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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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der Organe von Caesalpin bis auf Linne.

Noch zum dritten Male begegnen wir bei Linne dem
Nebeneinanderbestehen einer flacheren, auf alltägliche Wahrnehm-
ung gegründeten und einer tieferen, gewissermaßen philosophischen
Ansicht, wo es sich um das Dogma von der Constanz der Arten
einerseits, und andererseits darum handelt, die Thatsache der
natürlichen Verwandtschaft und ihrer Gradation zu erklären.
Für das Dogma der Constanz der Arten führte Linne selbst
außer ganz nichtssagenden Worterklärungen nur die alltägliche
Wahrnehmung der Unveränderlichkeit der Arten an und an
dieser hielt er bis zu seinem Lebensende fest; nun galt es aber,
eine Erklärung dafür zu finden, daß eben, wie Linne immer
wiederholt hervorhob, auch die Gattungen, Ordnungen, Classen
nicht boß auf subjectiver Ansicht beruhen, sondern objectiv vor-
handene Verwandtschaftsverhältnisse andeuten. Da half er sich
nun in sehr merkwürdiger Weise und gerade hier tritt nicht nur
die scholastische Denkmethode wieder ganz unverfälscht durch
moderne Naturwissenschaft hervor, sondern Linne gründet auch
seine Erklärung wieder auf das uralte Vorurtheil, daß das Mark
das Lebensprincip der Pflanze sei und zum Theil auf seine eigene
Annahme, daß sich bei dem Sexualakt die Holzsubstanz der Staub-
gefäße mit der Marksubstanz des Pistills verbinde. Hugo
Mohl
hat bereits in der botanischen Zeitung 1870 Nr. 46
diesen Sachverhalt klar gelegt, wenn ihm auch ebenso wie
Wigand und den meisten Biographen Linne's unbekannt war,
daß sich die Theorieen desselben überall wesentlich auf Caesalpin
stützen. Linne's Theorie der natürlichen Verwandtschaften,
wie er dieselbe 1762 in der Dissertation Fundamentum fructi-
ficationis
und 1764 in der 6. Ausgabe seiner Genera plantarum
darstellte, läuft nun auf Folgendes hinaus: bei der Erschaffung
der Pflanzen (in ipsa creatione) wurde zunächst je eine Species
als Repräsentant einer jeden natürlichen Ordnung erschaffen,
und diese den natürlichen Ordnungen entsprechenden Pflanzen
waren von einander im Habitus und der Fructifikation, d. h.
bei Linne, absolut verschieden. In der Mittheilung von 1764
heißt es nun wörtlich:

Sachs, Geschichte der Botanik. 8
der Organe von Caeſalpin bis auf Linné.

Noch zum dritten Male begegnen wir bei Linné dem
Nebeneinanderbeſtehen einer flacheren, auf alltägliche Wahrnehm-
ung gegründeten und einer tieferen, gewiſſermaßen philoſophiſchen
Anſicht, wo es ſich um das Dogma von der Conſtanz der Arten
einerſeits, und andererſeits darum handelt, die Thatſache der
natürlichen Verwandtſchaft und ihrer Gradation zu erklären.
Für das Dogma der Conſtanz der Arten führte Linné ſelbſt
außer ganz nichtsſagenden Worterklärungen nur die alltägliche
Wahrnehmung der Unveränderlichkeit der Arten an und an
dieſer hielt er bis zu ſeinem Lebensende feſt; nun galt es aber,
eine Erklärung dafür zu finden, daß eben, wie Linné immer
wiederholt hervorhob, auch die Gattungen, Ordnungen, Claſſen
nicht boß auf ſubjectiver Anſicht beruhen, ſondern objectiv vor-
handene Verwandtſchaftsverhältniſſe andeuten. Da half er ſich
nun in ſehr merkwürdiger Weiſe und gerade hier tritt nicht nur
die ſcholaſtiſche Denkmethode wieder ganz unverfälſcht durch
moderne Naturwiſſenſchaft hervor, ſondern Linné gründet auch
ſeine Erklärung wieder auf das uralte Vorurtheil, daß das Mark
das Lebensprincip der Pflanze ſei und zum Theil auf ſeine eigene
Annahme, daß ſich bei dem Sexualakt die Holzſubſtanz der Staub-
gefäße mit der Markſubſtanz des Piſtills verbinde. Hugo
Mohl
hat bereits in der botaniſchen Zeitung 1870 Nr. 46
dieſen Sachverhalt klar gelegt, wenn ihm auch ebenſo wie
Wigand und den meiſten Biographen Linné's unbekannt war,
daß ſich die Theorieen desſelben überall weſentlich auf Caeſalpin
ſtützen. Linné's Theorie der natürlichen Verwandtſchaften,
wie er dieſelbe 1762 in der Diſſertation Fundamentum fructi-
ficationis
und 1764 in der 6. Ausgabe ſeiner Genera plantarum
darſtellte, läuft nun auf Folgendes hinaus: bei der Erſchaffung
der Pflanzen (in ipsa creatione) wurde zunächſt je eine Species
als Repräſentant einer jeden natürlichen Ordnung erſchaffen,
und dieſe den natürlichen Ordnungen entſprechenden Pflanzen
waren von einander im Habitus und der Fructifikation, d. h.
bei Linné, abſolut verſchieden. In der Mittheilung von 1764
heißt es nun wörtlich:

Sachs, Geſchichte der Botanik. 8
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[113/0125] der Organe von Caeſalpin bis auf Linné. Noch zum dritten Male begegnen wir bei Linné dem Nebeneinanderbeſtehen einer flacheren, auf alltägliche Wahrnehm- ung gegründeten und einer tieferen, gewiſſermaßen philoſophiſchen Anſicht, wo es ſich um das Dogma von der Conſtanz der Arten einerſeits, und andererſeits darum handelt, die Thatſache der natürlichen Verwandtſchaft und ihrer Gradation zu erklären. Für das Dogma der Conſtanz der Arten führte Linné ſelbſt außer ganz nichtsſagenden Worterklärungen nur die alltägliche Wahrnehmung der Unveränderlichkeit der Arten an und an dieſer hielt er bis zu ſeinem Lebensende feſt; nun galt es aber, eine Erklärung dafür zu finden, daß eben, wie Linné immer wiederholt hervorhob, auch die Gattungen, Ordnungen, Claſſen nicht boß auf ſubjectiver Anſicht beruhen, ſondern objectiv vor- handene Verwandtſchaftsverhältniſſe andeuten. Da half er ſich nun in ſehr merkwürdiger Weiſe und gerade hier tritt nicht nur die ſcholaſtiſche Denkmethode wieder ganz unverfälſcht durch moderne Naturwiſſenſchaft hervor, ſondern Linné gründet auch ſeine Erklärung wieder auf das uralte Vorurtheil, daß das Mark das Lebensprincip der Pflanze ſei und zum Theil auf ſeine eigene Annahme, daß ſich bei dem Sexualakt die Holzſubſtanz der Staub- gefäße mit der Markſubſtanz des Piſtills verbinde. Hugo Mohl hat bereits in der botaniſchen Zeitung 1870 Nr. 46 dieſen Sachverhalt klar gelegt, wenn ihm auch ebenſo wie Wigand und den meiſten Biographen Linné's unbekannt war, daß ſich die Theorieen desſelben überall weſentlich auf Caeſalpin ſtützen. Linné's Theorie der natürlichen Verwandtſchaften, wie er dieſelbe 1762 in der Diſſertation Fundamentum fructi- ficationis und 1764 in der 6. Ausgabe ſeiner Genera plantarum darſtellte, läuft nun auf Folgendes hinaus: bei der Erſchaffung der Pflanzen (in ipsa creatione) wurde zunächſt je eine Species als Repräſentant einer jeden natürlichen Ordnung erſchaffen, und dieſe den natürlichen Ordnungen entſprechenden Pflanzen waren von einander im Habitus und der Fructifikation, d. h. bei Linné, abſolut verſchieden. In der Mittheilung von 1764 heißt es nun wörtlich: Sachs, Geſchichte der Botanik. 8

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/125>, abgerufen am 27.04.2024.