Lebenskraft. -- Athmung und Eigenwärme; Endosmose.
die "Circulation des Lebenssaftes", welche Schultz-Schultzenstein von der Pariser Akademie sich mit einem Preis hatte krönen lassen, als einen groben Irrthum zurückzuweisen.
Auf seine sehr ausführlichen Untersuchungen über die Reiz- bewegungen der Pflanzen, die er ebenfalls zuerst auf endos- motische Turgescenzänderungen in den Geweben zurückzuführen suchte, ohne jedoch den anatomischen Bedingungen derselben ge- recht zu werden, kommen wir im folgenden Kapitel noch zurück. Hier aber mag noch die Bemerkung Platz finden, daß Dutro- chet's Leistungen, zumal in Deutschland vielfach unterschätzt worden sind und zwar zum großen Schaden der Pflanzenphysio- logie selbst. Mit Recht wurde von seinen jüngeren deutschen Zeitgenossen Mohl und Schleiden, später auch von Hof- meister das Irrthümliche und zum Theil Willkührliche in Du- trochet's mechanischen Erklärungen verschiedener Bewegungs- erscheinungen nachdrücklich hervorgehoben und nicht leugnen läßt sich, daß er vielfach in sehr bedenkliche Unklarheiten verfiel, z. B. wenn er ohne ersichtlichen Zusammenhang, als eine me- chanische Bedingung des Saftsteigens, sowie der heliotropischen Krümmungen die Sauerstoffathmung betrachtete und daß seine Erklärungsversuche häufig sehr gezwungen und von vornherein unwahrscheinlich klangen: das Alles hindert jedoch nicht, daß ein aufmerksamer Leser auch jetzt noch in seinen physiologischen Schriften vielfach Belehrung und noch mehr Anregung zu eigener Untersuchung findet. Dutrochet war ein entschieden geistreicher Mann, ein selbständiger Denker, der sich zwar oft durch seine eigenen Vorurtheile beirren ließ, dafür aber den alten überlie- ferten Schlendrian in der Behandlung physiologischer Begriffe energisch entgegentrat und an die Stelle behaglicher Erzählung und bloßer Anhäufung einzelner Beobachtungen, wie sie damals Mode war, eine kritische Behandlung der Literatur sowohl, wie seiner eigenen Untersuchungen treten ließ. Nach Saussure's Recherches chimiques sind bis zum Jahre 1840 Dutrochet's Memoires pour servir a l'histoire anatomique et physio- logique des vegetaux et des animaux 1837 ohne Zweifel
Lebenskraft. — Athmung und Eigenwärme; Endosmoſe.
die „Circulation des Lebensſaftes“, welche Schultz-Schultzenſtein von der Pariſer Akademie ſich mit einem Preis hatte krönen laſſen, als einen groben Irrthum zurückzuweiſen.
Auf ſeine ſehr ausführlichen Unterſuchungen über die Reiz- bewegungen der Pflanzen, die er ebenfalls zuerſt auf endos- motiſche Turgescenzänderungen in den Geweben zurückzuführen ſuchte, ohne jedoch den anatomiſchen Bedingungen derſelben ge- recht zu werden, kommen wir im folgenden Kapitel noch zurück. Hier aber mag noch die Bemerkung Platz finden, daß Dutro- chet's Leiſtungen, zumal in Deutſchland vielfach unterſchätzt worden ſind und zwar zum großen Schaden der Pflanzenphyſio- logie ſelbſt. Mit Recht wurde von ſeinen jüngeren deutſchen Zeitgenoſſen Mohl und Schleiden, ſpäter auch von Hof- meiſter das Irrthümliche und zum Theil Willkührliche in Du- trochet's mechaniſchen Erklärungen verſchiedener Bewegungs- erſcheinungen nachdrücklich hervorgehoben und nicht leugnen läßt ſich, daß er vielfach in ſehr bedenkliche Unklarheiten verfiel, z. B. wenn er ohne erſichtlichen Zuſammenhang, als eine me- chaniſche Bedingung des Saftſteigens, ſowie der heliotropiſchen Krümmungen die Sauerſtoffathmung betrachtete und daß ſeine Erklärungsverſuche häufig ſehr gezwungen und von vornherein unwahrſcheinlich klangen: das Alles hindert jedoch nicht, daß ein aufmerkſamer Leſer auch jetzt noch in ſeinen phyſiologiſchen Schriften vielfach Belehrung und noch mehr Anregung zu eigener Unterſuchung findet. Dutrochet war ein entſchieden geiſtreicher Mann, ein ſelbſtändiger Denker, der ſich zwar oft durch ſeine eigenen Vorurtheile beirren ließ, dafür aber den alten überlie- ferten Schlendrian in der Behandlung phyſiologiſcher Begriffe energiſch entgegentrat und an die Stelle behaglicher Erzählung und bloßer Anhäufung einzelner Beobachtungen, wie ſie damals Mode war, eine kritiſche Behandlung der Literatur ſowohl, wie ſeiner eigenen Unterſuchungen treten ließ. Nach Sauſſure's Recherches chimiques ſind bis zum Jahre 1840 Dutrochet's Memoires pour servir á l'histoire anatomique et physio- logique des végétaux et des animaux 1837 ohne Zweifel
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Lebenskraft. — Athmung und Eigenwärme; Endosmoſe.
die „Circulation des Lebensſaftes“, welche Schultz-Schultzenſtein
von der Pariſer Akademie ſich mit einem Preis hatte krönen
laſſen, als einen groben Irrthum zurückzuweiſen.
Auf ſeine ſehr ausführlichen Unterſuchungen über die Reiz-
bewegungen der Pflanzen, die er ebenfalls zuerſt auf endos-
motiſche Turgescenzänderungen in den Geweben zurückzuführen
ſuchte, ohne jedoch den anatomiſchen Bedingungen derſelben ge-
recht zu werden, kommen wir im folgenden Kapitel noch zurück.
Hier aber mag noch die Bemerkung Platz finden, daß Dutro-
chet's Leiſtungen, zumal in Deutſchland vielfach unterſchätzt
worden ſind und zwar zum großen Schaden der Pflanzenphyſio-
logie ſelbſt. Mit Recht wurde von ſeinen jüngeren deutſchen
Zeitgenoſſen Mohl und Schleiden, ſpäter auch von Hof-
meiſter das Irrthümliche und zum Theil Willkührliche in Du-
trochet's mechaniſchen Erklärungen verſchiedener Bewegungs-
erſcheinungen nachdrücklich hervorgehoben und nicht leugnen läßt
ſich, daß er vielfach in ſehr bedenkliche Unklarheiten verfiel,
z. B. wenn er ohne erſichtlichen Zuſammenhang, als eine me-
chaniſche Bedingung des Saftſteigens, ſowie der heliotropiſchen
Krümmungen die Sauerſtoffathmung betrachtete und daß ſeine
Erklärungsverſuche häufig ſehr gezwungen und von vornherein
unwahrſcheinlich klangen: das Alles hindert jedoch nicht, daß ein
aufmerkſamer Leſer auch jetzt noch in ſeinen phyſiologiſchen
Schriften vielfach Belehrung und noch mehr Anregung zu eigener
Unterſuchung findet. Dutrochet war ein entſchieden geiſtreicher
Mann, ein ſelbſtändiger Denker, der ſich zwar oft durch ſeine
eigenen Vorurtheile beirren ließ, dafür aber den alten überlie-
ferten Schlendrian in der Behandlung phyſiologiſcher Begriffe
energiſch entgegentrat und an die Stelle behaglicher Erzählung
und bloßer Anhäufung einzelner Beobachtungen, wie ſie damals
Mode war, eine kritiſche Behandlung der Literatur ſowohl,
wie ſeiner eigenen Unterſuchungen treten ließ. Nach Sauſſure's
Recherches chimiques ſind bis zum Jahre 1840 Dutrochet's
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/567>, abgerufen am 22.11.2024.
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