Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Metamorphosenlehre und der Spiraltheorie.
d. h. dem Geiste verschlossenen Stoffen und Kräften, oder eigent-
licher nur von unbekannten Ursachen, welche auf unerklärliche
Weise zusammenwirken." In einer Anmerkung hiezu wird aus-
drücklich auf "das Trostlose einer solchen wesenlosen Natur-
betrachtung, welche natürlich in der Vorstellung und Sprache der
Wissenschaft alles dasjenige auszurotten bestrebt sein muß, was
ihr von ihrem Standpuncte als anthropopatisch erscheint", hin-
gewiesen und somit ein gemüthlich ethisches Moment als von
der botanischen Forschung unzertrennlich postulirt. Die Haupt-
aufgabe des genannten Werkes ist nun der Nachweis, daß im
organischen Leben Alles auf Verjüngung hinausläuft, für welchen
Begriff zunächst eine Definition zwar nicht gegeben, aber durch
den ganzen Inhalt des Werkes angestrebt wird. Wir können
den Begriff der Verjüngung, wie er sich hier darstellt, als eine
Erweiterung des Begriffs Metamorphose betrachten, in welcher
erweiterten Form derselbe geeignet ist, auch die Ergebnisse der
Zellentheorie, der Entwicklungsgeschichte und der neueren Crypto-
gamenkunde von dem Standpuncte des Idealismus zu umfassen.
Es tritt hier, wie auch bei anderen Gelegenheiten, eine Eigen-
thümlichkeit von Braun's Darstellungsweise hervor, die darin
liegt, daß er zu einem Wort, wie hier zu dem der Verjüngung,
später zu dem Wort Individuum, nicht eine präcise, willkürlich-
gewählte Definition giebt, hinter dem Worte vielmehr einen tiefen,
ja geheimnißvollen Sinn sucht, der nun durch die Betrachtung
der Erscheinungen erkannt und an's Licht gezogen werden soll.
-- "Wir sehen, heißt es (Verjüngung 1. c. p. 5,), also Jugend und
Alter in einer und derselben Entwicklungsgeschichte im Wechsel mit-
einander auftreten, wir sehen die Jugend das Alter durchbrechen und,
fortbildend oder umgestaltend, mitten in die Entwicklungsgeschichte
eintreten. Es ist dieß die Erscheinung der Verjüngung, welche in allen
Lebensgebieten in unendlich mannigfaltiger Weise sich wiederholt,
aber wohl nirgends deutlicher ausgesprochen und der Forschung
zugänglicher auftritt, als im Pflanzenreich. Ohne Verjüngung
giebt es keine Entwicklungsgeschichte." -- "Fragen wir nun nach
den Ursachen der Verjüngungserscheinungen (p. 7), so werden

Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
d. h. dem Geiſte verſchloſſenen Stoffen und Kräften, oder eigent-
licher nur von unbekannten Urſachen, welche auf unerklärliche
Weiſe zuſammenwirken.“ In einer Anmerkung hiezu wird aus-
drücklich auf „das Troſtloſe einer ſolchen weſenloſen Natur-
betrachtung, welche natürlich in der Vorſtellung und Sprache der
Wiſſenſchaft alles dasjenige auszurotten beſtrebt ſein muß, was
ihr von ihrem Standpuncte als anthropopatiſch erſcheint“, hin-
gewieſen und ſomit ein gemüthlich ethiſches Moment als von
der botaniſchen Forſchung unzertrennlich poſtulirt. Die Haupt-
aufgabe des genannten Werkes iſt nun der Nachweis, daß im
organiſchen Leben Alles auf Verjüngung hinausläuft, für welchen
Begriff zunächſt eine Definition zwar nicht gegeben, aber durch
den ganzen Inhalt des Werkes angeſtrebt wird. Wir können
den Begriff der Verjüngung, wie er ſich hier darſtellt, als eine
Erweiterung des Begriffs Metamorphoſe betrachten, in welcher
erweiterten Form derſelbe geeignet iſt, auch die Ergebniſſe der
Zellentheorie, der Entwicklungsgeſchichte und der neueren Crypto-
gamenkunde von dem Standpuncte des Idealismus zu umfaſſen.
Es tritt hier, wie auch bei anderen Gelegenheiten, eine Eigen-
thümlichkeit von Braun's Darſtellungsweiſe hervor, die darin
liegt, daß er zu einem Wort, wie hier zu dem der Verjüngung,
ſpäter zu dem Wort Individuum, nicht eine präciſe, willkürlich-
gewählte Definition giebt, hinter dem Worte vielmehr einen tiefen,
ja geheimnißvollen Sinn ſucht, der nun durch die Betrachtung
der Erſcheinungen erkannt und an's Licht gezogen werden ſoll.
— „Wir ſehen, heißt es (Verjüngung 1. c. p. 5,), alſo Jugend und
Alter in einer und derſelben Entwicklungsgeſchichte im Wechſel mit-
einander auftreten, wir ſehen die Jugend das Alter durchbrechen und,
fortbildend oder umgeſtaltend, mitten in die Entwicklungsgeſchichte
eintreten. Es iſt dieß die Erſcheinung der Verjüngung, welche in allen
Lebensgebieten in unendlich mannigfaltiger Weiſe ſich wiederholt,
aber wohl nirgends deutlicher ausgeſprochen und der Forſchung
zugänglicher auftritt, als im Pflanzenreich. Ohne Verjüngung
giebt es keine Entwicklungsgeſchichte.“ — „Fragen wir nun nach
den Urſachen der Verjüngungserſcheinungen (p. 7), ſo werden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0199" n="187"/><fw place="top" type="header">Metamorpho&#x017F;enlehre und der Spiraltheorie.</fw><lb/>
d. h. dem Gei&#x017F;te ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Stoffen und Kräften, oder eigent-<lb/>
licher nur von unbekannten Ur&#x017F;achen, welche auf unerklärliche<lb/>
Wei&#x017F;e zu&#x017F;ammenwirken.&#x201C; In einer Anmerkung hiezu wird aus-<lb/>
drücklich auf &#x201E;das Tro&#x017F;tlo&#x017F;e einer &#x017F;olchen we&#x017F;enlo&#x017F;en Natur-<lb/>
betrachtung, welche natürlich in der Vor&#x017F;tellung und Sprache der<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft alles dasjenige auszurotten be&#x017F;trebt &#x017F;ein muß, was<lb/>
ihr von ihrem Standpuncte als anthropopati&#x017F;ch er&#x017F;cheint&#x201C;, hin-<lb/>
gewie&#x017F;en und &#x017F;omit ein gemüthlich ethi&#x017F;ches Moment als von<lb/>
der botani&#x017F;chen For&#x017F;chung unzertrennlich po&#x017F;tulirt. Die Haupt-<lb/>
aufgabe des genannten Werkes i&#x017F;t nun der Nachweis, daß im<lb/>
organi&#x017F;chen Leben Alles auf Verjüngung hinausläuft, für welchen<lb/>
Begriff zunäch&#x017F;t eine Definition zwar nicht gegeben, aber durch<lb/>
den ganzen Inhalt des Werkes ange&#x017F;trebt wird. Wir können<lb/>
den Begriff der Verjüngung, wie er &#x017F;ich hier dar&#x017F;tellt, als eine<lb/>
Erweiterung des Begriffs Metamorpho&#x017F;e betrachten, in welcher<lb/>
erweiterten Form der&#x017F;elbe geeignet i&#x017F;t, auch die Ergebni&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Zellentheorie, der Entwicklungsge&#x017F;chichte und der neueren Crypto-<lb/>
gamenkunde von dem Standpuncte des Idealismus zu umfa&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Es tritt hier, wie auch bei anderen Gelegenheiten, eine Eigen-<lb/>
thümlichkeit von <hi rendition="#g">Braun</hi>'s Dar&#x017F;tellungswei&#x017F;e hervor, die darin<lb/>
liegt, daß er zu einem Wort, wie hier zu dem der Verjüngung,<lb/>
&#x017F;päter zu dem Wort Individuum, nicht eine präci&#x017F;e, willkürlich-<lb/>
gewählte Definition giebt, hinter dem Worte vielmehr einen tiefen,<lb/>
ja geheimnißvollen Sinn &#x017F;ucht, der nun durch die Betrachtung<lb/>
der Er&#x017F;cheinungen erkannt und an's Licht gezogen werden &#x017F;oll.<lb/>
&#x2014; &#x201E;Wir &#x017F;ehen, heißt es (Verjüngung 1. <hi rendition="#aq">c. p.</hi> 5,), al&#x017F;o Jugend und<lb/>
Alter in einer und der&#x017F;elben Entwicklungsge&#x017F;chichte im Wech&#x017F;el mit-<lb/>
einander auftreten, wir &#x017F;ehen die Jugend das Alter durchbrechen und,<lb/>
fortbildend oder umge&#x017F;taltend, mitten in die Entwicklungsge&#x017F;chichte<lb/>
eintreten. Es i&#x017F;t dieß die Er&#x017F;cheinung der Verjüngung, welche in allen<lb/>
Lebensgebieten in unendlich mannigfaltiger Wei&#x017F;e &#x017F;ich wiederholt,<lb/>
aber wohl nirgends deutlicher ausge&#x017F;prochen und der For&#x017F;chung<lb/>
zugänglicher auftritt, als im Pflanzenreich. Ohne Verjüngung<lb/>
giebt es keine Entwicklungsge&#x017F;chichte.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Fragen wir nun nach<lb/>
den Ur&#x017F;achen der Verjüngungser&#x017F;cheinungen (<hi rendition="#aq">p.</hi> 7), &#x017F;o werden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0199] Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie. d. h. dem Geiſte verſchloſſenen Stoffen und Kräften, oder eigent- licher nur von unbekannten Urſachen, welche auf unerklärliche Weiſe zuſammenwirken.“ In einer Anmerkung hiezu wird aus- drücklich auf „das Troſtloſe einer ſolchen weſenloſen Natur- betrachtung, welche natürlich in der Vorſtellung und Sprache der Wiſſenſchaft alles dasjenige auszurotten beſtrebt ſein muß, was ihr von ihrem Standpuncte als anthropopatiſch erſcheint“, hin- gewieſen und ſomit ein gemüthlich ethiſches Moment als von der botaniſchen Forſchung unzertrennlich poſtulirt. Die Haupt- aufgabe des genannten Werkes iſt nun der Nachweis, daß im organiſchen Leben Alles auf Verjüngung hinausläuft, für welchen Begriff zunächſt eine Definition zwar nicht gegeben, aber durch den ganzen Inhalt des Werkes angeſtrebt wird. Wir können den Begriff der Verjüngung, wie er ſich hier darſtellt, als eine Erweiterung des Begriffs Metamorphoſe betrachten, in welcher erweiterten Form derſelbe geeignet iſt, auch die Ergebniſſe der Zellentheorie, der Entwicklungsgeſchichte und der neueren Crypto- gamenkunde von dem Standpuncte des Idealismus zu umfaſſen. Es tritt hier, wie auch bei anderen Gelegenheiten, eine Eigen- thümlichkeit von Braun's Darſtellungsweiſe hervor, die darin liegt, daß er zu einem Wort, wie hier zu dem der Verjüngung, ſpäter zu dem Wort Individuum, nicht eine präciſe, willkürlich- gewählte Definition giebt, hinter dem Worte vielmehr einen tiefen, ja geheimnißvollen Sinn ſucht, der nun durch die Betrachtung der Erſcheinungen erkannt und an's Licht gezogen werden ſoll. — „Wir ſehen, heißt es (Verjüngung 1. c. p. 5,), alſo Jugend und Alter in einer und derſelben Entwicklungsgeſchichte im Wechſel mit- einander auftreten, wir ſehen die Jugend das Alter durchbrechen und, fortbildend oder umgeſtaltend, mitten in die Entwicklungsgeſchichte eintreten. Es iſt dieß die Erſcheinung der Verjüngung, welche in allen Lebensgebieten in unendlich mannigfaltiger Weiſe ſich wiederholt, aber wohl nirgends deutlicher ausgeſprochen und der Forſchung zugänglicher auftritt, als im Pflanzenreich. Ohne Verjüngung giebt es keine Entwicklungsgeſchichte.“ — „Fragen wir nun nach den Urſachen der Verjüngungserſcheinungen (p. 7), ſo werden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/199
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/199>, abgerufen am 06.05.2024.