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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Entwicklungsgeschichte der Zelle, Entstehung der
durch Ausscheidung stickstofffreier Moleküle aus dem stickstoffhal-
tigen Schleim (dem Protoplasma) entsteht. In diesen Sätzen
ist das Allgemeine und Wesentliche der vegetabilischen Zellbildung
herausgehoben. Weiterhin werden die verschiedenen Zellbildungs-
vorgänge in ihrer Besonderheit charakterisirt: die Individuali-
sirung des Inhalts behufs der Zellbildung tritt nach Nägeli
in vier Gestalten hervor; erstens können sich einzelne kleine
Parthieen des Inhalts innerhalb des Uebrigen absondern, wie
es bei der Bildung der freien Keimzellen von Algen, Flechten,
Pilzen und der Endospermzellen der Phanerogamen geschieht;
zweitens sammelt sich der ganze Inhalt einer Zelle oder zweier
durch Copulation verbundener Zellen zu einer freien kugelförmigen
oder ellipsoidischen Masse, wie bei der Keimzellenbildung der
Conjugaten; drittens theilt sich der ganze Inhalt einer Zelle
in zwei oder mehrere Parthieen, was Nägeli die wandständige
Zellbildung, was man aber jetzt einfach die Zelltheilung nennt,
von welcher Nägeli als vierte Form die sogenannte Abschnür-
ung, wie sie bei der Keimzellenbildung mancher Algen und vieler
Pilze vorkommt, unterscheidet.

Schleiden hatte schon als allgemeines Gesetz für die
Pflanzen ausgesprochen, daß Zellen nur innerhalb von Mutter-
zellen entstehen; wogegen Meyen, Endlicher und Unger
noch in den letzten Jahren auch Neubildung von Zellen zwischen
den älteren angenommen hatten; dem entgegen betonte Nägeli,
daß alle vegetative normale Zellbildung, ebenso wie alle repro-
duktive nur innerhalb von Mutterzellen geschieht.

Der lange Zeit so beliebten Annahme gegenüber, daß es eine
allgemeine Grundform der Zelle geben müsse, wies Nägeli auf die
Thatsache hin, daß die Zellen im Moment ihres Entstehens sehr ver-
schiedene Formen haben. Die durch freie Zellbildung erzeugten seien
anfangs immer sphärisch oder ellipsoidisch, die durch Zelltheilung
dagegen besitzen diejenige Gestalt, welche durch die Form der Mutter-
zelle und durch die Art der Theilung nothwendig bedingt wird. Er
zeigte ferner wie die Gestaltänderungen der Zellen bei fortschreitendem
Wachsthum wesentlich davon abhängen, ob die Zellen an allen Theilen

Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der
durch Ausſcheidung ſtickſtofffreier Moleküle aus dem ſtickſtoffhal-
tigen Schleim (dem Protoplasma) entſteht. In dieſen Sätzen
iſt das Allgemeine und Weſentliche der vegetabiliſchen Zellbildung
herausgehoben. Weiterhin werden die verſchiedenen Zellbildungs-
vorgänge in ihrer Beſonderheit charakteriſirt: die Individuali-
ſirung des Inhalts behufs der Zellbildung tritt nach Nägeli
in vier Geſtalten hervor; erſtens können ſich einzelne kleine
Parthieen des Inhalts innerhalb des Uebrigen abſondern, wie
es bei der Bildung der freien Keimzellen von Algen, Flechten,
Pilzen und der Endoſpermzellen der Phanerogamen geſchieht;
zweitens ſammelt ſich der ganze Inhalt einer Zelle oder zweier
durch Copulation verbundener Zellen zu einer freien kugelförmigen
oder ellipſoidiſchen Maſſe, wie bei der Keimzellenbildung der
Conjugaten; drittens theilt ſich der ganze Inhalt einer Zelle
in zwei oder mehrere Parthieen, was Nägeli die wandſtändige
Zellbildung, was man aber jetzt einfach die Zelltheilung nennt,
von welcher Nägeli als vierte Form die ſogenannte Abſchnür-
ung, wie ſie bei der Keimzellenbildung mancher Algen und vieler
Pilze vorkommt, unterſcheidet.

Schleiden hatte ſchon als allgemeines Geſetz für die
Pflanzen ausgeſprochen, daß Zellen nur innerhalb von Mutter-
zellen entſtehen; wogegen Meyen, Endlicher und Unger
noch in den letzten Jahren auch Neubildung von Zellen zwiſchen
den älteren angenommen hatten; dem entgegen betonte Nägeli,
daß alle vegetative normale Zellbildung, ebenſo wie alle repro-
duktive nur innerhalb von Mutterzellen geſchieht.

Der lange Zeit ſo beliebten Annahme gegenüber, daß es eine
allgemeine Grundform der Zelle geben müſſe, wies Nägeli auf die
Thatſache hin, daß die Zellen im Moment ihres Entſtehens ſehr ver-
ſchiedene Formen haben. Die durch freie Zellbildung erzeugten ſeien
anfangs immer ſphäriſch oder ellipſoidiſch, die durch Zelltheilung
dagegen beſitzen diejenige Geſtalt, welche durch die Form der Mutter-
zelle und durch die Art der Theilung nothwendig bedingt wird. Er
zeigte ferner wie die Geſtaltänderungen der Zellen bei fortſchreitendem
Wachsthum weſentlich davon abhängen, ob die Zellen an allen Theilen

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[360/0372] Entwicklungsgeſchichte der Zelle, Entſtehung der durch Ausſcheidung ſtickſtofffreier Moleküle aus dem ſtickſtoffhal- tigen Schleim (dem Protoplasma) entſteht. In dieſen Sätzen iſt das Allgemeine und Weſentliche der vegetabiliſchen Zellbildung herausgehoben. Weiterhin werden die verſchiedenen Zellbildungs- vorgänge in ihrer Beſonderheit charakteriſirt: die Individuali- ſirung des Inhalts behufs der Zellbildung tritt nach Nägeli in vier Geſtalten hervor; erſtens können ſich einzelne kleine Parthieen des Inhalts innerhalb des Uebrigen abſondern, wie es bei der Bildung der freien Keimzellen von Algen, Flechten, Pilzen und der Endoſpermzellen der Phanerogamen geſchieht; zweitens ſammelt ſich der ganze Inhalt einer Zelle oder zweier durch Copulation verbundener Zellen zu einer freien kugelförmigen oder ellipſoidiſchen Maſſe, wie bei der Keimzellenbildung der Conjugaten; drittens theilt ſich der ganze Inhalt einer Zelle in zwei oder mehrere Parthieen, was Nägeli die wandſtändige Zellbildung, was man aber jetzt einfach die Zelltheilung nennt, von welcher Nägeli als vierte Form die ſogenannte Abſchnür- ung, wie ſie bei der Keimzellenbildung mancher Algen und vieler Pilze vorkommt, unterſcheidet. Schleiden hatte ſchon als allgemeines Geſetz für die Pflanzen ausgeſprochen, daß Zellen nur innerhalb von Mutter- zellen entſtehen; wogegen Meyen, Endlicher und Unger noch in den letzten Jahren auch Neubildung von Zellen zwiſchen den älteren angenommen hatten; dem entgegen betonte Nägeli, daß alle vegetative normale Zellbildung, ebenſo wie alle repro- duktive nur innerhalb von Mutterzellen geſchieht. Der lange Zeit ſo beliebten Annahme gegenüber, daß es eine allgemeine Grundform der Zelle geben müſſe, wies Nägeli auf die Thatſache hin, daß die Zellen im Moment ihres Entſtehens ſehr ver- ſchiedene Formen haben. Die durch freie Zellbildung erzeugten ſeien anfangs immer ſphäriſch oder ellipſoidiſch, die durch Zelltheilung dagegen beſitzen diejenige Geſtalt, welche durch die Form der Mutter- zelle und durch die Art der Theilung nothwendig bedingt wird. Er zeigte ferner wie die Geſtaltänderungen der Zellen bei fortſchreitendem Wachsthum weſentlich davon abhängen, ob die Zellen an allen Theilen

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/372>, abgerufen am 28.11.2024.