Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc.
einzige Mittel, zu einem gewissen Endzweck ist, welcher in ihrer Be-
fruchtung besteht, und daß die ganze Structur solcher Blumen sich
erklären läßt, wenn man bei Untersuchung derselben folgende
Puncte vor Augen hat: 1) die Blumen sollen durch diese oder
jene Art von Insekten oder durch mehrere Arten derselben be-
fruchtet werden; 2) dieses soll also geschehen, daß die Insekten,
indem sie dem Saft der Blumen nachgehen und deßwegen sich
entweder auf den Blumen auf eine unbestimmte Art aufhalten
oder auf eine bestimmte Art entweder in dieselben hineinkriechen,
oder auf denselben im Kreise herumlaufen, nothwendig mit ihrem
mehrentheils haarigen Körper oder nur mit einem Theil desselben
den Staub der Antheren abstreifen und denselben auf das
Stigma bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und
feinen Haaren besetzt, oder mit einer klebrigen Feuchtigkeit be-
netzt ist."

Im Sommer 1790 entdeckte er die Dichogamie, die er zu-
erst an dem Weidenröschen (Epilobium angustifolium) wahr-
nahm. Er fand, "daß diese Zwitterblume von Hummeln und
Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Individuum ver-
mittelst seines eigenen Staubes, sondern die älteren Blumen ver-
mittelst desjenigen Staubes, welchen diese Insekten aus den
jüngeren Blumen in dieselben schleppen." Nachdem er ein ähn-
liches Verhalten bei Nigella arvensis kennen gelernt hatte,
fand er später bei der gemeinen Wolfsmilch gerade das entgegen-
setzte Verhalten, daß nämlich die Narben mittelst der Insekten
nur den Pollen von älteren Blüthen empfangen können.

"Auf diese sechs, in fünf Jahren gemachten Hauptentdeck-
ungen, fährt er fort, gründe sich seine Theorie der Blumen",
welche er nun im Folgenden ausführlich entwickelt, indem er zu-
nächst die saftabscheidenden Drüsen (Nektarien), die Safthalter,
die Saftdecken, ferner die Veranstaltungen, durch welche die In-
sekten den Saft der Blumen leicht finden können, auseinander-
setzt. Nachdem er auf Koelreuter's gute Beobachtungen über die
Befruchtung der Saftblumen durch Insekten hingewiesen, hebt
er hervor, noch Niemand habe gezeigt, daß die ganze Struk-

29 *

Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc.
einzige Mittel, zu einem gewiſſen Endzweck iſt, welcher in ihrer Be-
fruchtung beſteht, und daß die ganze Structur ſolcher Blumen ſich
erklären läßt, wenn man bei Unterſuchung derſelben folgende
Puncte vor Augen hat: 1) die Blumen ſollen durch dieſe oder
jene Art von Inſekten oder durch mehrere Arten derſelben be-
fruchtet werden; 2) dieſes ſoll alſo geſchehen, daß die Inſekten,
indem ſie dem Saft der Blumen nachgehen und deßwegen ſich
entweder auf den Blumen auf eine unbeſtimmte Art aufhalten
oder auf eine beſtimmte Art entweder in dieſelben hineinkriechen,
oder auf denſelben im Kreiſe herumlaufen, nothwendig mit ihrem
mehrentheils haarigen Körper oder nur mit einem Theil desſelben
den Staub der Antheren abſtreifen und denſelben auf das
Stigma bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und
feinen Haaren beſetzt, oder mit einer klebrigen Feuchtigkeit be-
netzt iſt.“

Im Sommer 1790 entdeckte er die Dichogamie, die er zu-
erſt an dem Weidenröschen (Epilobium angustifolium) wahr-
nahm. Er fand, „daß dieſe Zwitterblume von Hummeln und
Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Individuum ver-
mittelſt ſeines eigenen Staubes, ſondern die älteren Blumen ver-
mittelſt desjenigen Staubes, welchen dieſe Inſekten aus den
jüngeren Blumen in dieſelben ſchleppen.“ Nachdem er ein ähn-
liches Verhalten bei Nigella arvensis kennen gelernt hatte,
fand er ſpäter bei der gemeinen Wolfsmilch gerade das entgegen-
ſetzte Verhalten, daß nämlich die Narben mittelſt der Inſekten
nur den Pollen von älteren Blüthen empfangen können.

„Auf dieſe ſechs, in fünf Jahren gemachten Hauptentdeck-
ungen, fährt er fort, gründe ſich ſeine Theorie der Blumen“,
welche er nun im Folgenden ausführlich entwickelt, indem er zu-
nächſt die ſaftabſcheidenden Drüſen (Nektarien), die Safthalter,
die Saftdecken, ferner die Veranſtaltungen, durch welche die In-
ſekten den Saft der Blumen leicht finden können, auseinander-
ſetzt. Nachdem er auf Koelreuter's gute Beobachtungen über die
Befruchtung der Saftblumen durch Inſekten hingewieſen, hebt
er hervor, noch Niemand habe gezeigt, daß die ganze Struk-

29 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0463" n="451"/><fw place="top" type="header">Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc.</fw><lb/>
einzige Mittel, zu einem gewi&#x017F;&#x017F;en Endzweck i&#x017F;t, welcher in ihrer Be-<lb/>
fruchtung be&#x017F;teht, und daß die ganze Structur &#x017F;olcher Blumen &#x017F;ich<lb/>
erklären läßt, wenn man bei Unter&#x017F;uchung der&#x017F;elben folgende<lb/>
Puncte vor Augen hat: 1) die Blumen &#x017F;ollen durch die&#x017F;e oder<lb/>
jene Art von In&#x017F;ekten oder durch mehrere Arten der&#x017F;elben be-<lb/>
fruchtet werden; 2) die&#x017F;es &#x017F;oll al&#x017F;o ge&#x017F;chehen, daß die In&#x017F;ekten,<lb/>
indem &#x017F;ie dem Saft der Blumen nachgehen und deßwegen &#x017F;ich<lb/>
entweder auf den Blumen auf eine unbe&#x017F;timmte Art aufhalten<lb/>
oder auf eine be&#x017F;timmte Art entweder in die&#x017F;elben hineinkriechen,<lb/>
oder auf den&#x017F;elben im Krei&#x017F;e herumlaufen, nothwendig mit ihrem<lb/>
mehrentheils haarigen Körper oder nur mit einem Theil des&#x017F;elben<lb/>
den Staub der Antheren ab&#x017F;treifen und den&#x017F;elben auf das<lb/>
Stigma bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und<lb/>
feinen Haaren be&#x017F;etzt, oder mit einer klebrigen Feuchtigkeit be-<lb/>
netzt i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Im Sommer 1790 entdeckte er die Dichogamie, die er zu-<lb/>
er&#x017F;t an dem Weidenröschen (<hi rendition="#aq">Epilobium angustifolium</hi>) wahr-<lb/>
nahm. Er fand, &#x201E;daß die&#x017F;e Zwitterblume von Hummeln und<lb/>
Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Individuum ver-<lb/>
mittel&#x017F;t &#x017F;eines eigenen Staubes, &#x017F;ondern die älteren Blumen ver-<lb/>
mittel&#x017F;t desjenigen Staubes, welchen die&#x017F;e In&#x017F;ekten aus den<lb/>
jüngeren Blumen in die&#x017F;elben &#x017F;chleppen.&#x201C; Nachdem er ein ähn-<lb/>
liches Verhalten bei <hi rendition="#aq">Nigella arvensis</hi> kennen gelernt hatte,<lb/>
fand er &#x017F;päter bei der gemeinen Wolfsmilch gerade das entgegen-<lb/>
&#x017F;etzte Verhalten, daß nämlich die Narben mittel&#x017F;t der In&#x017F;ekten<lb/>
nur den Pollen von älteren Blüthen empfangen können.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Auf die&#x017F;e &#x017F;echs, in fünf Jahren gemachten Hauptentdeck-<lb/>
ungen, fährt er fort, gründe &#x017F;ich &#x017F;eine Theorie der Blumen&#x201C;,<lb/>
welche er nun im Folgenden ausführlich entwickelt, indem er zu-<lb/>
näch&#x017F;t die &#x017F;aftab&#x017F;cheidenden Drü&#x017F;en (Nektarien), die Safthalter,<lb/>
die Saftdecken, ferner die Veran&#x017F;taltungen, durch welche die In-<lb/>
&#x017F;ekten den Saft der Blumen leicht finden können, auseinander-<lb/>
&#x017F;etzt. Nachdem er auf Koelreuter's gute Beobachtungen über die<lb/>
Befruchtung der Saftblumen durch In&#x017F;ekten hingewie&#x017F;en, hebt<lb/>
er hervor, noch Niemand habe gezeigt, <hi rendition="#g">daß die ganze Struk</hi>-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">29 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0463] Weiterer Ausbau der Sexualtheorie etc. etc. einzige Mittel, zu einem gewiſſen Endzweck iſt, welcher in ihrer Be- fruchtung beſteht, und daß die ganze Structur ſolcher Blumen ſich erklären läßt, wenn man bei Unterſuchung derſelben folgende Puncte vor Augen hat: 1) die Blumen ſollen durch dieſe oder jene Art von Inſekten oder durch mehrere Arten derſelben be- fruchtet werden; 2) dieſes ſoll alſo geſchehen, daß die Inſekten, indem ſie dem Saft der Blumen nachgehen und deßwegen ſich entweder auf den Blumen auf eine unbeſtimmte Art aufhalten oder auf eine beſtimmte Art entweder in dieſelben hineinkriechen, oder auf denſelben im Kreiſe herumlaufen, nothwendig mit ihrem mehrentheils haarigen Körper oder nur mit einem Theil desſelben den Staub der Antheren abſtreifen und denſelben auf das Stigma bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und feinen Haaren beſetzt, oder mit einer klebrigen Feuchtigkeit be- netzt iſt.“ Im Sommer 1790 entdeckte er die Dichogamie, die er zu- erſt an dem Weidenröschen (Epilobium angustifolium) wahr- nahm. Er fand, „daß dieſe Zwitterblume von Hummeln und Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Individuum ver- mittelſt ſeines eigenen Staubes, ſondern die älteren Blumen ver- mittelſt desjenigen Staubes, welchen dieſe Inſekten aus den jüngeren Blumen in dieſelben ſchleppen.“ Nachdem er ein ähn- liches Verhalten bei Nigella arvensis kennen gelernt hatte, fand er ſpäter bei der gemeinen Wolfsmilch gerade das entgegen- ſetzte Verhalten, daß nämlich die Narben mittelſt der Inſekten nur den Pollen von älteren Blüthen empfangen können. „Auf dieſe ſechs, in fünf Jahren gemachten Hauptentdeck- ungen, fährt er fort, gründe ſich ſeine Theorie der Blumen“, welche er nun im Folgenden ausführlich entwickelt, indem er zu- nächſt die ſaftabſcheidenden Drüſen (Nektarien), die Safthalter, die Saftdecken, ferner die Veranſtaltungen, durch welche die In- ſekten den Saft der Blumen leicht finden können, auseinander- ſetzt. Nachdem er auf Koelreuter's gute Beobachtungen über die Befruchtung der Saftblumen durch Inſekten hingewieſen, hebt er hervor, noch Niemand habe gezeigt, daß die ganze Struk- 29 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/463
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/463>, abgerufen am 13.05.2024.