Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Dogma von der Constanz der Arten.
aus unrichtig, und wenn sie auch richtig wäre, so wäre sie doch
systematisch genommen gleichgiltig, weil sie sich auf ein Merkmal
von morphologisch ganz untergeordneter Bedeutung bezieht. Die
schlimmste Folge dieser Mißgriffe macht sich nun darin geltend,
daß in seine Classe der Monocotyledonen auch die Gefäß-
kryptogamen eintreten, dem Jussieu'schen System gegenüber
ein entschiedener Rückschritt. Trotz dieser großen Mängel in der
Haupteintheilung des ganzen Pflanzenreichs verdiente De Can-
dolle's System doch den Ruhm, den es sich erwarb und lange
erhielt; es besaß nämlich dem System Jussieu's gegenüber
den Vorzug, daß innerhalb der größten Abtheilung des Pflan-
zenreiches, in der Klasse der Dicotyledonen, größere Unter-
abtheilungen hervortraten, innerhalb welcher vielfach wesent-
lich verwandte Familien vereinigt waren; die Dicotylen zer-
fielen nämlich zunächst in zwei künstliche Gruppen, je nachdem
eine doppelte oder einfache Blüthenhülle vorhanden ist; die erste,
viel größere dieser künstlichen Gruppen aber wurde ihrerseits in
eine Reihe von Untergruppen aufgelöst, welche vielfach auf na-
türliche Verwandtschaften hinwiesen. Daß diese Gruppen, die
erst in neuester Zeit wesentlich verändert worden sind, den
natürlichen Verwandtschaften schon in hohem Grade Rechnung
trugen, kam daher, daß De Candolle bei ihrer Aufstellung
seine Theorie wirklich befolgte, während die künstlichen Oberab-
theilungen aus der Nichtbeachtung seiner eigenen Regeln her-
vorgingen.

Gegen die ältere Vorstellung, daß das System des Pflanzen-
reichs einer geradlinigen Reihe entspreche, eine Vorstellung, welche
aus dem mißverstandenem Satz: Natura non facit saltus,
entsprang, trat De Candolle sehr entschieden auf, indem er
die Unmöglichkeit an Beispielen nachwies; dafür vertiefte er sich
nur allzusehr in den von Linne bereits hingeworfenen Gedanken,
den auch Giseke, Batsch, Bernardin de Saint-Pierre,
L'Heritier, Du Petit-Thouars u. a. theilten, das Pflanzen-
reich sei bezüglich seiner Gruppirung mit einer geographischen
Karte zu vergleichen, auf welcher die Welttheile den Klassen,

10*

Dogma von der Conſtanz der Arten.
aus unrichtig, und wenn ſie auch richtig wäre, ſo wäre ſie doch
ſyſtematiſch genommen gleichgiltig, weil ſie ſich auf ein Merkmal
von morphologiſch ganz untergeordneter Bedeutung bezieht. Die
ſchlimmſte Folge dieſer Mißgriffe macht ſich nun darin geltend,
daß in ſeine Claſſe der Monocotyledonen auch die Gefäß-
kryptogamen eintreten, dem Juſſieu'ſchen Syſtem gegenüber
ein entſchiedener Rückſchritt. Trotz dieſer großen Mängel in der
Haupteintheilung des ganzen Pflanzenreichs verdiente De Can-
dolle's Syſtem doch den Ruhm, den es ſich erwarb und lange
erhielt; es beſaß nämlich dem Syſtem Juſſieu's gegenüber
den Vorzug, daß innerhalb der größten Abtheilung des Pflan-
zenreiches, in der Klaſſe der Dicotyledonen, größere Unter-
abtheilungen hervortraten, innerhalb welcher vielfach weſent-
lich verwandte Familien vereinigt waren; die Dicotylen zer-
fielen nämlich zunächſt in zwei künſtliche Gruppen, je nachdem
eine doppelte oder einfache Blüthenhülle vorhanden iſt; die erſte,
viel größere dieſer künſtlichen Gruppen aber wurde ihrerſeits in
eine Reihe von Untergruppen aufgelöſt, welche vielfach auf na-
türliche Verwandtſchaften hinwieſen. Daß dieſe Gruppen, die
erſt in neueſter Zeit weſentlich verändert worden ſind, den
natürlichen Verwandtſchaften ſchon in hohem Grade Rechnung
trugen, kam daher, daß De Candolle bei ihrer Aufſtellung
ſeine Theorie wirklich befolgte, während die künſtlichen Oberab-
theilungen aus der Nichtbeachtung ſeiner eigenen Regeln her-
vorgingen.

Gegen die ältere Vorſtellung, daß das Syſtem des Pflanzen-
reichs einer geradlinigen Reihe entſpreche, eine Vorſtellung, welche
aus dem mißverſtandenem Satz: Natura non facit saltus,
entſprang, trat De Candolle ſehr entſchieden auf, indem er
die Unmöglichkeit an Beiſpielen nachwies; dafür vertiefte er ſich
nur allzuſehr in den von Linné bereits hingeworfenen Gedanken,
den auch Giſeke, Batſch, Bernardin de Saint-Pierre,
L'Heritier, Du Petit-Thouars u. a. theilten, das Pflanzen-
reich ſei bezüglich ſeiner Gruppirung mit einer geographiſchen
Karte zu vergleichen, auf welcher die Welttheile den Klaſſen,

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0159" n="147"/><fw place="top" type="header">Dogma von der Con&#x017F;tanz der Arten.</fw><lb/>
aus unrichtig, und wenn &#x017F;ie auch richtig wäre, &#x017F;o wäre &#x017F;ie doch<lb/>
&#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;ch genommen gleichgiltig, weil &#x017F;ie &#x017F;ich auf ein Merkmal<lb/>
von morphologi&#x017F;ch ganz untergeordneter Bedeutung bezieht. Die<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;te Folge die&#x017F;er Mißgriffe macht &#x017F;ich nun darin geltend,<lb/>
daß in &#x017F;eine Cla&#x017F;&#x017F;e der <hi rendition="#g">Monocotyledonen</hi> auch die Gefäß-<lb/>
kryptogamen eintreten, dem <hi rendition="#g">Ju&#x017F;&#x017F;ieu</hi>'<hi rendition="#g">&#x017F;chen</hi> Sy&#x017F;tem gegenüber<lb/>
ein ent&#x017F;chiedener Rück&#x017F;chritt. Trotz die&#x017F;er großen Mängel in der<lb/>
Haupteintheilung des ganzen Pflanzenreichs verdiente <hi rendition="#g">De Can</hi>-<lb/><hi rendition="#g">dolle</hi>'s Sy&#x017F;tem doch den Ruhm, den es &#x017F;ich erwarb und lange<lb/>
erhielt; es be&#x017F;aß nämlich dem Sy&#x017F;tem <hi rendition="#g">Ju&#x017F;&#x017F;ieu</hi>'s gegenüber<lb/>
den Vorzug, daß innerhalb der größten Abtheilung des Pflan-<lb/>
zenreiches, in der Kla&#x017F;&#x017F;e der <hi rendition="#g">Dicotyledonen</hi>, größere Unter-<lb/>
abtheilungen hervortraten, innerhalb welcher vielfach we&#x017F;ent-<lb/>
lich verwandte Familien vereinigt waren; die <hi rendition="#g">Dicotylen</hi> zer-<lb/>
fielen nämlich zunäch&#x017F;t in zwei kün&#x017F;tliche Gruppen, je nachdem<lb/>
eine doppelte oder einfache Blüthenhülle vorhanden i&#x017F;t; die er&#x017F;te,<lb/>
viel größere die&#x017F;er kün&#x017F;tlichen Gruppen aber wurde ihrer&#x017F;eits in<lb/>
eine Reihe von Untergruppen aufgelö&#x017F;t, welche vielfach auf na-<lb/>
türliche Verwandt&#x017F;chaften hinwie&#x017F;en. Daß die&#x017F;e Gruppen, die<lb/>
er&#x017F;t in neue&#x017F;ter Zeit we&#x017F;entlich verändert worden &#x017F;ind, den<lb/>
natürlichen Verwandt&#x017F;chaften &#x017F;chon in hohem Grade Rechnung<lb/>
trugen, kam daher, daß <hi rendition="#g">De Candolle</hi> bei ihrer Auf&#x017F;tellung<lb/>
&#x017F;eine Theorie wirklich befolgte, während die kün&#x017F;tlichen Oberab-<lb/>
theilungen aus der Nichtbeachtung &#x017F;einer eigenen Regeln her-<lb/>
vorgingen.</p><lb/>
          <p>Gegen die ältere Vor&#x017F;tellung, daß das Sy&#x017F;tem des Pflanzen-<lb/>
reichs einer geradlinigen Reihe ent&#x017F;preche, eine Vor&#x017F;tellung, welche<lb/>
aus dem mißver&#x017F;tandenem Satz: <hi rendition="#aq">Natura non facit saltus,</hi><lb/>
ent&#x017F;prang, trat <hi rendition="#g">De Candolle</hi> &#x017F;ehr ent&#x017F;chieden auf, indem er<lb/>
die Unmöglichkeit an Bei&#x017F;pielen nachwies; dafür vertiefte er &#x017F;ich<lb/>
nur allzu&#x017F;ehr in den von <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> bereits hingeworfenen Gedanken,<lb/>
den auch <hi rendition="#g">Gi&#x017F;eke</hi>, <hi rendition="#g">Bat&#x017F;ch</hi>, <hi rendition="#g">Bernardin de Saint</hi>-<hi rendition="#g">Pierre</hi>,<lb/>
L'<hi rendition="#g">Heritier</hi>, <hi rendition="#g">Du Petit</hi>-<hi rendition="#g">Thouars</hi> u. a. theilten, das Pflanzen-<lb/>
reich &#x017F;ei bezüglich &#x017F;einer Gruppirung mit einer geographi&#x017F;chen<lb/>
Karte zu vergleichen, auf welcher die Welttheile den Kla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">10*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0159] Dogma von der Conſtanz der Arten. aus unrichtig, und wenn ſie auch richtig wäre, ſo wäre ſie doch ſyſtematiſch genommen gleichgiltig, weil ſie ſich auf ein Merkmal von morphologiſch ganz untergeordneter Bedeutung bezieht. Die ſchlimmſte Folge dieſer Mißgriffe macht ſich nun darin geltend, daß in ſeine Claſſe der Monocotyledonen auch die Gefäß- kryptogamen eintreten, dem Juſſieu'ſchen Syſtem gegenüber ein entſchiedener Rückſchritt. Trotz dieſer großen Mängel in der Haupteintheilung des ganzen Pflanzenreichs verdiente De Can- dolle's Syſtem doch den Ruhm, den es ſich erwarb und lange erhielt; es beſaß nämlich dem Syſtem Juſſieu's gegenüber den Vorzug, daß innerhalb der größten Abtheilung des Pflan- zenreiches, in der Klaſſe der Dicotyledonen, größere Unter- abtheilungen hervortraten, innerhalb welcher vielfach weſent- lich verwandte Familien vereinigt waren; die Dicotylen zer- fielen nämlich zunächſt in zwei künſtliche Gruppen, je nachdem eine doppelte oder einfache Blüthenhülle vorhanden iſt; die erſte, viel größere dieſer künſtlichen Gruppen aber wurde ihrerſeits in eine Reihe von Untergruppen aufgelöſt, welche vielfach auf na- türliche Verwandtſchaften hinwieſen. Daß dieſe Gruppen, die erſt in neueſter Zeit weſentlich verändert worden ſind, den natürlichen Verwandtſchaften ſchon in hohem Grade Rechnung trugen, kam daher, daß De Candolle bei ihrer Aufſtellung ſeine Theorie wirklich befolgte, während die künſtlichen Oberab- theilungen aus der Nichtbeachtung ſeiner eigenen Regeln her- vorgingen. Gegen die ältere Vorſtellung, daß das Syſtem des Pflanzen- reichs einer geradlinigen Reihe entſpreche, eine Vorſtellung, welche aus dem mißverſtandenem Satz: Natura non facit saltus, entſprang, trat De Candolle ſehr entſchieden auf, indem er die Unmöglichkeit an Beiſpielen nachwies; dafür vertiefte er ſich nur allzuſehr in den von Linné bereits hingeworfenen Gedanken, den auch Giſeke, Batſch, Bernardin de Saint-Pierre, L'Heritier, Du Petit-Thouars u. a. theilten, das Pflanzen- reich ſei bezüglich ſeiner Gruppirung mit einer geographiſchen Karte zu vergleichen, auf welcher die Welttheile den Klaſſen, 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/159
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/159>, abgerufen am 06.05.2024.