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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Metamorphosenlehre und der Spiraltheorie.
durch Opposition gegen die Theorie erst in das rechte Licht.
Bei ihren Grundfehlern bleibt die Schimper'sche Theorie schon
deßhalb eine der beachtenswerthesten Erscheinungen in der Ge-
schichte der Morphologie, weil sie überhaupt eine consequent
durchgeführte Theorie ist. Wir möchten dieselbe in unserer
Literatur ebensowenig entbehren, als etwa die heutige Astronomie
in ihrer Geschichte die alte Theorie der Epicyklen beseitigt
wünschen kann. Beide Theorien hatten das Verdienst, die zu
ihrer Zeit bekannten Thatsachen unter einander zu verbinden.

Der Grundfehler der Blattstellungstheorie liegt viel tiefer,
als es auf den ersten Anblick scheint. Es ist auch hier die
idealistische Auffassung der Natur, die von dem Causalnexus
Nichts wissen will, weil sie die organischen Formen für immer
wiederkehrende Nachbildungen ewiger Ideen nimmt und diesem
platonischen Gedankenkreise entsprechend, die Abstractionen des
Verstandes mit dem objektiven Wesen der Dinge verwechselt.
Diese Verwechslung aber zeigt sich in der Lehre Schimper's
darin, daß er die willkürlichen, wenn auch von seinem Standpunkt
aus höchst zweckmäßigen geometrischen Constructionen, die er
auf die Pflanze überträgt, für wesentliche Eigenschaften der
Pflanzen selbst hält, daß er die vom Verstande bewirkte Ver-
knüpfung der Blätter durch eine Spirallinie für eine in der
Natur der Pflanze liegende Tendenz nimmt. Schimper über-
sah bei seinen Constructionen, daß, weil ein Kreis durch Um-
drehung eines Radius um einen seiner Endpunkte construirt
werden kann, daraus noch nicht folgt, daß kreisförmige Flächen
in der Natur auf diese Weise wirklich entstanden sein müssen,
mit andern Worten, er übersah, daß die geometrische Betrachtung
räumlicher Anordnungen, so nützlich sie sonst sein mag, keine
Auskunft über die Ursachen ihrer Entstehung giebt. Für
Schimper's Standpunkt war das aber eigentlich kein Ueber-
sehen, denn wirkende Ursachen im Sinne der ächten Naturwissen-
schaft, würde er bei der Erklärung der Pflanzenform wohl kaum
zugelassen haben. Wie weit Schimper davon entfernt war,
die Pflanzenformen für etwas in der Zeit Gewordenes, nach

Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie.
durch Oppoſition gegen die Theorie erſt in das rechte Licht.
Bei ihren Grundfehlern bleibt die Schimper'ſche Theorie ſchon
deßhalb eine der beachtenswertheſten Erſcheinungen in der Ge-
ſchichte der Morphologie, weil ſie überhaupt eine conſequent
durchgeführte Theorie iſt. Wir möchten dieſelbe in unſerer
Literatur ebenſowenig entbehren, als etwa die heutige Aſtronomie
in ihrer Geſchichte die alte Theorie der Epicyklen beſeitigt
wünſchen kann. Beide Theorien hatten das Verdienſt, die zu
ihrer Zeit bekannten Thatſachen unter einander zu verbinden.

Der Grundfehler der Blattſtellungstheorie liegt viel tiefer,
als es auf den erſten Anblick ſcheint. Es iſt auch hier die
idealiſtiſche Auffaſſung der Natur, die von dem Cauſalnexus
Nichts wiſſen will, weil ſie die organiſchen Formen für immer
wiederkehrende Nachbildungen ewiger Ideen nimmt und dieſem
platoniſchen Gedankenkreiſe entſprechend, die Abſtractionen des
Verſtandes mit dem objektiven Weſen der Dinge verwechſelt.
Dieſe Verwechslung aber zeigt ſich in der Lehre Schimper's
darin, daß er die willkürlichen, wenn auch von ſeinem Standpunkt
aus höchſt zweckmäßigen geometriſchen Conſtructionen, die er
auf die Pflanze überträgt, für weſentliche Eigenſchaften der
Pflanzen ſelbſt hält, daß er die vom Verſtande bewirkte Ver-
knüpfung der Blätter durch eine Spirallinie für eine in der
Natur der Pflanze liegende Tendenz nimmt. Schimper über-
ſah bei ſeinen Conſtructionen, daß, weil ein Kreis durch Um-
drehung eines Radius um einen ſeiner Endpunkte conſtruirt
werden kann, daraus noch nicht folgt, daß kreisförmige Flächen
in der Natur auf dieſe Weiſe wirklich entſtanden ſein müſſen,
mit andern Worten, er überſah, daß die geometriſche Betrachtung
räumlicher Anordnungen, ſo nützlich ſie ſonſt ſein mag, keine
Auskunft über die Urſachen ihrer Entſtehung giebt. Für
Schimper's Standpunkt war das aber eigentlich kein Ueber-
ſehen, denn wirkende Urſachen im Sinne der ächten Naturwiſſen-
ſchaft, würde er bei der Erklärung der Pflanzenform wohl kaum
zugelaſſen haben. Wie weit Schimper davon entfernt war,
die Pflanzenformen für etwas in der Zeit Gewordenes, nach

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[181/0193] Metamorphoſenlehre und der Spiraltheorie. durch Oppoſition gegen die Theorie erſt in das rechte Licht. Bei ihren Grundfehlern bleibt die Schimper'ſche Theorie ſchon deßhalb eine der beachtenswertheſten Erſcheinungen in der Ge- ſchichte der Morphologie, weil ſie überhaupt eine conſequent durchgeführte Theorie iſt. Wir möchten dieſelbe in unſerer Literatur ebenſowenig entbehren, als etwa die heutige Aſtronomie in ihrer Geſchichte die alte Theorie der Epicyklen beſeitigt wünſchen kann. Beide Theorien hatten das Verdienſt, die zu ihrer Zeit bekannten Thatſachen unter einander zu verbinden. Der Grundfehler der Blattſtellungstheorie liegt viel tiefer, als es auf den erſten Anblick ſcheint. Es iſt auch hier die idealiſtiſche Auffaſſung der Natur, die von dem Cauſalnexus Nichts wiſſen will, weil ſie die organiſchen Formen für immer wiederkehrende Nachbildungen ewiger Ideen nimmt und dieſem platoniſchen Gedankenkreiſe entſprechend, die Abſtractionen des Verſtandes mit dem objektiven Weſen der Dinge verwechſelt. Dieſe Verwechslung aber zeigt ſich in der Lehre Schimper's darin, daß er die willkürlichen, wenn auch von ſeinem Standpunkt aus höchſt zweckmäßigen geometriſchen Conſtructionen, die er auf die Pflanze überträgt, für weſentliche Eigenſchaften der Pflanzen ſelbſt hält, daß er die vom Verſtande bewirkte Ver- knüpfung der Blätter durch eine Spirallinie für eine in der Natur der Pflanze liegende Tendenz nimmt. Schimper über- ſah bei ſeinen Conſtructionen, daß, weil ein Kreis durch Um- drehung eines Radius um einen ſeiner Endpunkte conſtruirt werden kann, daraus noch nicht folgt, daß kreisförmige Flächen in der Natur auf dieſe Weiſe wirklich entſtanden ſein müſſen, mit andern Worten, er überſah, daß die geometriſche Betrachtung räumlicher Anordnungen, ſo nützlich ſie ſonſt ſein mag, keine Auskunft über die Urſachen ihrer Entſtehung giebt. Für Schimper's Standpunkt war das aber eigentlich kein Ueber- ſehen, denn wirkende Urſachen im Sinne der ächten Naturwiſſen- ſchaft, würde er bei der Erklärung der Pflanzenform wohl kaum zugelaſſen haben. Wie weit Schimper davon entfernt war, die Pflanzenformen für etwas in der Zeit Gewordenes, nach

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/193>, abgerufen am 06.05.2024.