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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Erste inductive Versuche und Eröffnung neuer Gesichtspuncte etc.
liche Versuche u. s. w." 1721 unter Anderem auch Versuche
mittheilte, welche die Gegenwart der Luft in den Pflanzen be-
stätigten; denn dieß war bei dem damaligen Zustand der Physik
und Chemie von größerem Interesse, als die anatomische Beschaffen-
heit der die Luft führenden Organe. Wolff hatte in luftfreiem
Wasser liegende Blätter dem Vacuum der Luftpumpe ausgesetzt
und Luftblasen namentlich auf der Unterseite austreten sehen;
wenn er aber den atmosphärischen Druck wieder einwirken ließ,
so infiltrirten sich die Blätter mit Wasser, und das Gleiche fand
er an Tannenholz, welches nach der Infiltration untersank.
Gleiche Versuche mit Aprikosenfrüchten ließen Luft aus der Haut,
besonders aber aus dem Stiel derselben austreten. Auch Wolff's
Schüler Thümmig beschrieb in seiner "gründlichen Erläuterung
der merkwürdigsten Begebenheiten in der Natur" 1723 ähnliche
Versuche und beide blieben in dieser Frage, wie überhaupt in
ihren physiologischen und phytotomischen Ansichten treue An-
hänger Malpighi's, das Verständigste, was man damals
thun konnte. Bei Christian Wolff müssen wir hier jedoch
noch länger verweilen, da er einige Jahre später die ge-
sammte Ernährungslehre in übersichtlicher und populärer Form
behandelte. Wolff's Verdienste um die Verbreitung der Natur-
wissenschaft in Deutschland scheinen bisher weniger, als billig,
gewürdigt worden zu sein; seine verschiedenen, zum Theil
recht umfangreichen und theilweise auf eigene Untersuchung ge-
stützten naturwissenschaftlichen Werke waren in hohem Grade
inhaltreich und für ihre Zeit sehr belehrend; sie trugen dazu bei,
einer freieren Geistesrichtung die Bahn zu brechen, in einer
Zeit, wo selbst unter denen, welche wissenschaftliche Abhandlungen
in der deutschen Akademie der Wissenschaften (den Akten der
Leopoldina) veröffentlichten, noch krasser Aberglaube herrschte,
wie der der Palingenesie. Wenn auch Wolff's eigene natur-
wissenschaftliche Untersuchungen mehr guten Willen als Geschick
verriethen, so hatte er doch vor vielen Anderen eine bedeutende
philosophische Bildung voraus; an abstractes Denken gewöhnt,
gelang es ihm leicht, das prinzipiell Wichtige aus den Erfahr-

Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
liche Verſuche u. ſ. w.“ 1721 unter Anderem auch Verſuche
mittheilte, welche die Gegenwart der Luft in den Pflanzen be-
ſtätigten; denn dieß war bei dem damaligen Zuſtand der Phyſik
und Chemie von größerem Intereſſe, als die anatomiſche Beſchaffen-
heit der die Luft führenden Organe. Wolff hatte in luftfreiem
Waſſer liegende Blätter dem Vacuum der Luftpumpe ausgeſetzt
und Luftblaſen namentlich auf der Unterſeite austreten ſehen;
wenn er aber den atmoſphäriſchen Druck wieder einwirken ließ,
ſo infiltrirten ſich die Blätter mit Waſſer, und das Gleiche fand
er an Tannenholz, welches nach der Infiltration unterſank.
Gleiche Verſuche mit Aprikoſenfrüchten ließen Luft aus der Haut,
beſonders aber aus dem Stiel derſelben austreten. Auch Wolff's
Schüler Thümmig beſchrieb in ſeiner „gründlichen Erläuterung
der merkwürdigſten Begebenheiten in der Natur“ 1723 ähnliche
Verſuche und beide blieben in dieſer Frage, wie überhaupt in
ihren phyſiologiſchen und phytotomiſchen Anſichten treue An-
hänger Malpighi's, das Verſtändigſte, was man damals
thun konnte. Bei Chriſtian Wolff müſſen wir hier jedoch
noch länger verweilen, da er einige Jahre ſpäter die ge-
ſammte Ernährungslehre in überſichtlicher und populärer Form
behandelte. Wolff's Verdienſte um die Verbreitung der Natur-
wiſſenſchaft in Deutſchland ſcheinen bisher weniger, als billig,
gewürdigt worden zu ſein; ſeine verſchiedenen, zum Theil
recht umfangreichen und theilweiſe auf eigene Unterſuchung ge-
ſtützten naturwiſſenſchaftlichen Werke waren in hohem Grade
inhaltreich und für ihre Zeit ſehr belehrend; ſie trugen dazu bei,
einer freieren Geiſtesrichtung die Bahn zu brechen, in einer
Zeit, wo ſelbſt unter denen, welche wiſſenſchaftliche Abhandlungen
in der deutſchen Akademie der Wiſſenſchaften (den Akten der
Leopoldina) veröffentlichten, noch kraſſer Aberglaube herrſchte,
wie der der Palingeneſie. Wenn auch Wolff's eigene natur-
wiſſenſchaftliche Unterſuchungen mehr guten Willen als Geſchick
verriethen, ſo hatte er doch vor vielen Anderen eine bedeutende
philoſophiſche Bildung voraus; an abſtractes Denken gewöhnt,
gelang es ihm leicht, das prinzipiell Wichtige aus den Erfahr-

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[511/0523] Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc. liche Verſuche u. ſ. w.“ 1721 unter Anderem auch Verſuche mittheilte, welche die Gegenwart der Luft in den Pflanzen be- ſtätigten; denn dieß war bei dem damaligen Zuſtand der Phyſik und Chemie von größerem Intereſſe, als die anatomiſche Beſchaffen- heit der die Luft führenden Organe. Wolff hatte in luftfreiem Waſſer liegende Blätter dem Vacuum der Luftpumpe ausgeſetzt und Luftblaſen namentlich auf der Unterſeite austreten ſehen; wenn er aber den atmoſphäriſchen Druck wieder einwirken ließ, ſo infiltrirten ſich die Blätter mit Waſſer, und das Gleiche fand er an Tannenholz, welches nach der Infiltration unterſank. Gleiche Verſuche mit Aprikoſenfrüchten ließen Luft aus der Haut, beſonders aber aus dem Stiel derſelben austreten. Auch Wolff's Schüler Thümmig beſchrieb in ſeiner „gründlichen Erläuterung der merkwürdigſten Begebenheiten in der Natur“ 1723 ähnliche Verſuche und beide blieben in dieſer Frage, wie überhaupt in ihren phyſiologiſchen und phytotomiſchen Anſichten treue An- hänger Malpighi's, das Verſtändigſte, was man damals thun konnte. Bei Chriſtian Wolff müſſen wir hier jedoch noch länger verweilen, da er einige Jahre ſpäter die ge- ſammte Ernährungslehre in überſichtlicher und populärer Form behandelte. Wolff's Verdienſte um die Verbreitung der Natur- wiſſenſchaft in Deutſchland ſcheinen bisher weniger, als billig, gewürdigt worden zu ſein; ſeine verſchiedenen, zum Theil recht umfangreichen und theilweiſe auf eigene Unterſuchung ge- ſtützten naturwiſſenſchaftlichen Werke waren in hohem Grade inhaltreich und für ihre Zeit ſehr belehrend; ſie trugen dazu bei, einer freieren Geiſtesrichtung die Bahn zu brechen, in einer Zeit, wo ſelbſt unter denen, welche wiſſenſchaftliche Abhandlungen in der deutſchen Akademie der Wiſſenſchaften (den Akten der Leopoldina) veröffentlichten, noch kraſſer Aberglaube herrſchte, wie der der Palingeneſie. Wenn auch Wolff's eigene natur- wiſſenſchaftliche Unterſuchungen mehr guten Willen als Geſchick verriethen, ſo hatte er doch vor vielen Anderen eine bedeutende philoſophiſche Bildung voraus; an abſtractes Denken gewöhnt, gelang es ihm leicht, das prinzipiell Wichtige aus den Erfahr-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/523>, abgerufen am 27.09.2024.