wie bloße Berührung. Es lag bei dem
damaligen Stand der Naturwissenschaft überhaupt sehr nahe,

Geſchichte der Phytodynamik.
erklären; namentlich ſucht er darzuthun, daß die Reizbarkeit der
Mimoſe nicht auf Empfindung, ſondern auf bekannten phyſikali-
ſchen Urſachen beruhe. Er betrachtet die Reizbewegungen in
Folge einer Berührung als durch eine Zuſammenziehung verur-
ſacht, die ihrerſeits durch Welken oder Erſchlaffung hervorgebracht
werde. Von dem mechaniſchen Vorgang der Reizbewegung ſelbſt
ſucht er nach Maßgabe der damals vorhandenen Kenntniſſe Re-
chenſchaft zu geben: die Blätter, ſagt er, bleiben überhaupt nur
deßhalb ſtraff, weil ihr Verdunſtungsverluſt vom Stamme her
immer durch zufließendes Waſſer erſetzt wird; wenn nun in Folge
einer Berührung die Saftwege der Mimoſenblätter zuſammen-
gedrückt werden, ſo reiche der Zufluß nicht mehr hin, ſie vor
Erſchlaffung zu ſchützen. Wie es auch bis auf die neue Zeit
geſchehen iſt, verwechſelte Ray dabei die Reizbewegungen mit
den täglichen periodiſchen, deren Vorkommen er nicht nur bei
den Blättern der Leguminoſen, ſondern bei faſt allen ähnlich
gefiederten Blättern angiebt; mit dieſen periodiſchen Blattbeweg-
ungen ſtellt er aber auch das periodiſche Oeffnen und Schließen
der Blüthen von Calendula, Cichorium, Convolvulus u. a. in
eine Reihe. Daß dieſe letzteren aber durch Temperaturveränder-
ungen hervorgerufen werden, ſchien ihm durch ein Experiment
des Jacob Cornutus mit Anemonen-Blüthen bewieſen, welche
abgeſchnitten und an einem warmen Ort in einem wohlver-
ſchloſſenen Kaſten ſich zu ungewohnter Zeit öffneten, wenn auch
nur der Blüthenſtiel in warmes Waſſer tauchte. Dieſe ganz
richtige, ſpäter verloren gegangene und erſt vor wenigen Jahren
neu entdeckte Abhängigkeit der Blüthenbewegungen von Tem-
peraturveränderungen übertrug nun Ray auch auf die periodi-
ſchen Bewegungen der Laubblätter, welche wie er ſich ausdrückt,
bei hereinbrechender Nachtkälte ſich zuſammenlegen, um ſich am
Tage wieder zu entfalten und da er dieſe mit den Reizbeweg-
ungen der Mimoſe für gleichartig hielt, ſo glaubte er auch er-
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Reiz bewirken könne, wie bloße Berührung. Es lag bei dem
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[580/0592] Geſchichte der Phytodynamik. erklären; namentlich ſucht er darzuthun, daß die Reizbarkeit der Mimoſe nicht auf Empfindung, ſondern auf bekannten phyſikali- ſchen Urſachen beruhe. Er betrachtet die Reizbewegungen in Folge einer Berührung als durch eine Zuſammenziehung verur- ſacht, die ihrerſeits durch Welken oder Erſchlaffung hervorgebracht werde. Von dem mechaniſchen Vorgang der Reizbewegung ſelbſt ſucht er nach Maßgabe der damals vorhandenen Kenntniſſe Re- chenſchaft zu geben: die Blätter, ſagt er, bleiben überhaupt nur deßhalb ſtraff, weil ihr Verdunſtungsverluſt vom Stamme her immer durch zufließendes Waſſer erſetzt wird; wenn nun in Folge einer Berührung die Saftwege der Mimoſenblätter zuſammen- gedrückt werden, ſo reiche der Zufluß nicht mehr hin, ſie vor Erſchlaffung zu ſchützen. Wie es auch bis auf die neue Zeit geſchehen iſt, verwechſelte Ray dabei die Reizbewegungen mit den täglichen periodiſchen, deren Vorkommen er nicht nur bei den Blättern der Leguminoſen, ſondern bei faſt allen ähnlich gefiederten Blättern angiebt; mit dieſen periodiſchen Blattbeweg- ungen ſtellt er aber auch das periodiſche Oeffnen und Schließen der Blüthen von Calendula, Cichorium, Convolvulus u. a. in eine Reihe. Daß dieſe letzteren aber durch Temperaturveränder- ungen hervorgerufen werden, ſchien ihm durch ein Experiment des Jacob Cornutus mit Anemonen-Blüthen bewieſen, welche abgeſchnitten und an einem warmen Ort in einem wohlver- ſchloſſenen Kaſten ſich zu ungewohnter Zeit öffneten, wenn auch nur der Blüthenſtiel in warmes Waſſer tauchte. Dieſe ganz richtige, ſpäter verloren gegangene und erſt vor wenigen Jahren neu entdeckte Abhängigkeit der Blüthenbewegungen von Tem- peraturveränderungen übertrug nun Ray auch auf die periodi- ſchen Bewegungen der Laubblätter, welche wie er ſich ausdrückt, bei hereinbrechender Nachtkälte ſich zuſammenlegen, um ſich am Tage wieder zu entfalten und da er dieſe mit den Reizbeweg- ungen der Mimoſe für gleichartig hielt, ſo glaubte er auch er- klären zu müſſen, in welcher Weiſe Abkühlung einen ähnlichen Reiz bewirken könne, wie bloße Berührung. Es lag bei dem damaligen Stand der Naturwiſſenſchaft überhaupt ſehr nahe,

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/592>, abgerufen am 12.05.2024.