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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
Atmosphäre allein stammt, so glaubte man doch dem Humus
schon wegen seines Stickstoffgehaltes eine die Vegetation wesent-
lich begünstigende Rolle zuschreiben zu müssen. Unter solchen
Umständen war es höchst verdienstlich, daß Boussingault, der
sich schon vor dem Erscheinen von Liebig's Buch mit experimen-
tellen und analytischen Untersuchungen über die Keimung und
Vegetation, speciell auch mit solchen über die Herkunft des Stick-
stoffs in den Pflanzen beschäftigt hatte, diese Frage aufnahm.
Seine 1837 und 1838 hierüber ausgeführten Vegetationsversuche
waren ohne ganz durchschlagendes Resultat geblieben; Bous-
singault aber setzte seine Vegetationsversuche Jahre lang fort
und bildete von Jahr zu Jahr die Untersuchungsmethoden weiter
aus. Durch seine zwischen 1851 und 1855 angestellten zahl-
reichen Experimente wurde endlich mit aller Sicherheit das Er-
gebniß festgestellt, daß die Pflanzen nicht im Stande sind, den
freien Stickstoff der Athmosphäre zu assimiliren, daß man dagegen
eine normale und kräftige Vegetation erzielt, wenn ihnen der
Stickstoff in Form von salpetersauren Salzen dargeboten wird.
Diese Vegetationsversuche Boussingault's lehrten zugleich,
daß es möglich ist, in einem Boden, dem durch Ausglühen jede
Spur organischer Substanz entzogen worden ist, dem man aber
außer den Aschenbestandtheilen ein salpetersaures Salz zusetzt,
eine normale Ernährung der Pflanzen zu erzielen; wodurch zu-
gleich bewiesen war, daß der gesammte Kohlenstoffgehalt solcher
Pflanzen ausschließlich aus der atmosphärischen Kohlensäure
stammt, und daß die Mitwirkung des Humus dabei ganz über-
flüssig ist, daß also die günstige Wirkung eines humusreichen
Bodens auf die Vegetation ganz andere Ursachen haben müsse,
als die von der Humustheorie früher angenommenen. Es ist
unmöglich, Boussingault's weitere Verdienste um die Ernähr-
ungstheorie der Pflanzen hier zur Sprache zu bringen, da sie
sich zum Theil auf Spezialitäten beziehen, die besten und wich-
tigsten derselben aber erst nach 1860 publicirt worden sind, und
deßhalb nicht mehr in den Rahmen unserer Geschichte gehören.
Das aber ist hervorzuheben, daß Boussingault als der Be-

Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen.
Atmoſphäre allein ſtammt, ſo glaubte man doch dem Humus
ſchon wegen ſeines Stickſtoffgehaltes eine die Vegetation weſent-
lich begünſtigende Rolle zuſchreiben zu müſſen. Unter ſolchen
Umſtänden war es höchſt verdienſtlich, daß Bouſſingault, der
ſich ſchon vor dem Erſcheinen von Liebig's Buch mit experimen-
tellen und analytiſchen Unterſuchungen über die Keimung und
Vegetation, ſpeciell auch mit ſolchen über die Herkunft des Stick-
ſtoffs in den Pflanzen beſchäftigt hatte, dieſe Frage aufnahm.
Seine 1837 und 1838 hierüber ausgeführten Vegetationsverſuche
waren ohne ganz durchſchlagendes Reſultat geblieben; Bouſ-
ſingault aber ſetzte ſeine Vegetationsverſuche Jahre lang fort
und bildete von Jahr zu Jahr die Unterſuchungsmethoden weiter
aus. Durch ſeine zwiſchen 1851 und 1855 angeſtellten zahl-
reichen Experimente wurde endlich mit aller Sicherheit das Er-
gebniß feſtgeſtellt, daß die Pflanzen nicht im Stande ſind, den
freien Stickſtoff der Athmoſphäre zu aſſimiliren, daß man dagegen
eine normale und kräftige Vegetation erzielt, wenn ihnen der
Stickſtoff in Form von ſalpeterſauren Salzen dargeboten wird.
Dieſe Vegetationsverſuche Bouſſingault's lehrten zugleich,
daß es möglich iſt, in einem Boden, dem durch Ausglühen jede
Spur organiſcher Subſtanz entzogen worden iſt, dem man aber
außer den Aſchenbeſtandtheilen ein ſalpeterſaures Salz zuſetzt,
eine normale Ernährung der Pflanzen zu erzielen; wodurch zu-
gleich bewieſen war, daß der geſammte Kohlenſtoffgehalt ſolcher
Pflanzen ausſchließlich aus der atmoſphäriſchen Kohlenſäure
ſtammt, und daß die Mitwirkung des Humus dabei ganz über-
flüſſig iſt, daß alſo die günſtige Wirkung eines humusreichen
Bodens auf die Vegetation ganz andere Urſachen haben müſſe,
als die von der Humustheorie früher angenommenen. Es iſt
unmöglich, Bouſſingault's weitere Verdienſte um die Ernähr-
ungstheorie der Pflanzen hier zur Sprache zu bringen, da ſie
ſich zum Theil auf Spezialitäten beziehen, die beſten und wich-
tigſten derſelben aber erſt nach 1860 publicirt worden ſind, und
deßhalb nicht mehr in den Rahmen unſerer Geſchichte gehören.
Das aber iſt hervorzuheben, daß Bouſſingault als der Be-

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[574/0586] Geſchichte der Ernährungstheorie der Pflanzen. Atmoſphäre allein ſtammt, ſo glaubte man doch dem Humus ſchon wegen ſeines Stickſtoffgehaltes eine die Vegetation weſent- lich begünſtigende Rolle zuſchreiben zu müſſen. Unter ſolchen Umſtänden war es höchſt verdienſtlich, daß Bouſſingault, der ſich ſchon vor dem Erſcheinen von Liebig's Buch mit experimen- tellen und analytiſchen Unterſuchungen über die Keimung und Vegetation, ſpeciell auch mit ſolchen über die Herkunft des Stick- ſtoffs in den Pflanzen beſchäftigt hatte, dieſe Frage aufnahm. Seine 1837 und 1838 hierüber ausgeführten Vegetationsverſuche waren ohne ganz durchſchlagendes Reſultat geblieben; Bouſ- ſingault aber ſetzte ſeine Vegetationsverſuche Jahre lang fort und bildete von Jahr zu Jahr die Unterſuchungsmethoden weiter aus. Durch ſeine zwiſchen 1851 und 1855 angeſtellten zahl- reichen Experimente wurde endlich mit aller Sicherheit das Er- gebniß feſtgeſtellt, daß die Pflanzen nicht im Stande ſind, den freien Stickſtoff der Athmoſphäre zu aſſimiliren, daß man dagegen eine normale und kräftige Vegetation erzielt, wenn ihnen der Stickſtoff in Form von ſalpeterſauren Salzen dargeboten wird. Dieſe Vegetationsverſuche Bouſſingault's lehrten zugleich, daß es möglich iſt, in einem Boden, dem durch Ausglühen jede Spur organiſcher Subſtanz entzogen worden iſt, dem man aber außer den Aſchenbeſtandtheilen ein ſalpeterſaures Salz zuſetzt, eine normale Ernährung der Pflanzen zu erzielen; wodurch zu- gleich bewieſen war, daß der geſammte Kohlenſtoffgehalt ſolcher Pflanzen ausſchließlich aus der atmoſphäriſchen Kohlenſäure ſtammt, und daß die Mitwirkung des Humus dabei ganz über- flüſſig iſt, daß alſo die günſtige Wirkung eines humusreichen Bodens auf die Vegetation ganz andere Urſachen haben müſſe, als die von der Humustheorie früher angenommenen. Es iſt unmöglich, Bouſſingault's weitere Verdienſte um die Ernähr- ungstheorie der Pflanzen hier zur Sprache zu bringen, da ſie ſich zum Theil auf Spezialitäten beziehen, die beſten und wich- tigſten derſelben aber erſt nach 1860 publicirt worden ſind, und deßhalb nicht mehr in den Rahmen unſerer Geſchichte gehören. Das aber iſt hervorzuheben, daß Bouſſingault als der Be-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/586>, abgerufen am 22.11.2024.