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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Zellenlehre, Entwicklungsgeschichte und Krytogamenkunde.
diese Beweglichkeit sogleich die gebührende Rücksicht genommen
werden. Die Entwicklungsgeschichte wird nicht nur im Allge-
meinen als eines der verschiedenen Forschungsmittel hingestellt,
sie ist vielmehr identisch mit der Erforschung des Organischen.
In den ausführlichen methodologischen Betrachtungen Nägeli's
im ersten und zweiten Band seiner mit Schleiden herausgege-
benen Zeitschrift 1844 und 1845 sind diese Grundsätze, aber auch
zugleich das Haupthinderniß einer ganz strengen Durchführung
derselben zu finden; denn damals hielt Nägeli gleich allen
Naturforschern an der Constanz der Species fest, und ganz con-
sequent von diesem Standpuncte aus wird das natürliche System
als ein Fachwerk von Begriffen bezeichnet, die jedoch keineswegs
wie bei den Systematikern der idealistischen Schule als platonische
Ideen aufgefaßt werden. Ebenso consequent ist es, wenn bei
dieser kritischen Behandlung, welche die Aenderung unserer
Begriffe keineswegs für eine Aenderung der Dinge selbst hält,
"die Idee der Metamorphose" im Sinne Goethe's und Ale-
xander Braun's aus dem Bereich der wissenschaftlichen Be-
trachtung verschwindet; ich habe schon im vorigen Capitel darauf
hingewiesen, daß das, was Goethe die normale oder auf-
steigende Metamorphose nannte, nur dann einen naturwissen-
schaftlichen Sinn zuläßt, wenn die Species als veränderlich
gelten. Zudem zeigte sich ohnehin, wenn man, wie Nägeli es
that, die Kryptogamen in den Vordergrund der Untersuchung
stellte, daß die sogenannte Metamorphose der Blätter eine Er-
scheinung von secundärer Bedeutung ist, die erst bei den Phane-
rogamen zu voller Geltung gelangt. Hatte noch Schleiden,
von seinem Standpunct aus eigentlich inconsequent, die Metamor-
phose als das Princip der Entwicklungsgeschichte aufgefaßt, so
wurde dagegen dieses Wort von Nägeli kaum noch gebraucht,
er faßte die Entwicklungsgeschichte als das Wachsthumsgesetz der
Organe und in Uebereinstimmung mit der Annahme der Constanz
der Arten war das Wachsthumsgesetz jeder Pflanzenart und jedes
Organs ein unveränderliches in dem Sinne, wie man von
Naturgesetzen in der Physik und Chemie spricht. Mit Einem

Sachs, Geschichte der Botanik. 14

Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Krytogamenkunde.
dieſe Beweglichkeit ſogleich die gebührende Rückſicht genommen
werden. Die Entwicklungsgeſchichte wird nicht nur im Allge-
meinen als eines der verſchiedenen Forſchungsmittel hingeſtellt,
ſie iſt vielmehr identiſch mit der Erforſchung des Organiſchen.
In den ausführlichen methodologiſchen Betrachtungen Nägeli's
im erſten und zweiten Band ſeiner mit Schleiden herausgege-
benen Zeitſchrift 1844 und 1845 ſind dieſe Grundſätze, aber auch
zugleich das Haupthinderniß einer ganz ſtrengen Durchführung
derſelben zu finden; denn damals hielt Nägeli gleich allen
Naturforſchern an der Conſtanz der Species feſt, und ganz con-
ſequent von dieſem Standpuncte aus wird das natürliche Syſtem
als ein Fachwerk von Begriffen bezeichnet, die jedoch keineswegs
wie bei den Syſtematikern der idealiſtiſchen Schule als platoniſche
Ideen aufgefaßt werden. Ebenſo conſequent iſt es, wenn bei
dieſer kritiſchen Behandlung, welche die Aenderung unſerer
Begriffe keineswegs für eine Aenderung der Dinge ſelbſt hält,
„die Idee der Metamorphoſe“ im Sinne Goethe's und Ale-
xander Braun's aus dem Bereich der wiſſenſchaftlichen Be-
trachtung verſchwindet; ich habe ſchon im vorigen Capitel darauf
hingewieſen, daß das, was Goethe die normale oder auf-
ſteigende Metamorphoſe nannte, nur dann einen naturwiſſen-
ſchaftlichen Sinn zuläßt, wenn die Species als veränderlich
gelten. Zudem zeigte ſich ohnehin, wenn man, wie Nägeli es
that, die Kryptogamen in den Vordergrund der Unterſuchung
ſtellte, daß die ſogenannte Metamorphoſe der Blätter eine Er-
ſcheinung von ſecundärer Bedeutung iſt, die erſt bei den Phane-
rogamen zu voller Geltung gelangt. Hatte noch Schleiden,
von ſeinem Standpunct aus eigentlich inconſequent, die Metamor-
phoſe als das Princip der Entwicklungsgeſchichte aufgefaßt, ſo
wurde dagegen dieſes Wort von Nägeli kaum noch gebraucht,
er faßte die Entwicklungsgeſchichte als das Wachsthumsgeſetz der
Organe und in Uebereinſtimmung mit der Annahme der Conſtanz
der Arten war das Wachsthumsgeſetz jeder Pflanzenart und jedes
Organs ein unveränderliches in dem Sinne, wie man von
Naturgeſetzen in der Phyſik und Chemie ſpricht. Mit Einem

Sachs, Geſchichte der Botanik. 14
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[209/0221] Zellenlehre, Entwicklungsgeſchichte und Krytogamenkunde. dieſe Beweglichkeit ſogleich die gebührende Rückſicht genommen werden. Die Entwicklungsgeſchichte wird nicht nur im Allge- meinen als eines der verſchiedenen Forſchungsmittel hingeſtellt, ſie iſt vielmehr identiſch mit der Erforſchung des Organiſchen. In den ausführlichen methodologiſchen Betrachtungen Nägeli's im erſten und zweiten Band ſeiner mit Schleiden herausgege- benen Zeitſchrift 1844 und 1845 ſind dieſe Grundſätze, aber auch zugleich das Haupthinderniß einer ganz ſtrengen Durchführung derſelben zu finden; denn damals hielt Nägeli gleich allen Naturforſchern an der Conſtanz der Species feſt, und ganz con- ſequent von dieſem Standpuncte aus wird das natürliche Syſtem als ein Fachwerk von Begriffen bezeichnet, die jedoch keineswegs wie bei den Syſtematikern der idealiſtiſchen Schule als platoniſche Ideen aufgefaßt werden. Ebenſo conſequent iſt es, wenn bei dieſer kritiſchen Behandlung, welche die Aenderung unſerer Begriffe keineswegs für eine Aenderung der Dinge ſelbſt hält, „die Idee der Metamorphoſe“ im Sinne Goethe's und Ale- xander Braun's aus dem Bereich der wiſſenſchaftlichen Be- trachtung verſchwindet; ich habe ſchon im vorigen Capitel darauf hingewieſen, daß das, was Goethe die normale oder auf- ſteigende Metamorphoſe nannte, nur dann einen naturwiſſen- ſchaftlichen Sinn zuläßt, wenn die Species als veränderlich gelten. Zudem zeigte ſich ohnehin, wenn man, wie Nägeli es that, die Kryptogamen in den Vordergrund der Unterſuchung ſtellte, daß die ſogenannte Metamorphoſe der Blätter eine Er- ſcheinung von ſecundärer Bedeutung iſt, die erſt bei den Phane- rogamen zu voller Geltung gelangt. Hatte noch Schleiden, von ſeinem Standpunct aus eigentlich inconſequent, die Metamor- phoſe als das Princip der Entwicklungsgeſchichte aufgefaßt, ſo wurde dagegen dieſes Wort von Nägeli kaum noch gebraucht, er faßte die Entwicklungsgeſchichte als das Wachsthumsgeſetz der Organe und in Uebereinſtimmung mit der Annahme der Conſtanz der Arten war das Wachsthumsgeſetz jeder Pflanzenart und jedes Organs ein unveränderliches in dem Sinne, wie man von Naturgeſetzen in der Phyſik und Chemie ſpricht. Mit Einem Sachs, Geſchichte der Botanik. 14

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/221>, abgerufen am 25.11.2024.