die landläufige Unterscheidung vieler Pflanzen in männliche und weibliche nach gewissen äußerlichen Verschiedenheiten.
Gewiß hat auch Jungius die damals bekannten That- sachen und Ansichten ebenfalls gekannt; das Studium seiner botanischen Schriften jedoch zeigt Nichts, was auf eine Annahme wirklicher Sexualität bei den Pflanzen, auf die Nothwendigkeit des Zusammenwirkens zweierlei Geschlechter zum Zweck der Fortpflanzung sich deuten ließe. Fast möchte man glauben, daß gerade die gelehrtesten und ernstesten Männer, wie Caesalpin und Jungius, die Annahme der Sexualität bei den Pflanzen als eine Absurdität betrachteten, mit der man sich nicht gerne befaßt. Diesen Eindruck macht auch die Lectüre von Malpighi's Pflanzenanatomie. Er war es, der die erste sorgfältige Ent- wicklungsgeschichte des Samens gab und sogar die früheren Ent- wicklungsstufen des Embryos im Embryosack studirte und dennoch sagt er bei dieser Gelegenheit Nichts über die Mitwirkung des in den Antheren enthaltenen Staubes zur Embryobildung, ja er er- wähnt nicht einmal der Ansichten früherer Schriftsteller darüber. Auch Malpighi betrachtete wie Caesalpin die Samenbildung nur als eine andere Form der gewöhnlichen Knospenbildung, wie überhaupt die Fortpflanzung nur als eine andere Form der Ernährung. Daß man die Pflanzen mit unfruchtbaren Blüthen als männliche bezeichnet, wird nur nebenbei als Volksmeinung mit erwähnt (p. 52) und zum Schluß die Theorie aufgestellt, daß die Staubgefäße ebenso wie die Blumenblätter einen Theil des Saftes aus der Blüthe entfernen, um so einen reineren Saft zur Bildung der Samen zu gewinnen (p. 56).
In allen die Geschichte der Sexualität betreffenden Nach- richten wird ein in der Geschichte der Botanik sonst Unbekannter Sir Thomas Millington als derjenige bezeichnet, der zuerst die Staubgefäße als männliche Geschlechtsorgane in An- spruch genommen habe. Die einzige Nachricht darüber beschränkt sich jedoch auf folgende Mittheilung Grew's, in dessen Anatomy of plants 1682 p. 171 ch. 5. §. 3. "In Unterredung hierüber (nämlich über die Bedeutung der von Grew mit dem Worte
Geſchichte der Sexualtheorie.
die landläufige Unterſcheidung vieler Pflanzen in männliche und weibliche nach gewiſſen äußerlichen Verſchiedenheiten.
Gewiß hat auch Jungius die damals bekannten That- ſachen und Anſichten ebenfalls gekannt; das Studium ſeiner botaniſchen Schriften jedoch zeigt Nichts, was auf eine Annahme wirklicher Sexualität bei den Pflanzen, auf die Nothwendigkeit des Zuſammenwirkens zweierlei Geſchlechter zum Zweck der Fortpflanzung ſich deuten ließe. Faſt möchte man glauben, daß gerade die gelehrteſten und ernſteſten Männer, wie Caeſalpin und Jungius, die Annahme der Sexualität bei den Pflanzen als eine Abſurdität betrachteten, mit der man ſich nicht gerne befaßt. Dieſen Eindruck macht auch die Lectüre von Malpighi's Pflanzenanatomie. Er war es, der die erſte ſorgfältige Ent- wicklungsgeſchichte des Samens gab und ſogar die früheren Ent- wicklungsſtufen des Embryos im Embryoſack ſtudirte und dennoch ſagt er bei dieſer Gelegenheit Nichts über die Mitwirkung des in den Antheren enthaltenen Staubes zur Embryobildung, ja er er- wähnt nicht einmal der Anſichten früherer Schriftſteller darüber. Auch Malpighi betrachtete wie Caeſalpin die Samenbildung nur als eine andere Form der gewöhnlichen Knoſpenbildung, wie überhaupt die Fortpflanzung nur als eine andere Form der Ernährung. Daß man die Pflanzen mit unfruchtbaren Blüthen als männliche bezeichnet, wird nur nebenbei als Volksmeinung mit erwähnt (p. 52) und zum Schluß die Theorie aufgeſtellt, daß die Staubgefäße ebenſo wie die Blumenblätter einen Theil des Saftes aus der Blüthe entfernen, um ſo einen reineren Saft zur Bildung der Samen zu gewinnen (p. 56).
In allen die Geſchichte der Sexualität betreffenden Nach- richten wird ein in der Geſchichte der Botanik ſonſt Unbekannter Sir Thomas Millington als derjenige bezeichnet, der zuerſt die Staubgefäße als männliche Geſchlechtsorgane in An- ſpruch genommen habe. Die einzige Nachricht darüber beſchränkt ſich jedoch auf folgende Mittheilung Grew's, in deſſen Anatomy of plants 1682 p. 171 ch. 5. §. 3. „In Unterredung hierüber (nämlich über die Bedeutung der von Grew mit dem Worte
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[412/0424]
Geſchichte der Sexualtheorie.
die landläufige Unterſcheidung vieler Pflanzen in männliche und
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Gewiß hat auch Jungius die damals bekannten That-
ſachen und Anſichten ebenfalls gekannt; das Studium ſeiner
botaniſchen Schriften jedoch zeigt Nichts, was auf eine Annahme
wirklicher Sexualität bei den Pflanzen, auf die Nothwendigkeit
des Zuſammenwirkens zweierlei Geſchlechter zum Zweck der
Fortpflanzung ſich deuten ließe. Faſt möchte man glauben, daß
gerade die gelehrteſten und ernſteſten Männer, wie Caeſalpin
und Jungius, die Annahme der Sexualität bei den Pflanzen
als eine Abſurdität betrachteten, mit der man ſich nicht gerne
befaßt. Dieſen Eindruck macht auch die Lectüre von Malpighi's
Pflanzenanatomie. Er war es, der die erſte ſorgfältige Ent-
wicklungsgeſchichte des Samens gab und ſogar die früheren Ent-
wicklungsſtufen des Embryos im Embryoſack ſtudirte und dennoch
ſagt er bei dieſer Gelegenheit Nichts über die Mitwirkung des
in den Antheren enthaltenen Staubes zur Embryobildung, ja er er-
wähnt nicht einmal der Anſichten früherer Schriftſteller darüber.
Auch Malpighi betrachtete wie Caeſalpin die Samenbildung
nur als eine andere Form der gewöhnlichen Knoſpenbildung,
wie überhaupt die Fortpflanzung nur als eine andere Form der
Ernährung. Daß man die Pflanzen mit unfruchtbaren Blüthen
als männliche bezeichnet, wird nur nebenbei als Volksmeinung
mit erwähnt (p. 52) und zum Schluß die Theorie aufgeſtellt,
daß die Staubgefäße ebenſo wie die Blumenblätter einen Theil
des Saftes aus der Blüthe entfernen, um ſo einen reineren Saft
zur Bildung der Samen zu gewinnen (p. 56).
In allen die Geſchichte der Sexualität betreffenden Nach-
richten wird ein in der Geſchichte der Botanik ſonſt Unbekannter
Sir Thomas Millington als derjenige bezeichnet, der
zuerſt die Staubgefäße als männliche Geſchlechtsorgane in An-
ſpruch genommen habe. Die einzige Nachricht darüber beſchränkt
ſich jedoch auf folgende Mittheilung Grew's, in deſſen Anatomy
of plants 1682 p. 171 ch. 5. §. 3. „In Unterredung hierüber
(nämlich über die Bedeutung der von Grew mit dem Worte
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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/424>, abgerufen am 26.11.2024.
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