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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
und wo seine Zeitgenossen Duhamel, Kölreuter u. a. nach
den Principien ächter Naturforschung experimentirten. Beachtet
man diese Eigenthümlichkeit Linne's, so wird es erklärlich,
warum Männer, wie Buffon, Albert Haller, Kölreuter
ihn mit einer gewissen Nichtachtung behandelten; erklärlich wird
es aber auch, wie die stricten Anhänger Linne's in Deutsch-
land, die sich ganz wesentlich nur von seinen Schriften nährten
und das wirklich Gute, was in Linne lag, von seiner Sophistik
nicht zu sondern wußten, schließlich dahin kommen konnten, daß
ihre Botanik allem Andern mehr, als einer Naturwissenschaft
ähnlich sah. In der That lag für schwache Geister in Linne's
Führerschaft etwas sehr Gefährliches, denn mit seiner wunder-
lichen Logik, die selbst auf dem Gebiet der Scholastik mit zum
Schlechtesten zählen dürfte, verband Linne die glänzendsten
Eigenschaften eines descriptiven Naturforschers: Nicht blos der
ungeheure Umfang seiner Specialkenntniß, sondern ganz besonders
die überlegene Sicherheit, womit er die Systematik beherrschte,
konnten nicht verfehlen, allen denen im höchsten Grade zu impo-
niren, welche eben in diesen Eigenschaften allein die Bedeutung
des Naturforschers erblickten. Zu seinen besten Talenten gehörte
ohne Zweifel die Gabe, die Species und Gattungen des Pflanzen-
und Thierreichs mit wenigen Merkmalen schlagend zu charakterisiren,
die Diagnosen mit einem Minimum von Worten herzustellen;
in dieser Beziehung wurde er das unerreichte Vorbild aller spä-
teren Botaniker.

Ueberhaupt lag Linne's Ueberlegenheit ganz und gar
in der ihm angebornen Befähigung, Alles, womit er sich beschäf-
tigte, mit Geschick und Klarheit der Distinction zu klassificiren;
bei ihm wurde, so zu sagen, die ganze Logik in die Thätigkeit
des Classificirens, des Coordinirens, Subordinirens, verwandelt.
In dieser Weise behandelte er nicht nur die Naturkörper, sondern
überhaupt Alles, worüber er schrieb. Die systematischen Botaniker,
von denen er in den Classes plantarum spricht, werden sofort
selbst classificirt in Fructisten, Corollisten, Calycisten. Die Männer,
welche sich irgend wie mit Botanik beschäftigen, werden in 2 große

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
und wo ſeine Zeitgenoſſen Duhamel, Kölreuter u. a. nach
den Principien ächter Naturforſchung experimentirten. Beachtet
man dieſe Eigenthümlichkeit Linné's, ſo wird es erklärlich,
warum Männer, wie Buffon, Albert Haller, Kölreuter
ihn mit einer gewiſſen Nichtachtung behandelten; erklärlich wird
es aber auch, wie die ſtricten Anhänger Linné's in Deutſch-
land, die ſich ganz weſentlich nur von ſeinen Schriften nährten
und das wirklich Gute, was in Linné lag, von ſeiner Sophiſtik
nicht zu ſondern wußten, ſchließlich dahin kommen konnten, daß
ihre Botanik allem Andern mehr, als einer Naturwiſſenſchaft
ähnlich ſah. In der That lag für ſchwache Geiſter in Linné's
Führerſchaft etwas ſehr Gefährliches, denn mit ſeiner wunder-
lichen Logik, die ſelbſt auf dem Gebiet der Scholaſtik mit zum
Schlechteſten zählen dürfte, verband Linné die glänzendſten
Eigenſchaften eines descriptiven Naturforſchers: Nicht blos der
ungeheure Umfang ſeiner Specialkenntniß, ſondern ganz beſonders
die überlegene Sicherheit, womit er die Syſtematik beherrſchte,
konnten nicht verfehlen, allen denen im höchſten Grade zu impo-
niren, welche eben in dieſen Eigenſchaften allein die Bedeutung
des Naturforſchers erblickten. Zu ſeinen beſten Talenten gehörte
ohne Zweifel die Gabe, die Species und Gattungen des Pflanzen-
und Thierreichs mit wenigen Merkmalen ſchlagend zu charakteriſiren,
die Diagnoſen mit einem Minimum von Worten herzuſtellen;
in dieſer Beziehung wurde er das unerreichte Vorbild aller ſpä-
teren Botaniker.

Ueberhaupt lag Linné's Ueberlegenheit ganz und gar
in der ihm angebornen Befähigung, Alles, womit er ſich beſchäf-
tigte, mit Geſchick und Klarheit der Diſtinction zu klaſſificiren;
bei ihm wurde, ſo zu ſagen, die ganze Logik in die Thätigkeit
des Claſſificirens, des Coordinirens, Subordinirens, verwandelt.
In dieſer Weiſe behandelte er nicht nur die Naturkörper, ſondern
überhaupt Alles, worüber er ſchrieb. Die ſyſtematiſchen Botaniker,
von denen er in den Classes plantarum ſpricht, werden ſofort
ſelbſt claſſificirt in Fructiſten, Corolliſten, Calyciſten. Die Männer,
welche ſich irgend wie mit Botanik beſchäftigen, werden in 2 große

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[96/0108] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur und wo ſeine Zeitgenoſſen Duhamel, Kölreuter u. a. nach den Principien ächter Naturforſchung experimentirten. Beachtet man dieſe Eigenthümlichkeit Linné's, ſo wird es erklärlich, warum Männer, wie Buffon, Albert Haller, Kölreuter ihn mit einer gewiſſen Nichtachtung behandelten; erklärlich wird es aber auch, wie die ſtricten Anhänger Linné's in Deutſch- land, die ſich ganz weſentlich nur von ſeinen Schriften nährten und das wirklich Gute, was in Linné lag, von ſeiner Sophiſtik nicht zu ſondern wußten, ſchließlich dahin kommen konnten, daß ihre Botanik allem Andern mehr, als einer Naturwiſſenſchaft ähnlich ſah. In der That lag für ſchwache Geiſter in Linné's Führerſchaft etwas ſehr Gefährliches, denn mit ſeiner wunder- lichen Logik, die ſelbſt auf dem Gebiet der Scholaſtik mit zum Schlechteſten zählen dürfte, verband Linné die glänzendſten Eigenſchaften eines descriptiven Naturforſchers: Nicht blos der ungeheure Umfang ſeiner Specialkenntniß, ſondern ganz beſonders die überlegene Sicherheit, womit er die Syſtematik beherrſchte, konnten nicht verfehlen, allen denen im höchſten Grade zu impo- niren, welche eben in dieſen Eigenſchaften allein die Bedeutung des Naturforſchers erblickten. Zu ſeinen beſten Talenten gehörte ohne Zweifel die Gabe, die Species und Gattungen des Pflanzen- und Thierreichs mit wenigen Merkmalen ſchlagend zu charakteriſiren, die Diagnoſen mit einem Minimum von Worten herzuſtellen; in dieſer Beziehung wurde er das unerreichte Vorbild aller ſpä- teren Botaniker. Ueberhaupt lag Linné's Ueberlegenheit ganz und gar in der ihm angebornen Befähigung, Alles, womit er ſich beſchäf- tigte, mit Geſchick und Klarheit der Diſtinction zu klaſſificiren; bei ihm wurde, ſo zu ſagen, die ganze Logik in die Thätigkeit des Claſſificirens, des Coordinirens, Subordinirens, verwandelt. In dieſer Weiſe behandelte er nicht nur die Naturkörper, ſondern überhaupt Alles, worüber er ſchrieb. Die ſyſtematiſchen Botaniker, von denen er in den Classes plantarum ſpricht, werden ſofort ſelbſt claſſificirt in Fructiſten, Corolliſten, Calyciſten. Die Männer, welche ſich irgend wie mit Botanik beſchäftigen, werden in 2 große

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/108>, abgerufen am 28.04.2024.