Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Dogma von der Constanz der Arten.
Namens wegen, denn ihrem Inhalte nach ist De Candolle's
Symmetrielehre wesentlich eine vergleichende Morphologie und
im Grunde seit Jungius der erste ernsthafte Versuch einer
solchen, der in der That mit großem Erfolg gekrönt war; eine
Reihe der wichtigsten morphologischen Wahrheiten, welche gegen-
wärtig jedem Botaniker geläufig sind, wurden zuerst in De Can-
dolle's Symmetrielehre 1813 ausgesprochen. Aber freilich
Eines fehlte nicht nur bei Jussieu und De Candolle, son-
dern mit Ausnahme Robert Brown's bei allen Systematikern
dieser Periode und dieses Eine war die Entwicklungsgeschichte.
Die Vergleichung der fertigen Formen führt zwar, wie die Ge-
schichte der Morphologie und Systematik dieses Zeitraums zeigt,
zur Erkenntniß zahlreicher und höchst wichtiger morphologischer
Thatsachen; so lange man aber fertig ausgebildete Organismen
vergleicht, wird die morphologische Betrachtung immer dadurch
gestört, daß die zu vergleichenden Organe bestimmten physiologi-
schen Functionen angepaßt sind, wodurch ihr wahrer morpholo-
gischer Charakter oft ganz unkenntlich gemacht wird; je jünger
dagegen die Organe sind, desto mehr tritt dieser Uebelstand zurück
und wesentlich darin liegt der große Vortheil der Entwicklungs-
geschichte für die Morphologie. Als einer der charakteristischen
Züge der hier behandelten Periode muß also hervorgehoben
werden, daß die Morphologie an den fertigen Formen sich weiter
ausbildete; die Entwicklungsgeschichte dagegen, wenigstens in so
weit es sich um sehr frühe Jugendzustände handelt, konnte schon
deßhalb bis in die vierziger Jahre hinein nicht nutzbar gemacht
werden, weil die Kunst des Microscopirens, die hier unerläßlich
ist, erst in den Jahren nach 1840 soweit ausgebildet wurde,
um die erste Entstehung der Organe zu verfolgen.

Feststellung der natürlichen Verwandtschaften mit der An-
nahme der Constanz der Arten und Ausbildung der vergleichen-
den Morphologie ohne Entwicklungsgeschichte, endlich die sehr
untergeordnete Aufmerksamkeit, welche man den Cryptogamen
noch immer schenkte, sind die vorwiegend charakteristischen Merk-
male der nun ausführlicher zu besprechenden Periode.


Dogma von der Conſtanz der Arten.
Namens wegen, denn ihrem Inhalte nach iſt De Candolle's
Symmetrielehre weſentlich eine vergleichende Morphologie und
im Grunde ſeit Jungius der erſte ernſthafte Verſuch einer
ſolchen, der in der That mit großem Erfolg gekrönt war; eine
Reihe der wichtigſten morphologiſchen Wahrheiten, welche gegen-
wärtig jedem Botaniker geläufig ſind, wurden zuerſt in De Can-
dolle's Symmetrielehre 1813 ausgeſprochen. Aber freilich
Eines fehlte nicht nur bei Juſſieu und De Candolle, ſon-
dern mit Ausnahme Robert Brown's bei allen Syſtematikern
dieſer Periode und dieſes Eine war die Entwicklungsgeſchichte.
Die Vergleichung der fertigen Formen führt zwar, wie die Ge-
ſchichte der Morphologie und Syſtematik dieſes Zeitraums zeigt,
zur Erkenntniß zahlreicher und höchſt wichtiger morphologiſcher
Thatſachen; ſo lange man aber fertig ausgebildete Organismen
vergleicht, wird die morphologiſche Betrachtung immer dadurch
geſtört, daß die zu vergleichenden Organe beſtimmten phyſiologi-
ſchen Functionen angepaßt ſind, wodurch ihr wahrer morpholo-
giſcher Charakter oft ganz unkenntlich gemacht wird; je jünger
dagegen die Organe ſind, deſto mehr tritt dieſer Uebelſtand zurück
und weſentlich darin liegt der große Vortheil der Entwicklungs-
geſchichte für die Morphologie. Als einer der charakteriſtiſchen
Züge der hier behandelten Periode muß alſo hervorgehoben
werden, daß die Morphologie an den fertigen Formen ſich weiter
ausbildete; die Entwicklungsgeſchichte dagegen, wenigſtens in ſo
weit es ſich um ſehr frühe Jugendzuſtände handelt, konnte ſchon
deßhalb bis in die vierziger Jahre hinein nicht nutzbar gemacht
werden, weil die Kunſt des Microſcopirens, die hier unerläßlich
iſt, erſt in den Jahren nach 1840 ſoweit ausgebildet wurde,
um die erſte Entſtehung der Organe zu verfolgen.

Feſtſtellung der natürlichen Verwandtſchaften mit der An-
nahme der Conſtanz der Arten und Ausbildung der vergleichen-
den Morphologie ohne Entwicklungsgeſchichte, endlich die ſehr
untergeordnete Aufmerkſamkeit, welche man den Cryptogamen
noch immer ſchenkte, ſind die vorwiegend charakteriſtiſchen Merk-
male der nun ausführlicher zu beſprechenden Periode.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0133" n="121"/><fw place="top" type="header">Dogma von der Con&#x017F;tanz der Arten.</fw><lb/>
Namens wegen, denn ihrem Inhalte nach i&#x017F;t <hi rendition="#g">De Candolle</hi>'s<lb/>
Symmetrielehre we&#x017F;entlich eine vergleichende Morphologie und<lb/>
im Grunde &#x017F;eit <hi rendition="#g">Jungius</hi> der er&#x017F;te ern&#x017F;thafte Ver&#x017F;uch einer<lb/>
&#x017F;olchen, der in der That mit großem Erfolg gekrönt war; eine<lb/>
Reihe der wichtig&#x017F;ten morphologi&#x017F;chen Wahrheiten, welche gegen-<lb/>
wärtig jedem Botaniker geläufig &#x017F;ind, wurden zuer&#x017F;t in <hi rendition="#g">De Can</hi>-<lb/><hi rendition="#g">dolle</hi>'s Symmetrielehre 1813 ausge&#x017F;prochen. Aber freilich<lb/>
Eines fehlte nicht nur bei <hi rendition="#g">Ju&#x017F;&#x017F;ieu</hi> und <hi rendition="#g">De Candolle</hi>, &#x017F;on-<lb/>
dern mit Ausnahme <hi rendition="#g">Robert Brown</hi>'s bei allen Sy&#x017F;tematikern<lb/>
die&#x017F;er Periode und die&#x017F;es Eine war die Entwicklungsge&#x017F;chichte.<lb/>
Die Vergleichung der fertigen Formen führt zwar, wie die Ge-<lb/>
&#x017F;chichte der Morphologie und Sy&#x017F;tematik die&#x017F;es Zeitraums zeigt,<lb/>
zur Erkenntniß zahlreicher und höch&#x017F;t wichtiger morphologi&#x017F;cher<lb/>
That&#x017F;achen; &#x017F;o lange man aber fertig ausgebildete Organismen<lb/>
vergleicht, wird die morphologi&#x017F;che Betrachtung immer dadurch<lb/>
ge&#x017F;tört, daß die zu vergleichenden Organe be&#x017F;timmten phy&#x017F;iologi-<lb/>
&#x017F;chen Functionen angepaßt &#x017F;ind, wodurch ihr wahrer morpholo-<lb/>
gi&#x017F;cher Charakter oft ganz unkenntlich gemacht wird; je jünger<lb/>
dagegen die Organe &#x017F;ind, de&#x017F;to mehr tritt die&#x017F;er Uebel&#x017F;tand zurück<lb/>
und we&#x017F;entlich darin liegt der große Vortheil der Entwicklungs-<lb/>
ge&#x017F;chichte für die Morphologie. Als einer der charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Züge der hier behandelten Periode muß al&#x017F;o hervorgehoben<lb/>
werden, daß die Morphologie an den fertigen Formen &#x017F;ich weiter<lb/>
ausbildete; die Entwicklungsge&#x017F;chichte dagegen, wenig&#x017F;tens in &#x017F;o<lb/>
weit es &#x017F;ich um &#x017F;ehr frühe Jugendzu&#x017F;tände handelt, konnte &#x017F;chon<lb/>
deßhalb bis in die vierziger Jahre hinein nicht nutzbar gemacht<lb/>
werden, weil die Kun&#x017F;t des Micro&#x017F;copirens, die hier unerläßlich<lb/>
i&#x017F;t, er&#x017F;t in den Jahren nach 1840 &#x017F;oweit ausgebildet wurde,<lb/>
um die er&#x017F;te Ent&#x017F;tehung der Organe zu verfolgen.</p><lb/>
          <p>Fe&#x017F;t&#x017F;tellung der natürlichen Verwandt&#x017F;chaften mit der An-<lb/>
nahme der Con&#x017F;tanz der Arten und Ausbildung der vergleichen-<lb/>
den Morphologie ohne Entwicklungsge&#x017F;chichte, endlich die &#x017F;ehr<lb/>
untergeordnete Aufmerk&#x017F;amkeit, welche man den Cryptogamen<lb/>
noch immer &#x017F;chenkte, &#x017F;ind die vorwiegend charakteri&#x017F;ti&#x017F;chen Merk-<lb/>
male der nun ausführlicher zu be&#x017F;prechenden Periode.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0133] Dogma von der Conſtanz der Arten. Namens wegen, denn ihrem Inhalte nach iſt De Candolle's Symmetrielehre weſentlich eine vergleichende Morphologie und im Grunde ſeit Jungius der erſte ernſthafte Verſuch einer ſolchen, der in der That mit großem Erfolg gekrönt war; eine Reihe der wichtigſten morphologiſchen Wahrheiten, welche gegen- wärtig jedem Botaniker geläufig ſind, wurden zuerſt in De Can- dolle's Symmetrielehre 1813 ausgeſprochen. Aber freilich Eines fehlte nicht nur bei Juſſieu und De Candolle, ſon- dern mit Ausnahme Robert Brown's bei allen Syſtematikern dieſer Periode und dieſes Eine war die Entwicklungsgeſchichte. Die Vergleichung der fertigen Formen führt zwar, wie die Ge- ſchichte der Morphologie und Syſtematik dieſes Zeitraums zeigt, zur Erkenntniß zahlreicher und höchſt wichtiger morphologiſcher Thatſachen; ſo lange man aber fertig ausgebildete Organismen vergleicht, wird die morphologiſche Betrachtung immer dadurch geſtört, daß die zu vergleichenden Organe beſtimmten phyſiologi- ſchen Functionen angepaßt ſind, wodurch ihr wahrer morpholo- giſcher Charakter oft ganz unkenntlich gemacht wird; je jünger dagegen die Organe ſind, deſto mehr tritt dieſer Uebelſtand zurück und weſentlich darin liegt der große Vortheil der Entwicklungs- geſchichte für die Morphologie. Als einer der charakteriſtiſchen Züge der hier behandelten Periode muß alſo hervorgehoben werden, daß die Morphologie an den fertigen Formen ſich weiter ausbildete; die Entwicklungsgeſchichte dagegen, wenigſtens in ſo weit es ſich um ſehr frühe Jugendzuſtände handelt, konnte ſchon deßhalb bis in die vierziger Jahre hinein nicht nutzbar gemacht werden, weil die Kunſt des Microſcopirens, die hier unerläßlich iſt, erſt in den Jahren nach 1840 ſoweit ausgebildet wurde, um die erſte Entſtehung der Organe zu verfolgen. Feſtſtellung der natürlichen Verwandtſchaften mit der An- nahme der Conſtanz der Arten und Ausbildung der vergleichen- den Morphologie ohne Entwicklungsgeſchichte, endlich die ſehr untergeordnete Aufmerkſamkeit, welche man den Cryptogamen noch immer ſchenkte, ſind die vorwiegend charakteriſtiſchen Merk- male der nun ausführlicher zu beſprechenden Periode.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/133
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/133>, abgerufen am 25.11.2024.