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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Erste inductive Versuche und Eröffnung neuer Gesichtspuncte etc.
Holzpflanzen irre zu führen, nämlich das sogenannte Bluten der
Bäume im Winter, dem diese Männer ihr Interesse vorwiegend zu-
wandten. Dieses Bluten des Holzes im Winter, welches von ganz
wesentlich anderen Ursachen abhängt, als das Thränen des Wein-
stocks und anderer Holzpflanzen im Frühjahr, wurde mit eben dieser
Erscheinung für identisch gehalten und so eine arge Begriffsver-
wirrung angerichtet. Zwar zeigte Martin Lister, daß man im kalten
Winter an abgeschnittenen Aststücken durch künstliche Erwärmung
Wasser aus dem Holz austreiben und dann durch Abkühlung
dasselbe wieder einsaugen lassen kann, aber erst einem neueren
Pflanzenphysiologen gelang es, den Nachweis zu liefern, daß
diese Erscheinung mit dem durch den Wurzeldruck verursachten
Bluten abgeschnittener Stöcke Nichts zu thun hat und zur Er-
klärung desselben nicht benutzt werden kann.

John Ray, der im ersten Band seiner historia plan-
tarum
1693 Alles, was man über die Ernährung der Pflanzen
bis dahin wußte, übersichtlich und recht verständig darstellte,
theilte auch einige von ihm selbst gemachte Erfahrungen über
die Bewegungen des Wassers im Holze mit. Dem Sprachge-
brauche Grew's folgend, der den aufsteigenden Saft im Holz
als Lymphe und dem entsprechend die Holzfasern als Lymphgefäße
bezeichnete, hob Ray ausdrücklich hervor, daß die Lymphe nament-
lich im Frühjahr weder in Geschmack noch Consistenz von ge-
meinem Wasser zu unterscheiden sei. Mit Grew stimmte er
auch darin überein, daß um diese Zeit die Lymphe auch die
ächten Gefäßröhren des Holzes erfülle und auf Querschnitten aus
ihnen hervorquelle, während sie im Sommer mit Luft gefüllt
sind und die Lymphe zur Zeit der starken Transspiration der
Holzpflanzen nur in den Lymphgefäßen, d. h. in den faserigen
Elementen des Holzes und Bastes emporsteige. Durch geeignete
Einschnitte in das Holz bewies Ray, daß die Lymphe auch seit-
wärts durch das Holz sich bewegen könne; auch hatte er den
guten Gedanken, die Meinung derer, welche in den Hohlräumen
des Holzes, namentlich in den Gefäßen, Klappen annahmen, die
den Rücktritt der Lymphe verhindern sollten, dadurch zu wider-

Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc.
Holzpflanzen irre zu führen, nämlich das ſogenannte Bluten der
Bäume im Winter, dem dieſe Männer ihr Intereſſe vorwiegend zu-
wandten. Dieſes Bluten des Holzes im Winter, welches von ganz
weſentlich anderen Urſachen abhängt, als das Thränen des Wein-
ſtocks und anderer Holzpflanzen im Frühjahr, wurde mit eben dieſer
Erſcheinung für identiſch gehalten und ſo eine arge Begriffsver-
wirrung angerichtet. Zwar zeigte Martin Liſter, daß man im kalten
Winter an abgeſchnittenen Aſtſtücken durch künſtliche Erwärmung
Waſſer aus dem Holz austreiben und dann durch Abkühlung
dasſelbe wieder einſaugen laſſen kann, aber erſt einem neueren
Pflanzenphyſiologen gelang es, den Nachweis zu liefern, daß
dieſe Erſcheinung mit dem durch den Wurzeldruck verurſachten
Bluten abgeſchnittener Stöcke Nichts zu thun hat und zur Er-
klärung desſelben nicht benutzt werden kann.

John Ray, der im erſten Band ſeiner historia plan-
tarum
1693 Alles, was man über die Ernährung der Pflanzen
bis dahin wußte, überſichtlich und recht verſtändig darſtellte,
theilte auch einige von ihm ſelbſt gemachte Erfahrungen über
die Bewegungen des Waſſers im Holze mit. Dem Sprachge-
brauche Grew's folgend, der den aufſteigenden Saft im Holz
als Lymphe und dem entſprechend die Holzfaſern als Lymphgefäße
bezeichnete, hob Ray ausdrücklich hervor, daß die Lymphe nament-
lich im Frühjahr weder in Geſchmack noch Conſiſtenz von ge-
meinem Waſſer zu unterſcheiden ſei. Mit Grew ſtimmte er
auch darin überein, daß um dieſe Zeit die Lymphe auch die
ächten Gefäßröhren des Holzes erfülle und auf Querſchnitten aus
ihnen hervorquelle, während ſie im Sommer mit Luft gefüllt
ſind und die Lymphe zur Zeit der ſtarken Transſpiration der
Holzpflanzen nur in den Lymphgefäßen, d. h. in den faſerigen
Elementen des Holzes und Baſtes emporſteige. Durch geeignete
Einſchnitte in das Holz bewies Ray, daß die Lymphe auch ſeit-
wärts durch das Holz ſich bewegen könne; auch hatte er den
guten Gedanken, die Meinung derer, welche in den Hohlräumen
des Holzes, namentlich in den Gefäßen, Klappen annahmen, die
den Rücktritt der Lymphe verhindern ſollten, dadurch zu wider-

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[509/0521] Erſte inductive Verſuche und Eröffnung neuer Geſichtspuncte etc. Holzpflanzen irre zu führen, nämlich das ſogenannte Bluten der Bäume im Winter, dem dieſe Männer ihr Intereſſe vorwiegend zu- wandten. Dieſes Bluten des Holzes im Winter, welches von ganz weſentlich anderen Urſachen abhängt, als das Thränen des Wein- ſtocks und anderer Holzpflanzen im Frühjahr, wurde mit eben dieſer Erſcheinung für identiſch gehalten und ſo eine arge Begriffsver- wirrung angerichtet. Zwar zeigte Martin Liſter, daß man im kalten Winter an abgeſchnittenen Aſtſtücken durch künſtliche Erwärmung Waſſer aus dem Holz austreiben und dann durch Abkühlung dasſelbe wieder einſaugen laſſen kann, aber erſt einem neueren Pflanzenphyſiologen gelang es, den Nachweis zu liefern, daß dieſe Erſcheinung mit dem durch den Wurzeldruck verurſachten Bluten abgeſchnittener Stöcke Nichts zu thun hat und zur Er- klärung desſelben nicht benutzt werden kann. John Ray, der im erſten Band ſeiner historia plan- tarum 1693 Alles, was man über die Ernährung der Pflanzen bis dahin wußte, überſichtlich und recht verſtändig darſtellte, theilte auch einige von ihm ſelbſt gemachte Erfahrungen über die Bewegungen des Waſſers im Holze mit. Dem Sprachge- brauche Grew's folgend, der den aufſteigenden Saft im Holz als Lymphe und dem entſprechend die Holzfaſern als Lymphgefäße bezeichnete, hob Ray ausdrücklich hervor, daß die Lymphe nament- lich im Frühjahr weder in Geſchmack noch Conſiſtenz von ge- meinem Waſſer zu unterſcheiden ſei. Mit Grew ſtimmte er auch darin überein, daß um dieſe Zeit die Lymphe auch die ächten Gefäßröhren des Holzes erfülle und auf Querſchnitten aus ihnen hervorquelle, während ſie im Sommer mit Luft gefüllt ſind und die Lymphe zur Zeit der ſtarken Transſpiration der Holzpflanzen nur in den Lymphgefäßen, d. h. in den faſerigen Elementen des Holzes und Baſtes emporſteige. Durch geeignete Einſchnitte in das Holz bewies Ray, daß die Lymphe auch ſeit- wärts durch das Holz ſich bewegen könne; auch hatte er den guten Gedanken, die Meinung derer, welche in den Hohlräumen des Holzes, namentlich in den Gefäßen, Klappen annahmen, die den Rücktritt der Lymphe verhindern ſollten, dadurch zu wider-

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/521>, abgerufen am 27.09.2024.