Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Die künstlichen Systeme und die Nomenclatur
der Pflanzen, welche das corculum umhüllen, dasselbe; daß
nun aber der Nachkomme nicht blos aus dem Ei, auch nicht
aus dem männlichen Befruchtungsstoff, sondern gleichzeitig aus
beiden gebildet wird, das zeigen die Thiere, die Bastarde, die
Vernunft und die Anatomie. Was nun die Vernunft in
diesem und dem vorigen Satze betrifft, so versteht er darunter
die aus dem Wesen, d. h. dem Begriff der Sache gefolgerte
Nothwendigkeit, daß es eben so sein müsse; die Thiere liefern
ihm die Analogie und was die Anatomie betrifft, so kann diese
eben nichts beweisen, so lange nicht bekannt ist, welchen Zweck
die anatomischen Einrichtungen haben; die schwächste Seite dieses
Beweises aber liegt in den Bastarden, denn von diesen kannte
Linne, als er die Fundamente schrieb, nur die Maulthiere;
pflanzliche Hybriden wurden erst 1761 von Köhlreuter be-
schrieben von denen aber Linne keine Notiz nahm und was es
mit den pflanzlichen Hybriden auf sich hat, die Linne selbst
später beobachtet haben wollte, die aber nicht existiren, werden
wir in der Geschichte der Sexualtheorie noch erfahren, hier nur
so viel davon, daß er die Existenz dieser Hybriden gerade so aus
dem Begriff der Sexualität ableitet, wie hier die Sexualität
aus dem Begriff der Hybridation gefolgert wird. Nun geht es
in seiner Beweisführung weiter: "daß ein unbefruchtetes Ei
keime, wird durch die Erfahrung verneint, dementsprechend auch
die Eier 1) der Pflanzen -- jede Pflanzenart ist mit Blüthe und
Frucht ausgestattet, auch wo das Auge sie nicht bemerkt", was
natürlich im Sinne Linne's auch wieder aus dem Begriff der
Pflanze oder des Eies vernunftgemäß folgt; er führt allerdings
auch Beobachtungen an, die aber nicht richtig sind. Nun aber
heißt es weiter: "die Fruchtification besteht in den Geschlechts-
organen der Blüthen; daß die Antheren die männlichen Organe,
der Pollen der Befruchtungsstoff sei, geht aus ihrem Wesen

1) Die Vergleichung der Pflanzensamen mit den Eiern der Thiere (an
sich unrichtig) stammt, wie Aristoteles berichtet, von Empedokles her und
wurde immer mit Vorliebe von den Systematikern hervorgehoben.

Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur
der Pflanzen, welche das corculum umhüllen, dasſelbe; daß
nun aber der Nachkomme nicht blos aus dem Ei, auch nicht
aus dem männlichen Befruchtungsſtoff, ſondern gleichzeitig aus
beiden gebildet wird, das zeigen die Thiere, die Baſtarde, die
Vernunft und die Anatomie. Was nun die Vernunft in
dieſem und dem vorigen Satze betrifft, ſo verſteht er darunter
die aus dem Weſen, d. h. dem Begriff der Sache gefolgerte
Nothwendigkeit, daß es eben ſo ſein müſſe; die Thiere liefern
ihm die Analogie und was die Anatomie betrifft, ſo kann dieſe
eben nichts beweiſen, ſo lange nicht bekannt iſt, welchen Zweck
die anatomiſchen Einrichtungen haben; die ſchwächſte Seite dieſes
Beweiſes aber liegt in den Baſtarden, denn von dieſen kannte
Linné, als er die Fundamente ſchrieb, nur die Maulthiere;
pflanzliche Hybriden wurden erſt 1761 von Köhlreuter be-
ſchrieben von denen aber Linné keine Notiz nahm und was es
mit den pflanzlichen Hybriden auf ſich hat, die Linné ſelbſt
ſpäter beobachtet haben wollte, die aber nicht exiſtiren, werden
wir in der Geſchichte der Sexualtheorie noch erfahren, hier nur
ſo viel davon, daß er die Exiſtenz dieſer Hybriden gerade ſo aus
dem Begriff der Sexualität ableitet, wie hier die Sexualität
aus dem Begriff der Hybridation gefolgert wird. Nun geht es
in ſeiner Beweisführung weiter: „daß ein unbefruchtetes Ei
keime, wird durch die Erfahrung verneint, dementſprechend auch
die Eier 1) der Pflanzen — jede Pflanzenart iſt mit Blüthe und
Frucht ausgeſtattet, auch wo das Auge ſie nicht bemerkt“, was
natürlich im Sinne Linné's auch wieder aus dem Begriff der
Pflanze oder des Eies vernunftgemäß folgt; er führt allerdings
auch Beobachtungen an, die aber nicht richtig ſind. Nun aber
heißt es weiter: „die Fruchtification beſteht in den Geſchlechts-
organen der Blüthen; daß die Antheren die männlichen Organe,
der Pollen der Befruchtungsſtoff ſei, geht aus ihrem Weſen

1) Die Vergleichung der Pflanzenſamen mit den Eiern der Thiere (an
ſich unrichtig) ſtammt, wie Ariſtoteles berichtet, von Empedokles her und
wurde immer mit Vorliebe von den Syſtematikern hervorgehoben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0106" n="94"/><fw place="top" type="header">Die kün&#x017F;tlichen Sy&#x017F;teme und die Nomenclatur</fw><lb/>
der Pflanzen, welche das <hi rendition="#aq">corculum</hi> umhüllen, das&#x017F;elbe; daß<lb/>
nun aber der Nachkomme nicht blos aus dem Ei, auch nicht<lb/>
aus dem männlichen Befruchtungs&#x017F;toff, &#x017F;ondern gleichzeitig aus<lb/>
beiden gebildet wird, das zeigen die Thiere, die Ba&#x017F;tarde, die<lb/><hi rendition="#g">Vernunft</hi> und die Anatomie. Was nun die Vernunft in<lb/>
die&#x017F;em und dem vorigen Satze betrifft, &#x017F;o ver&#x017F;teht er darunter<lb/>
die aus dem We&#x017F;en, d. h. dem Begriff der Sache gefolgerte<lb/>
Nothwendigkeit, daß es eben &#x017F;o &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e; die Thiere liefern<lb/>
ihm die Analogie und was die Anatomie betrifft, &#x017F;o kann die&#x017F;e<lb/>
eben nichts bewei&#x017F;en, &#x017F;o lange nicht bekannt i&#x017F;t, welchen Zweck<lb/>
die anatomi&#x017F;chen Einrichtungen haben; die &#x017F;chwäch&#x017F;te Seite die&#x017F;es<lb/>
Bewei&#x017F;es aber liegt in den Ba&#x017F;tarden, denn von die&#x017F;en kannte<lb/><hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi>, als er die Fundamente &#x017F;chrieb, nur die Maulthiere;<lb/>
pflanzliche Hybriden wurden er&#x017F;t 1761 von <hi rendition="#g">Köhlreuter</hi> be-<lb/>
&#x017F;chrieben von denen aber <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> keine Notiz nahm und was es<lb/>
mit den pflanzlichen Hybriden auf &#x017F;ich hat, die <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x017F;päter beobachtet haben wollte, die aber nicht exi&#x017F;tiren, werden<lb/>
wir in der Ge&#x017F;chichte der Sexualtheorie noch erfahren, hier nur<lb/>
&#x017F;o viel davon, daß er die Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er Hybriden gerade &#x017F;o aus<lb/>
dem Begriff der Sexualität ableitet, wie hier die Sexualität<lb/>
aus dem Begriff der Hybridation gefolgert wird. Nun geht es<lb/>
in &#x017F;einer Beweisführung weiter: &#x201E;daß ein unbefruchtetes Ei<lb/>
keime, wird durch die Erfahrung verneint, dement&#x017F;prechend auch<lb/>
die Eier <note place="foot" n="1)">Die Vergleichung der Pflanzen&#x017F;amen mit den Eiern der Thiere (an<lb/>
&#x017F;ich unrichtig) &#x017F;tammt, wie Ari&#x017F;toteles berichtet, von <hi rendition="#g">Empedokles</hi> her und<lb/>
wurde immer mit Vorliebe von den Sy&#x017F;tematikern hervorgehoben.</note> der Pflanzen &#x2014; jede Pflanzenart i&#x017F;t mit Blüthe und<lb/>
Frucht ausge&#x017F;tattet, auch wo das Auge &#x017F;ie nicht bemerkt&#x201C;, was<lb/>
natürlich im Sinne <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi>'s auch wieder aus dem Begriff der<lb/>
Pflanze oder des Eies vernunftgemäß folgt; er führt allerdings<lb/>
auch Beobachtungen an, die aber nicht richtig &#x017F;ind. Nun aber<lb/>
heißt es weiter: &#x201E;die Fruchtification be&#x017F;teht in den Ge&#x017F;chlechts-<lb/>
organen der Blüthen; daß die Antheren die männlichen Organe,<lb/>
der Pollen der Befruchtungs&#x017F;toff &#x017F;ei, geht aus ihrem <hi rendition="#g">We&#x017F;en</hi><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0106] Die künſtlichen Syſteme und die Nomenclatur der Pflanzen, welche das corculum umhüllen, dasſelbe; daß nun aber der Nachkomme nicht blos aus dem Ei, auch nicht aus dem männlichen Befruchtungsſtoff, ſondern gleichzeitig aus beiden gebildet wird, das zeigen die Thiere, die Baſtarde, die Vernunft und die Anatomie. Was nun die Vernunft in dieſem und dem vorigen Satze betrifft, ſo verſteht er darunter die aus dem Weſen, d. h. dem Begriff der Sache gefolgerte Nothwendigkeit, daß es eben ſo ſein müſſe; die Thiere liefern ihm die Analogie und was die Anatomie betrifft, ſo kann dieſe eben nichts beweiſen, ſo lange nicht bekannt iſt, welchen Zweck die anatomiſchen Einrichtungen haben; die ſchwächſte Seite dieſes Beweiſes aber liegt in den Baſtarden, denn von dieſen kannte Linné, als er die Fundamente ſchrieb, nur die Maulthiere; pflanzliche Hybriden wurden erſt 1761 von Köhlreuter be- ſchrieben von denen aber Linné keine Notiz nahm und was es mit den pflanzlichen Hybriden auf ſich hat, die Linné ſelbſt ſpäter beobachtet haben wollte, die aber nicht exiſtiren, werden wir in der Geſchichte der Sexualtheorie noch erfahren, hier nur ſo viel davon, daß er die Exiſtenz dieſer Hybriden gerade ſo aus dem Begriff der Sexualität ableitet, wie hier die Sexualität aus dem Begriff der Hybridation gefolgert wird. Nun geht es in ſeiner Beweisführung weiter: „daß ein unbefruchtetes Ei keime, wird durch die Erfahrung verneint, dementſprechend auch die Eier 1) der Pflanzen — jede Pflanzenart iſt mit Blüthe und Frucht ausgeſtattet, auch wo das Auge ſie nicht bemerkt“, was natürlich im Sinne Linné's auch wieder aus dem Begriff der Pflanze oder des Eies vernunftgemäß folgt; er führt allerdings auch Beobachtungen an, die aber nicht richtig ſind. Nun aber heißt es weiter: „die Fruchtification beſteht in den Geſchlechts- organen der Blüthen; daß die Antheren die männlichen Organe, der Pollen der Befruchtungsſtoff ſei, geht aus ihrem Weſen 1) Die Vergleichung der Pflanzenſamen mit den Eiern der Thiere (an ſich unrichtig) ſtammt, wie Ariſtoteles berichtet, von Empedokles her und wurde immer mit Vorliebe von den Syſtematikern hervorgehoben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/106
Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/106>, abgerufen am 22.11.2024.