gegen; alte, längst aufgegebene Entwürfe treten wieder mit frischem Reiz an mich heran und neue Ideen leuchten in mir auf. Was brauch' ich mehr, um glücklich zu sein?! Nur Du fehlst mir, Theuerster, und ich möchte, wie einst, die Abend¬ stunden mit Dir in der traulichen Weinlaube verplaudern können. Statt dessen unternehme ich nun hin und wieder nach gethaner Arbeit einen einsamen Spaziergang; zumeist vor den nahen Linienwall hinaus, wo die schweigenden Friedhöfe liegen und das Arsenal in ernster, düsterer Pracht aufragt. Dort schreit' ich hinan zu dem alten Wahrzeichen, zur "Spinnerin am Kreuz", lasse die Blicke über die weithin ausgedehnte Stadt bis zu den grünen Höhen an der Donau schweifen; sehe die Sonne versinken und vom Bahnhof aus lange Züge dem schönen Süden zubrausen. Wenn ich dann in der Däm¬ merung heimkehre und wieder die menschenvollen Gassen be¬ trete; wenn ich die Kinder gewahre, die vor den Thüren spielen oder mit ängstlicher Vorsicht das Abendbrod aus den nächsten Schenken und Kramläden nach Hause tragen, und vorüberkomme an den dicht belagerten Brunnen, wo Bursche und Mägde mit einander schäckern, während die Arbeiter aus den Fabriken strömen, Taglöhner mit Gesang den Bau ver¬ lassen und von Zeit zu Zeit eine stolze Carosse mit geputzten Herren und Frauen durch das abendliche Gewühl rollt: da durchschauert es mich wundersam. Ich fühle mich mit Allem, was da lebt und athmet, so innig verwachsen und Eins --
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gegen; alte, längſt aufgegebene Entwürfe treten wieder mit friſchem Reiz an mich heran und neue Ideen leuchten in mir auf. Was brauch' ich mehr, um glücklich zu ſein?! Nur Du fehlſt mir, Theuerſter, und ich möchte, wie einſt, die Abend¬ ſtunden mit Dir in der traulichen Weinlaube verplaudern können. Statt deſſen unternehme ich nun hin und wieder nach gethaner Arbeit einen einſamen Spaziergang; zumeiſt vor den nahen Linienwall hinaus, wo die ſchweigenden Friedhöfe liegen und das Arſenal in ernſter, düſterer Pracht aufragt. Dort ſchreit' ich hinan zu dem alten Wahrzeichen, zur „Spinnerin am Kreuz“, laſſe die Blicke über die weithin ausgedehnte Stadt bis zu den grünen Höhen an der Donau ſchweifen; ſehe die Sonne verſinken und vom Bahnhof aus lange Züge dem ſchönen Süden zubrauſen. Wenn ich dann in der Däm¬ merung heimkehre und wieder die menſchenvollen Gaſſen be¬ trete; wenn ich die Kinder gewahre, die vor den Thüren ſpielen oder mit ängſtlicher Vorſicht das Abendbrod aus den nächſten Schenken und Kramläden nach Hauſe tragen, und vorüberkomme an den dicht belagerten Brunnen, wo Burſche und Mägde mit einander ſchäckern, während die Arbeiter aus den Fabriken ſtrömen, Taglöhner mit Geſang den Bau ver¬ laſſen und von Zeit zu Zeit eine ſtolze Caroſſe mit geputzten Herren und Frauen durch das abendliche Gewühl rollt: da durchſchauert es mich wunderſam. Ich fühle mich mit Allem, was da lebt und athmet, ſo innig verwachſen und Eins —
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gegen; alte, längſt aufgegebene Entwürfe treten wieder mit
friſchem Reiz an mich heran und neue Ideen leuchten in mir
auf. Was brauch' ich mehr, um glücklich zu ſein?! Nur Du
fehlſt mir, Theuerſter, und ich möchte, wie einſt, die Abend¬
ſtunden mit Dir in der traulichen Weinlaube verplaudern
können. Statt deſſen unternehme ich nun hin und wieder nach
gethaner Arbeit einen einſamen Spaziergang; zumeiſt vor den
nahen Linienwall hinaus, wo die ſchweigenden Friedhöfe liegen
und das Arſenal in ernſter, düſterer Pracht aufragt. Dort
ſchreit' ich hinan zu dem alten Wahrzeichen, zur „Spinnerin
am Kreuz“, laſſe die Blicke über die weithin ausgedehnte
Stadt bis zu den grünen Höhen an der Donau ſchweifen;
ſehe die Sonne verſinken und vom Bahnhof aus lange Züge
dem ſchönen Süden zubrauſen. Wenn ich dann in der Däm¬
merung heimkehre und wieder die menſchenvollen Gaſſen be¬
trete; wenn ich die Kinder gewahre, die vor den Thüren
ſpielen oder mit ängſtlicher Vorſicht das Abendbrod aus den
nächſten Schenken und Kramläden nach Hauſe tragen, und
vorüberkomme an den dicht belagerten Brunnen, wo Burſche
und Mägde mit einander ſchäckern, während die Arbeiter aus
den Fabriken ſtrömen, Taglöhner mit Geſang den Bau ver¬
laſſen und von Zeit zu Zeit eine ſtolze Caroſſe mit geputzten
Herren und Frauen durch das abendliche Gewühl rollt: da
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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